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Where the world comes to study the Bible

10. Die Frau am Brunnen (Johannes 4:1-42)

Einleitung

Dies ist das Protokoll eines Funkgesprächs, das tatsächlich im Oktober 1995 vor der Küste von Neufundland zwischen einem US Marineschiff und kanadischen Behörden stattgefunden hat. Funkgespräch veröffentlicht vom Chief of Naval Operations [ranghöchster Offizier der US-Marine; Anm. d. Ü.] am 10.10.1995:

Amerikaner: Bitte zur Vermeidung einer Kollision Kurs um 15 Grad nach Norden ändern.

Kanadier: Empfehle, Sie ändern ihren Kurs um 15 Grad nach Süden zur Vermeidung einer Kollision.

Amerikaner: Hier spricht der Kapitän eines US-Marineschiffes. Ich sage Ihnen nochmals: Ändern Sie ihren Kurs.

Kanadier: Nein. Ich sage Ihnen nochmals: Sie ändern ihren Kurs.

Amerikaner: HIER SPRICHT DER FLUGZEUGTRÄGER USS LINCOLN, DAS ZWEITGRÖSSTE SCHIFF DER US-AMERIKANISCHEN ATLANTIKFLOTTE. WIR SIND IN BEGLEITUNG VON DREI ZERSTÖRERN, DREI KREUZERN UND ZAHLREICHEN UNTERSTÜTZUNGSSCHIFFEN. ICH FORDERE SIE AUF: ÄNDERN SIE IHREN KURS 15 GRAD NORD, ICH WIEDERHOLE: EINS-FÜNF GRAD NORD, ODER WIR WERDEN GEGENMASSNAHMEN ERGREIFEN, UM DIE SICHERHEIT DIESES SCHIFFES ZU GEWÄHRLEISTEN:

Kanadier: Hier spricht ein Leuchtturm. Ich höre?“ 181

Wer man zu sein glaubt, ist schon wichtig; aber noch wichtiger ist es, wer man wirklich ist. Ab und zu neigen wir dazu, uns etwas zu überschätzen ... Was sage ich: Wir überschätzen uns ständig. Und ab und zu kommt dann irgendjemand daher und bringt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Kapitän der USS Lincoln dachte, er wäre so wichtig, dass er von einer kanadische Besatzung eine Kursänderung zur Vermeidung eines Zusammenstoßes fordern könnte. Als er schließlich erfuhr, dass die „kanadische Besatzung“ ein Leuchtturmwärter war, kamen die Dinge wieder ins Lot und die amerikanischen Schiffe änderten ihren Kurs.

Diese Geschichte erinnert mich sehr an das, was in den Evangelien abläuft und was im dritten und vierten Kapitel des Johannes-Evangeliums besonders deutlich wird. Nikodemus ähnelt etwas dem Kapitän des amerikanischen Schiffes. Er ist ein bisschen zu sehr eingenommen von sich selbst, von seiner Position als Jude, als Pharisäer, als Mitglied des Sanhedrin und als berühmter Lehrer des Alttestamentarischen Gesetzes. Es kommt im dritten Kapitel des Johannes-Evangeliums also zu einer Art Konfrontation: Nikodemus ist bereit anzuerkennen, dass Jesus „als Lehrer von Gott gekommen“ ist (3:2); doch er bringt es nicht ganz fertig, ausdrücklich zu sagen, dass Jesus ein Prophet ist. Als Jesus dann ihm sagt, dass er so, wie er ist – ohne von oben wiedergeboren zu werden –, nicht in das Reich Gottes gelangen wird, will Nikodemus wohl eher Jesus dazu bringen, Seinen Kurs zu ändern, als dass er seinen eigenen Kurs ändern würde. Nikodemus stellt zwar Fragen, doch er zeigt – zumindest in diesem Moment – kaum Fortschritte in Richtung auf einen echten Glauben. Seine Fragen lassen nicht darauf schließen, dass er bereit wäre, seine Denkweise zu ändern, sondern vielmehr darauf, dass ihm das widerstrebt, was Jesus sagt.

Im vierten Kapitel des Johannes-Evangeliums tauchen dieselben grundsätzlichen Themen wieder auf, die schon in Kapitel 3 angesprochen wurden. Die „Frau am Brunnen“ ist Samariterin, und die Samariter haben ihre eigene, ganz besondere Religion – einen korrumpierten jüdischen Glauben182. Wenn die Frau am Brunnen zu einem erlösenden Glauben gelangen will, muss sie ihren Kurs ändern, gerade so, wie es Jesus auch von Nikodemus gefordert hatte. Sowohl Nikodemus als auch die Frau am Brunnen müssen sich entscheiden, was sie aus dem machen, was Jesus ihnen sagt. Letztendlich beruht diese Entscheidung auf ihrer Einschätzung dessen, wer Jesus wirklich ist. Für Nikodemus ist Jesus ein „inspirierender“, vielleicht sogar ein „inspirierter“ Lehrer. Die Frau am Brunnen dagegen sieht in Jesus mit der Zeit viel mehr als das, wie wir bald sehen werden.

Die meisten Christen glauben diese wunderbare Geschichte gut zu kennen und zu verstehen. Wir wollen uns ihr hier noch einmal zuwenden und sie so betrachten, als wäre es das erste Mal. Wir wollen versuchen zu lernen, was den Unterschied zwischen einem „Nikodemus“ und einer „Frau am Brunnen“ ausmacht.

Jesus zieht sich nach Galiläa zurück
(4:1-3)

1 Als nun Jesus erfuhr, dass die Pharisäer gehört hatten, dass er mehr Menschen zu Jüngern machte und taufte als Johannes 2 (obwohl Jesus selbst nicht taufte, sondern seine Jünger), 3 verließ er Judäa und zog wieder nach Galiläa.

Wir haben bereits gehört, dass Johannes’ Jünger unseren Herrn und Seine Jünger genau beobachteten. Sie missbilligten den Dienst unseres Herrn, weil er ihren eigenen in den Schatten stellte (Johannes 3:26). Es kam ihnen so vor, als würde Jesus sie arbeitslos machen, und das gefiel ihnen nicht. Auch die Pharisäer beobachteten Jesus (Lukas 5:17) ebenso, wie sie auch Johannes genau im Auge behielten (Johannes 1:19-28), dessen Popularität sie fürchteten (Lukas 20:4-6). Da es die Absicht der Pharisäer war, eine eigene Anhängerschaft zu gewinnen (siehe Matthäus 23:15), waren sie bitter neidisch auf den Erfolg unseres Herrn (siehe Johannes 11:47-48; vergleiche Matthäus 27:18).

Für unseren Herrn aber war es noch nicht an der Zeit, es mit den Pharisäern aufzunehmen – dazu sollte es noch früh genug kommen. Um die Situation ein wenig zu entschärfen, verließ Jesus Judäa und kehrte in das nördlich gelegene Galiläa zurück. Dadurch erleichterte er den Pharisäern zweifellos ihre Befürchtungen, denn die Pharisäer dachten anscheinend, dass Jesus ihnen dort kaum Schwierigkeiten bereiten könnte. Vielleicht erinnern Sie sich, dass selbst Nathanael der Meinung war, niemand von Wichtigkeit könne aus Nazareth kommen (Johannes 1:45-46). Diese Auffassung teilen wohl auch die Pharisäer:

50 Da sagte Nikodemus, einer ihrer Führer, der zuvor einmal zu Jesus gegangen war: 51 „Verurteilt unser Gesetz etwa einen Menschen, bevor man ihn angehört und erfahren hat, was er tut?“ Sie antworteten ihm: „Du bist doch wohl nicht etwa aus Galiläa? Forsche genau nach, und du wirst sehen, dass kein Prophet aus Galiläa hervorgeht!“ 53 Und ein jeder ging fort nach Hause (Johannes 7:50-53; Hervorhebung durch B. Deffinbaugh).

Die Pharisäer müssen die Nachricht, dass Jesus Judäa verlassen hatte183 und zurück nach Galiläa gegangen war, geradezu mit einem Seufzer der Erleichterung aufgenommen haben. Aber ihre Erleichterung soll nur von kurzer Dauer sein.

Samarien, Sychar und Jakobs Brunnen
(4:4-6)

4 Er musste184 aber den Weg durch Samarien nehmen. 5 Da kam er zu einer Stadt in Samarien, die Sychar hieß und nahe dem Stück Land lag, das Jakob seinem Sohn Joseph gegeben hatte. 6 Dort befand sich der Jakobsbrunnen, und da Jesus müde von der Reise war, setzte er sich neben dem Brunnen nieder. Es war um die Mittagszeit.

Auf dem Weg von Judäa nach Galiläa „musste“ Jesus durch Samarien reisen. Politisch gesehen war Samarien keine eigenständige Region, aber Kultur und Religion unterschieden sich dort eindeutig von den Gegebenheiten in Israel. Wir sollten uns besser noch einmal die historische Beziehung zwischen Israel und Samarien in Erinnerung rufen.

Unter Rehabeam, dem Sohn Salomos, fiel das Vereinigte Königreich von Israel in zwei Teile auseinander (1. Könige 12): in das nördliche Reich Israel, das von dem Rebellen Jerobeam regiert wurde, und das südliche Reich Juda unter Rehabeam. Da Jerobeam befürchtete, dass sich die zwei Reiche wieder vereinigen könnten, begründete er eine falsche Religion mit einem eigenen Ort für die Anbetung, Bethel (1. Könige 12:25-33). Später erbaute ein schlechter nördlicher Herrscher namens Omri die Stadt Samaria und machte sie zu seiner Hauptstadt, zur Hauptstadt des Nördlichen Königreiches. Er errichtete auch einen Tempel und einen Altar für Baal, eine heidnische Gottheit (1. Könige 16:24-34). Am Ende wurde der Name dieser Stadt zum Synonym für das gesamte Nördliche Reich, das so den Namen Samarien erhielt.

Nach wiederholten Warnungen durch Gottes Propheten kam das göttliche Gericht schließlich durch die Hand der Assyrer. Diese besiegten Israel und verteilten seine Mittel- und Oberschicht auf all die anderen Länder, die sie erobert hatten. Die umgesiedelten Israeliten ersetzten sie durch Heiden aus anderen Völkern (2. Könige 17:23ff.). Diese Heiden gingen Ehen mit den im Lande verbliebenen Israeliten ein, und so entstand ein Volk von Mischlingen – eine anstößige und schlimme Sache aus der Sicht der strenggläubigen Juden (siehe Esra 9 und 10; Nehemia 13). Schlimmer noch: die wahre Religion Israels wurde mit heidnischer Götzenanbetung durchsetzt.

Die Juden des Südlichen Königreiches Juda, die später von den Babyloniern gefangen genommen wurden, durften ihre ethnische und religiöse Identität beibehalten. Nach dem Ende ihrer 70-jährigen Gefangenschaft erhielten sie die Erlaubnis, in ihr eigenes Land zurückzukehren, und etliche machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Als diese zurückkehrenden Exilanten daran gingen, den Tempel und Jerusalem wieder aufzubauen, boten die Samariter ihre Hilfe an, wurden aber brüsk abgewiesen (Esra 4:2ff.). Um 400 v.Chr. errichteten die Samariter daraufhin ihren eigenen Konkurrenztempel auf dem Berg Gerizim. Dieser Tempel wurde am Ende des zweiten Jahrhunderts v.Chr. von Johannes Hyrcanus, dem hasmonäischen Herrscher von Juda, zerstört, was die Feindseligkeiten zwischen den Juden und den Samaritern noch erheblich verstärkte.

Die Samariter bekannten sich zum Glauben an den Gott Israels und erwarteten das Kommen des Messias (siehe Johannes 4:25). Sie erkannten nur die ersten fünf Bücher des Gesetzes an und lehnten den Rest der alttestamentarischen Schriften ab. Wo immer es ihnen zur Rechtfertigung ihrer Religion oder ihrer Anbetungsstätte nötig erschien, änderten sie das Gesetz einfach ab. Das Verhältnis zwischen den Juden und den Samaritern war also eindeutig belastet.

Ungeachtet dessen bin ich mir aber gar nicht so sicher, ob die Dinge wirklich so schlecht standen, wie viele glauben. Oft wird gesagt, dass die Juden es vermieden hätten, den Weg durch Samarien zu nehmen. Statt dessen, so hören wir, reisten sie Richtung Osten, überquerten den Jordan, wandten sich dann nach Norden oder Süden, umgingen so Samarien und überquerten den Jordan wieder, wenn sie ihrem Zielort nahekamen. D.A. Carson behauptet dagegen unter Berufung auf Josephus, dass die Juden doch recht häufig durch Samarien reisten185. Es scheint also, als hätten sich nur einige der strenggläubigen Juden dagegen geweigert.

Im Gegensatz zum ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums, das uns von der Göttlichkeit unseres Herrn erzählt, spricht dieses Kapitel auch von Seiner Menschlichkeit: Jesus war müde. Es war gerade um die Mittagszeit186, so dass die Mattigkeit unseres Herrn auch mit der Mittagshitze zu tun gehabt haben mag.

Und zwar kommen Jesus und Seine Jünger, müde von der Reise, zu einem Stück Land, das einst Jakob seinem Sohn Joseph vererbt hatte (Genesis 48:22?). Auf diesem Gelände – eine Meile oder so von der Stadt Sychar187 entfernt – liegt der Jakobsbrunnen188. Es ist ein tiefer Brunnen – vielleicht einhundert Fuß tief oder mehr –, der von einer Quelle gespeist wird. Es gibt auch noch andere Wasserstellen in der Gegend, näher bei der Stadt, aber dieser Brunnen hat vielleicht das beste Wasser. Und an diesem Brunnen setzt sich Jesus nieder, um zu rasten.

Warum diese Betonung auf Jakob und darauf, dass dieser Brunnen einst ihm gehört hat? Es scheint, als wäre die Frau (wie vielleicht auch die Samariter im Allgemeinen) stolz darauf, dass sie Jakob als ihren Ahnherren beanspruchen kann. Das ist schon etwas merkwürdig, besonders wenn man bedenkt, wie dieser Patriarch im Buch Genesis dargestellt wird. Ich wüsste keinen Juden von Selbstachtung, der sich rühmen würde, ein Abkömmling Jakobs zu sein – nur dessen, ein Nachkomme Abrahams zu sein (siehe Matthäus 3:9). Johannes gestaltet die Ausgangssituation so, dass die Frau dahin kommt zu fragen, ob Jesus etwa größer ist als Jakob, und die Antwort wird lauten: „Ja“ (siehe auch Johannes 6:30-36, 8:53).

Genauso wie im Buch Genesis189 scheint der „Brunnen“ auch in Johannes 4 wichtig zu sein. Man kommt nicht umhin an Abrahams Knecht zu denken, der Rebekka an einem Brunnen in Paddan-aram um etwas zu Trinken bat (Genesis 24:11ff.). Damals wurden an diesem Brunnen die charakterlichen Eigenschaften von Rebekka offenbar. Hier, im Falle unseres Herrn, mag die Anwesenheit der Frau zu dieser Tageszeit am Brunnen eher ein Hinweis dafür sein, dass es ihr an Charakter fehlt – oder zumindest an Beliebtheit unter den Frauen von Sychar.

„Gib Mir zu trinken“
(4:7-9)

7 Eine Samariterin kam, um Wasser zu schöpfen. Jesus sprach zu ihr: „Gib mir etwas Wasser zu trinken.“ 8 (Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Vorräte zu kaufen.) 9 Da sagte die Samariterin zu ihm: „Wie kannst du – ein Jude – eine samaritische Frau wie mich um Wasser zum Trinken bitten?“ (Denn Juden nutzen nichts gemeinsam mit Samaritern.)

Drei Dinge an dieser Frau gereichen ihr offensichtlich zum Nachteil. Erstens ist sie eine Samariterin. Zweitens macht sie sich der sexuellen Unmoral schuldig, und drittens ist sie eine Frau. Darüber, was die Juden den Samaritern gegenüber empfanden, haben wir schon gesprochen. Und darüber, was die Pharisäer mit so einer Frau gemacht hätten, werden wir in keinerlei Zweifel gelassen:

36 Einer der Pharisäer bat Jesus, doch bei ihm zu essen; und so ging er in das Haus des Pharisäers und nahm am Tisch Platz. 37 Als aber eine Frau aus dieser Stadt, eine Sünderin, erfuhr, dass Jesus im Haus des Pharisäers speiste, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechenden Öles. 38 Als sie zu seinen Füßen hinter ihm stand, weinte sie und benetzte seine Füße mit ihren Tränen. Sie trocknete sie mit ihrem Haupthaar ab, küsste sie und salbte sie mit dem wohlriechenden Öl. 39 Als aber der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, dies sah, sagte er zu sich selbst: „Wenn dieser Mann ein Prophet wäre, würde er wissen, was für eine Frau das ist, die ihn berührt, dass sie eine Sünderin ist (Lukas 7:36-39).190

Es sollte uns aber auch nicht überraschen, dass unser Herr mit so einer Frau ganz anders umgeht – wie man ja auch am Ende der obigen Geschichte im Lukas-Evangelium sieht:

40 Da entgegnete ihm Jesus: „Simon, ich habe dir etwas zu sagen.“ Er erwiderte: „Sprich, Lehrer.“ 41 „Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner; der eine schuldete ihm fünfhundert Silberlinge und der andere fünfzig. 42 Als sie nicht zahlen konnten, erließ er beiden ihre Schulden. Welcher von ihnen wird ihn dafür wohl am meisten lieben?“ 43 Simon antwortete: „Ich denke, der, der die größere Schuld erlassen bekam.“ Jesus sprach zu ihm: „Du hast richtig geurteilt.“ 44 Dann wandte er sich der Frau zu und sprach zu Simon: „Siehst du diese Frau? Ich kam in dein Haus, und du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; sie aber hat meine Füße mit ihren Tränen benetzt und mit ihrem Haar getrocknet. 45 Du hast mir keinen Kuss gegeben; sie aber hat, seitdem ich hereinkam, nicht aufgehört, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit wohlriechendem Öl gesalbt. 47 Daher sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, und deshalb hat sie viel Liebe erzeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.“ 48 Dann sprach Jesus zu ihr: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ 49 Daraufhin fingen die an, die mit ihm am Tisch saßen, und sagten untereinander: „Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt?“ 50 Er sprach zu der Frau: „Dein Glaube hat dich gerettet; gehe hin in Frieden“ (Lukas 7:40-50).

Die Pharisäer hatten eine sehr einfache Methode, heilig zu sein – sie hielten schlicht (räumlichen) Abstand von Sündern. Sie dachten, dass Sünde ansteckend wäre und dass man sie sich schon alleine dann einfangen könnte, wenn man einem Sünder zu nahe kam. Unter anderem deshalb sind sie auch so irritiert zu sehen, wie engen Kontakt unser Herr zu „Sündern“ pflegt:

27 Danach ging Jesus hinaus und sah einen Steuereinnehmer namens Levi am Schalter sitzen; und er sprach zu ihm: „Folge mir nach.“ 28 Da stand Levi auf und ließ alles stehen und folgte ihm. 29 Dann gab Levi in seinem Haus ein großes Gastmahl für Jesus, und eine Menge Steuereinnehmer und andere saßen mit ihnen am Tisch. 30 Aber die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten begehrten auf und sagten zu seinen Jüngern: „Warum esst und trinkt ihr mit Steuereinnehmern und Sündern?“ 31 Jesus antwortete ihnen: „Die Gesunden benötigen keinen Arzt, wohl aber die Kranken. 32 Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zur Reue aufzurufen, sondern die Sünder“ (Lukas 5:27-32).

Ich muss zugeben, dass ich die „Frau am Brunnen“ früher anders gesehen habe als heute. Inzwischen habe ich ihr gegenüber ein Gefühl von Mitleid entwickelt, genauso wie unser Herr es hatte. Hier in Kapitel 4, und später noch einmal in Kapitel 8 (die beim Ehebruch ertappte Frau), sehen wir, dass die Juden dazu neigten, auf Frauen wie diese beiden als die „leichten Mädchen“ herabzusehen, die sie ja tatsächlich waren. Andererseits waren die beiden sicherlich nicht schuldiger als die Männer, mit denen sie ihre sexuelle Unmoral ausübten. In Johannes Kapitel 8 wird nur die Frau vor unserem Herrn angeklagt. Das Paar wurde mitten im Akt des Ehebruchs ertappt (8:4), und doch wurde nur die Frau festgenommen und zu Jesus gebracht. Warum wurde der Mann nicht auch vor unseren Herrn gebracht? Offenbar gab es hier zweierlei Maßstab – den einen für die Männer und den anderen für die Frauen.

Die „Frau am Brunnen“ hat offensichtlich gesündigt, aber sie hat nicht alleine gesündigt. Zu dieser Zeit konnten sich Männer von ihren Frauen scheiden lassen, aber Frauen nicht von ihren Männern. Wenn diese Frau fünfmal verheiratet und wieder geschieden ist, so haben sich fünf Männer von ihr scheiden lassen191. Diese Frau ist fünfmal „weggeworfen“ worden. Stellen Sie sich vor, wie sie sich gefühlt haben muss. Und der Mann, mit dem sie jetzt zusammenlebt, ist nicht ihr Mann. Diesmal ist sie noch nicht einmal verheiratet, sondern sie lebt (oder schläft) nur mit einem Mann, der vielleicht sogar der Ehemann einer anderen Frau ist. Diese Frau ist unter einem Teil der männlichen Bevölkerung von Sychar weitergereicht worden. Was Jesus sagt, lenkt nicht nur die Aufmerksamkeit der Frau auf ihre Sünden, sondern auch unsere Aufmerksamkeit auf die Sünden der Männer dieser Stadt.

Das dritte, was der „Frau am Brunnen“ zum Nachteil gereicht, ist die Tatsache, dass sie eine Frau ist. Laut Johannes sind die Jünger nicht deswegen schockiert, Jesus im Gespräch mit der samaritischen Frau vorzufinden, weil sie Samariterin oder weil sie eine Sünderin ist (was sie ja nicht wissen). Sie sind überrascht, Ihn mit ihr sprechen zu sehen, weil sie eine Frau ist. Es mag hier zusätzlich um rassische Dinge gehen, aber es geht auch um das Geschlecht. Die Juden neigten zu ausgesprochen herabwürdigenden Ansichten über Frauen192; und die Jünger scheinen diese Einstellungen zu teilen193. Sie können nicht verstehen, warum Jesus seine Zeit damit vergeudet, mit einer Frau zu sprechen.

Mit diesen Hintergrundinformationen im Kopf lassen Sie uns nun den Vorgang betrachten, im Verlauf dessen die Frau am Brunnen zum Glauben an Jesus als den Messias gebracht wird. Aus der Formatierung des Textes am Anfang können sie ersehen, dass ich die Wechselrede zwischen Jesus und dieser Frau hervorgehoben habe. Eine ähnliche Wechselrede findet auch in Kapitel 3, zwischen Jesus und Nikodemus, statt, aber es gibt dabei einen wesentlichen Unterschied: Je mehr Jesus Nikodemus über Sich Selbst und Seine Lehre sagt, umso unbehaglicher wird Nikodemus zumute. Seine Fragen und Bemerkungen werden immer kürzer, und dann verschwindet er einfach aus dem Text.

Das Gespräch mit der Samariterin verläuft dagegen ganz anders. Jede Wechselrede bringt sie näher an den Glauben heran. Das Gespräch bewegt sich vom buchstäblichen Wassertrinken hin zum geistlichen „Wasser“ der Erlösung. Immer weiter wächst ihr Verständnis davon, wer Jesus ist, bis sie schließlich an Ihn als den Messias glaubt. Während Nikodemus nur sehr langsam und recht zögernd zum Glauben kommt, scheint die Frau am Brunnen viel rascher die wesentlichen Dinge zu begreifen und zum Glauben an Jesus als den Messias zu gelangen. Während Nikodemus, ein einflussreicher Führer unter den Juden, niemanden zu Christus bringt, bringt die Frau am Brunnen die gesamt Stadt auf die Beine, um Jesus zu hören und schließlich an Ihn zu glauben. Lassen sie uns die Bekehrung der Samariterin nun im Hinblick auf den Ablauf der Dinge betrachten, durch die sie zum Glauben hingezogen wird.

Erster Schritt:
Die Aufmerksamkeit der Frau wird geweckt
(4:7-9)

7 Eine Samariterin kam, um Wasser zu schöpfen. Jesus sprach zu ihr: „Gib mir etwas Wasser zu trinken.“ 8 (Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Vorräte zu kaufen.)

9 Da sagte die Samariterin zu ihm: „Wie kannst du – ein Jude – eine samaritische Frau wie mich um Wasser zum Trinken bitten?“ (Denn Juden nutzen nichts gemeinsam mit Samaritern.)

Zwei Dinge, in heutigen Worten ausgedrückt, sprechen von vorneherein dagegen, dass es unserem Herr möglich sein wird, die Wahrheit der Erlösung mit der Frau am Brunnen zu teilen: Er ist Jude, sie ist Samariterin. Er ist ein Mann, sie ist eine Frau. Es scheint keine gemeinsame Grundlage zu geben, keinen Grund für ein Gespräch und nichts, worüber man sich einig wäre. Trotzdem gelingt es unserem Herrn, die Aufmerksamkeit dieser Frau zu wecken; (zunächst) nicht, indem er ihr irgendetwas sagt, das sie wissen muss, sondern indem er sie um Wasser zum Trinken bittet. Sie hat etwas, das Er braucht – Wasser. Indem Er sie um Wasser zum Trinken bittet, erwischt Jesus die Frau ganz und gar auf dem falschen Fuß. Juden benutzten keinerlei Ess- oder Trinkgeschirr gemeinsam mit Samaritern. Die Frau kommt also nicht umhin, Jesus zu fragen, warum Er das Undenkbare erbittet. Durch die Bereitschaft, kulturelle Barrieren beiseite zu werfen, erlangt unser Herr die Aufmerksamkeit der Frau.

Sie muss wohl wissen, warum. So lesen wir die Frage und die anschließende Anmerkung in Klammern: „Wie kannst du – ein Jude – eine samaritische Frau wie mich um Wasser zum Trinken bitten?“ (Denn Juden nutzen nichts gemeinsam194 mit Samaritern.) Warum tut Jesus das? Warum bittet Er sie um Wasser zum Trinken? Beachten Sie, dass Jesus in den nun folgenden Versen diese Frage nicht beantwortet. Es ist das Evangelium, das all das verändert.

26 Denn in Christus Jesus seid ihr alle Kinder Gottes durch den Glauben. 27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, habt euch mit Christus bekleidet. 28 Da ist weder Jude noch Grieche, weder Sklave noch Freier, weder Mann noch Frau; denn ihr alle seid eins in Christus Jesus. 29 Und wenn ihr Christus gehört, dann seid ihr Nachkommen Abrahams und Erben gemäß der Verheißung (Galater 3:26-29).

Zweiter Schritt:
Jesus macht der Frau den Mund wässrig
(4:10-14)

10 Jesus antwortete ihr: „Wenn du die Gabe Gottes erkannt hättest und wüsstest, wer es ist, der zu dir sagte ‚Gib mir etwas Wasser zu trinken’, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“

11 „Herr,“ sagte die Frau zu ihm, „du hast doch gar keinen Eimer und der Brunnen ist tief; woher also nimmst du dieses lebendige Wasser? 12 Du bist doch nicht etwa größer als unser Vater Jakob? Denn der hat uns diesen Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken, samt seinen Söhnen und seinem Vieh.“

13 Jesus erwiderte: „Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen. 14 Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben will, wird niemals wieder durstig werden; sondern das Wasser, das ich ihm geben will, wird in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser zum ewigen Leben hervorquillt.“

Diese Antwort unseres Herrn ist weit entfernt von dem, was die Frau zu hören erwartet. Jesus erklärt ihr nicht, wie Er dazu kommt, sie um einen Trunk aus ihrem Becher zu bitten. Statt dessen versucht Er unmittelbar, ihr zu zeigen, dass sie diejenige ist, die „Wasser“ braucht, und dass das „Wasser“, das Er zu geben hat, weit besser ist als das Wasser, das sie geben kann.

Beachten Sie die einzelnen Bestandteile dieser Offenbarung. Zuerst leitet unser Herr vom buchstäblichen Wasser (Trinkwasser) zu einem „spirituellen“ Wasser über – zu der Erlösung, die Er dieser Frau anbietet. Als Zweites deutet Jesus an, dass es da etwas gibt, was die Frau nicht weiß. Sie kennt weder die „Gabe Gottes“ noch die Identität Dessen, der zu ihr spricht. Wenn sie diese Dinge kennen würde, so sagt ihr Jesus, hätte sie Ihn um etwas zu trinken gebeten und er hätte ihr „lebendiges Wasser“ zu trinken gegeben. Die Frau versteht nicht, was Jesus sagt; aber sie versteht doch so viel, dass Er jemand Wichtiges zu sein und etwas zu besitzen behauptet, das auch sie haben wollen würde, wenn sie erst wüsste, wer Er ist und was Er ihr geben kann.

So wie Nikodemus vor ihr, nimmt auch die Frau Jesus wörtlich. Sie glaubt, dass Jesus ihr sagen will, Er könne ihr besseres Wasser geben als das, was der Brunnen hergibt. Sie versteht Jesus so, dass Er mit „lebendigem Wasser“ Quellwasser meint. Wenn Jesus aber „besseres Wasser“ hat als das, was sie aus dem Jakobsbrunnen holt – woher will Er es dann nehmen? Der Brunnen ist tief und Jesus hat kein Gefäß, mit dem Er Wasser schöpfen könnte. Wie kann Er dann behaupten, dass Er ihr besseres Wasser geben könnte?

Wenn Sein Wasser wirklich besser ist als das, was man aus diesem Brunnen holen kann, dann muss Jesus der Meinung sein, Er sei zumindest mehr als Jakob, der den Brunnen grub, Menschen und Vieh damit gleichermaßen üppig versorgte und ihn dann seinen Nachkommen hinterließ, zu denen die Frau auch sich selbst zählt. Wagt Jesus etwa zu behaupten, er wäre größer als Jakob?

Jesus beantwortet die Frage, ob Er größer sei als Jakob, noch nicht sofort. Er lässt sie für den Moment außer Acht und antwortet darauf indirekt, indem Er zeigt, inwiefern Sein „Wasser“ besser ist als „Wasser“ vom Jakobsbrunnen. Das „Wasser“ vom Jakobsbrunnen löscht wohl vorübergehend den Durst, aber nur eine Zeit lang, und dann braucht man wieder Wasser. Die Frau sieht die Unterlegenheit dieses „Wassers“ ein, denn Tag für Tag muss sie wieder zum Brunnen gehen, um neues zu holen. Das „Wasser“, von dem unser Herr spricht, ist erheblich besser. Dieses „Wasser“ löscht den Durst anhaltend. Wer Sein Wasser trinkt, wird niemals wieder Durst leiden – und dieses „lebendige Wasser“ bringt ewiges Leben hervor.

Dritter Schritt:
Die Frau möchte dieses Wasser haben
(4:15-18)

15 Die Frau sagte zu ihm: „Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierher kommen muss, um Wasser zu schöpfen.“

16 Er sprach zu ihr: „Geh, ruf deinen Mann und komm hierher zurück.“

17 Die Frau erwiderte: „Ich habe keinen Mann.“

Jesus sprach zu ihr: „Du hast Recht, wenn du sagst ‚Ich habe keinen Mann’, 18 denn fünf Männer hast du gehabt, und der Mann, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Darin hast du die Wahrheit gesagt!“

Wenn es etwas gibt, das zu brauchen die Samariterin zuzugeben bereit ist, dann ist es Wasser. Deshalb kommt sie ja heraus zum Jakobsbrunnen. Jesus bittet sie zunächst um etwas von diesem Wasser und leitet dann dazu über, ihr zu sagen, dass Er besseres Wasser – lebendiges Wasser – für sie hat, Wasser, das ewiges Leben hervorbringt, Wasser, das den Durst für immer stillt. So ein Wasser ist genau das, was die Frau braucht, und so sagt sie zu Jesus, dass sie gerne etwas von Seinem „Wasser“ hätte. Offensichtlich versteht sie nicht wirklich, was dieses „Wasser“ ist, aber sie ist gerne bereit, es anzunehmen, wenn es nur dazu beiträgt, dass dies ihr letzer Gang in der Mittagshitze zum Jakobsbrunnen war.

Hier möchte ich einen Moment innehalten. Seien wir ehrlich: Wirkt diese Frau nicht sehr leichtgläubig? Würde es uns wundern, wenn sie auch Interesse für jemanden zeigte, der ihr die Brooklyn Bridge für 25 Dollar anbietet? Würde sie töricht alles glauben, was ihr jemand erzählt? Ich denke, nicht. Jesus Selbst behauptet, „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ zu sein (Johannes 14:6). Sollte die Frau also Jesus nicht glauben? Alles, was Er sagt, ist doch wahr. Wenn Er, der die Wahrheit ist, Ihnen sagen würde, dass Er „lebendiges Wasser“ zu geben hat, das Ihren Durst für immer löscht und das ewiges Leben hervorbringt – sollten Sie Ihm dann nicht glauben? Diese Frau ist nicht töricht; sie hat Vertrauen zu Jesus, genug Vertrauen, um Seinem Wort zu glauben. Ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit einfach noch einmal daran erinnern, dass jeder, der Jesus beim Wort nimmt, für töricht gehalten wird von denen, die nicht gerettet und die blind für die Wahrheit sind.

Jesus ist nun an dem Punkt, wo Er die Frau weiter voranbringen will in der Erkenntnis dessen, was dieses „lebendige Wasser“ wirklich ist. Er spricht nicht von gegenständlichem Wasser, sondern symbolisch von der Erlösung, die Er bringt. Also lenkt Er die Aufmerksamkeit der Frau auf einere tiefere Ebene ihrer Bedürftigkeit. Sie hat bereits ihre „Bedürftigkeit“ nach Wasser zu erkennen gegeben, das den Durst für immer löscht. Nun zeigt ihr Jesus, dass sie eines „Wassers“ bedarf, das sie von ihren Sünden reinigt. Also weist Er die Frau an, ihren Mann zum Brunnen zu bringen.

Jesus ist damit bis zur tiefsten Ebene der Bedürftigkeit dieser Frau vorgedrungen, zur Bedürftigkeit der Reinigung von Sünden. Dazu macht Er auf sanfte Weise die Sünde in ihrem Leben offenbar, indem Er sie auffordert, ihren Mann herzubringen. Sie trifft eine Entscheidung – keine ungewöhnliche, sondern eine sehr vorhersehbare Entscheidung. Sie entscheidet sich dafür, ihre Sünde zu verbergen, indem sie Jesus eine Antwort gibt, die zwar dem Wortlaut nach wahr, dem Inhalt nach aber unaufrichtig ist. Sie erzählt Jesus, dass sie keinen Ehemann hat.

Jeder andere Mensch (ohne göttliche Offenbarung) hätte ihre Antwort für bare Münze genommen und seine Aufforderung zurückgezogen. Jesus dagegen offenbart Seine Allwissenheit, indem Er der Frau sagt, dass sie (technisch gesehen) Recht hat – sie hat nicht einen Mann. Sie hatte fünf Ehemänner, und der Mann, mit dem sie jetzt zusammen ist, ist nicht ihr Ehemann. Im besten Falle sind die beiden nicht verheiratet; im schlimmsten Falle schläft sie mit dem Ehemann einer anderen Frau. Wie dem auch sei, Jesus hat dieser Frau damit soviel gesagt, dass sie (zu Recht) daraus schließen kann, dass Er göttliches Wissen hat. Zumindest muss er ein Prophet sein. Aus dem, was Er ihr gesagt hat, schließt sie, dass Er ihr im Weiteren buchstäblich alles sagen könnte, was sie je getan hat. Ihre sexuelle Sünde ist vielleicht nur „die Spitze des Eisbergs“, aber sie ist überzeugt davon, dass Er den ganzen Eisberg kennt. Und sie hat Recht damit.

Vierter Schritt:
Eine geistliche Lösung für die Sünde
(4:19-24)

19 Die Frau sagte zu ihm: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. 20 Unsere Väter beteten auf diesem Berg an; ihr aber sagt, in Jerusalem sei der Ort, wo man anbeten müsse.“

21 Jesus sprach zu ihr: „Glaube mir, Frau, die Zeit wird kommen, da ihr den Vater weder auf diesem Berg noch in Jerusalem anbeten werdet. 22 Ihr betet an, was ihr nicht kennt. Wir beten an, was wir kennen, denn die Erlösung kommt aus den Juden. 23 Es kommt aber eine Zeit – und ist nun da –, da die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden, denn der Vater sucht solche Menschen als seine Anbeter. 24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten.“

Jetzt liegen die Karten auf dem Tisch und die sprichwörtliche Katze ist aus dem Sack: Ihre Sünde – die den Tod verdient – liegt offen da. Jetzt wird ihr wahrer „Durst“, ihre wahre Bedürftigkeit offensichtlich. Manche Menschen betrachten die Antwort der Frau als Ausflucht, als den Versuch, das Gespräch fort von dem Gegenstand ihrer Sünde zu bringen. Dieser Meinung bin ich nicht. Ich denke, die Frau ist begierig darauf zu hören, was Jesus zu sagen hat, und immer begieriger darauf, etwas von diesem „lebendigen Wasser“ zu bekommen. Sie sieht die Sache so, dass Jesus ein Prophet sein muss, und das sagt sie Ihm auch. Ist das nicht ein Fortschritt? Ist es nicht mehr als alles, was Nikodemus zuzugestehen bereit war? Nikodemus scheint sich zu verschließen, sobald Jesus zu nahe an seine Sünde herankommt, die Frau dagegen scheint sich zu öffnen und noch mehr erfahren zu wollen. Und so bittet sie Jesus (der nach ihrer Vorstellung ein Prophet ist) um eine autoritative Aussage darüber, wer denn nun recht hat, die Juden oder die Samariter. Ihre Frage sieht für mich nicht aus wie eine falsche Fährte; vielmehr entspringt sie wohl dem ehrlichen Bemühen, zum Kern des Unterschiedes zwischen dem „Glauben“ der Samariter und dem „Glauben“ der Juden vorzudringen.

Ein entscheidender Unterschied zwischen Samaritern und Juden bestand darin, dass die Samariter glaubten, man müsse Gott auf dem Berg Gerizim anbeten, während die Juden darauf beharrten, dass Gott in Jerusalem angebetet werden müsse. Wenn Jesus „ein Prophet“ ist, dann kann Er diesen Streitpunkt doch entscheiden, zumindest für die Frau. Wieder einmal ist die Antwort unseres Herrn nicht das, was sie erwartet haben mag. Man sollte meinen, dass Jesus zu ihr sagen würde: „Die Juden haben Recht und die Samariter Unrecht; die Menschen müssen Gott in Jerusalem anbeten.“ Aber er sagt es nicht, obwohl das in der Vergangenheit zutraf.

Jesus nimmt ein Thema auf, das Johannes schon in Kapitel 1, in der Unterhaltung zwischen Jesus und Nathanael, eingeführt hat:

47 Jesus sah Nathanael herankommen und sagte über ihn: „Siehe, ein wahrer Israelit, in dem kein Falsch ist!“ 48 Nathanael fragte ihn: „Woher kennst du mich?“ Jesus erwiderte: „Bevor Philippus dich rief, sah ich dich, als du unter dem Feigenbaum warst.“ 49 Nathanael antwortete ihm: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes; du bist der König von Israel!“ 50 Jesus sprach zu ihm: „Weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah, glaubst du? Du wirst noch größere Dinge sehen als das.“ 51 Und er fuhr fort: „Ich sage euch die tiefe Wahrheit: Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes zu des Menschen Sohn auf- und niederfahren sehen“ (Johannes 1:47-51; Hervorhebung durch B. Deffinbaugh).

Ich möchte Sie noch einmal an den Bezug der Worte aus Vers 51 zu der Jakobsvision in Genesis 28 erinnern.195 Jakob träumte von einer Leiter, die bis in den Himmel reichte. Engel stiegen an ihr hinauf und herunter. Jakob erkannte, dass Gott dort, im verheißenen Land Kanaan, den Menschen begegnete. Deshalb rief er aus: „Wirklich, der Herr ist an diesem Ort, und ich wusste es nicht.“ Und er fürchtete sich und sprach: „Wie Ehrfurcht gebietend ist dieser Ort! Dies ist nichts anderes als das Haus Gottes und es ist das Tor zum Himmel!“ (Genesis 28:16-17, NKJV).

Im ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums deutete Jesus Nathanael gegenüber an, dass sich mit Seiner Ankunft die Dinge ändern würden. Gott und die Menschen würden sich nicht mehr an einem bestimmten und dafür ausgewiesenen Ort treffen, sondern in einer dafür bestimmten Person – dem verheißenen Messias, der jetzt der Vermittler zwischen Himmel und Erde ist. Und deshalb hat es keinen Sinn, die Debatte darüber fortzusetzen, welcher Ort denn derjenige sei, an dem die Menschen Gott anbeten könnten. Er selbst war die Person, durch die die Menschen Gott anbeten mussten.

Jesus sagt der Frau noch nicht, dass Er der einzige Weg zu Gott ist. Zu diesem Zeitpunkt sagt Er ihr nur, dass es nichts bringt, immer noch über den rechten Ort zur Anbetung zu streiten. Allerdings gibt es schon einen schwerwiegenden Irrtum in der samaritischen Religion: Sie haben versucht, Gott auf ihre eigene Art anzubeten, unabhängig vom Judentum. Damit haben sie Unrecht, zutiefst Unrecht. Es ist falsch, die Errettung unabhängig von den Juden zu suchen: Die Erlösung kommt „aus den Juden“. Wenn die Samariter gerettet werden wollen, müssen sie sich von ihrem Religionssystem abkehren und einer Rettung zuwenden, die „aus den Juden“ kommt. Sie kommt in dem Sinne „aus den Juden“, dass der Messias ein Jude ist. Sie kommt „aus den Juden“, indem sie die Erfüllung von Gottes Verheißungen gegenüber den Juden darstellt, die Erfüllung durch Sein Wort, das Er den Juden gegeben hat. Gerade so, wie Nikodemus das Königreich Gottes nicht sehen kann, solange er den Traditionen der Pharisäer anhängt, kann auch die Frau das Königreich nicht sehen, wenn sie der Religion der Samariter folgt.

Eine Anbetung, die Gott annehmbar findet, entspricht nicht der samaritischen Anbetung und auch nicht der pharisäischen Anbetung (siehe Lukas 18:9-14). Die Menschen können Gott nur anbeten, wenn sie dies „in Geist und Wahrheit“ tun (Vers 23 und 24). Bibelstudierende interpretieren diese Worte auf unterschiedliche Weise. Ich neige dazu, unseren Herrn folgendermaßen zu verstehen: Weil Gott Geist ist, müssen die Menschen Gott „im Geist“ anbeten; das heißt, sie müssen Gott spirituell anbeten. Damit ist der Ort nicht so wesentlich wie der „Geist“, in dem die Anbetung geschieht. Außerdem neige ich zu der Auffassung, dass Jesus das Wort „Geist“ – wie Er es ja oft (z.B. beim „Wasser“) tut – in doppelter Bedeutung benutzt. So sagt unser Herr, dass die Menschen nur durch den Dienst des Heiligen Geistes anbeten können, der die geistliche Anbetung erst möglich macht. „Wahrheit“ schließlich verstehe ich so, dass sich das Wort auf die Wahrheit sowohl im allgemeinen (das, was wahr ist) als auch im besonderen Sinne (die Wahrheit von Gottes Wort und die Wahrheit der Worte unseres Herrn) bezieht. Die Menschen können Gott nicht nach Gutdünken anbeten (wie es die Samariter taten, die das Alte Testament auf die fünf Bücher des Gesetzes beschränkten); nein, die Menschen können Gott nur gemäß dem anbeten, was Er in Seinem göttlichen Wort offenbart hat. Solcherart sind die Anbeter, die Gott sich wünscht.

Fünfter Schritt:
Auf Christus als die Antwort vertrauen
(4:25-26)

25 Die Frau sagte zu ihm: „Ich weiß, dass der Messias196 kommt (der da Christus genannt wird). Und wenn er kommt, wird er uns alles kundtun.“

26 Jesus sprach zu ihr: „Ich bin es, ich, der zu dir spricht.“

Weder der samaritische noch der jüdische Glaube sind der Frau unbekannt. Also stellt sie eine Verbindung her zwischen dem, was unser Herr über die Anbetung „in Geist und Wahrheit“ sagt, und dem verheißenen Messias. Sie geht davon aus, dass der Messias, wenn Er kommt, alle diese Dinge schon irgendwie klären wird. Er wird die Wahrheit darüber offenbaren, wie die Menschen Gott anbeten müssen.

Wären Sie nicht auch gerne bei diesem Gespräch dabei gewesen, besonders als die Worte in den obigen zwei Versen gesprochen wurden? Die Frau sagt zu Jesus, dass sie auf den Messias wartet, der die Wahrheit über die wahre Anbetung offenbaren wird. Und Jesus sagt zu ihr: „Ich bin der Messias.“197 Das erinnert mich daran, wie Maria vor dem leeren Grab unseres Herrn weint. Ihre Augen sind so voller Tränen und ihre Hoffnungen so sehr am Boden zerstört, dass sie kaum auf Den achtgibt, der zu ihr spricht. Aber mit einem einzigen Wort, „Maria“, kommt die volle Erkenntnis darüber, wer da spricht und was es bedeutet, dass Er dort ist.

Ich würde nicht unbedingt davon ausgehen, dass die Frau in diesem Moment zur Erlösung kommt, aber sicher ist sie „nicht weit entfernt vom Königreich Gottes”. Und ich glaube, dass am Ende des Aufenthaltes unseres Herrn bei den Samaritern nicht nur die Frau, sondern auch die meisten Bewohner von Sychar an Seinen Namen zu ihrer Rettung glaubten. An dieser Stelle, möchte ich betonen, bringt unser Herr die Frau erst einmal an den Punkt, wo sie einsieht, dass sie als Sünderin der Erlösung bedarf, wo sie versteht, dass ihre (samaritische) Religion sie nicht retten kann und wo sie erkennt, dass die Rettung nur durch den Glauben an Jesus als den verheißenen (jüdischen) Messias kommt. Das bringt uns zum nächsten und letzten Schritt.

Sechster Schritt:
Die Gute Nachricht mit anderen teilen
(4:28-30)

27 Genau in diesem Augenblick kamen seine Jünger zurück. Sie waren schockiert darüber, dass er mit einer Frau sprach, doch keiner sagte: „Was willst du?“ oder „Warum redest du mit ihr?“ 28 Da ließ die Frau ihren Krug stehen198 und ging fort in die Stadt und sagte zu den Leuten199: 29 „Kommt her und seht, da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich je getan habe. Er ist doch nicht etwa der Messias?“ 30 Da liefen sie aus der Stadt heraus und kamen zu ihm.

Ich übergehe Vers 27 erst einmal und nehme ihn wieder auf, wenn wir betrachten, wie unser Herr mit Seinen Jüngern umgeht. Im Moment beschäftigen wir uns erst einmal mit Vers 28-30. Diese Verse bilden den abschließenden Schritt im Prozess der Erlösung – das Teilen des neu gefundenen Glaubens mit anderen200. Ursprünglich hatte die Frau vorgehabt, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, aber nun lässt sie ihren Wasserkrug stehen und eilt zurück nach Sychar, wo sie den anderen von Jesus erzählt. Sie sieht über die Enthüllung der Tatsachen über ihre Ehen und ihre Unmoral durch unseren Herrn hinaus und erzählt ihnen, dass ein Mann ihr „alles erzählt habe, was sie je getan hat“. Die Frau spricht davon, dass Jesus möglicherweise der Messias ist. So, wie sie ihre Frage formuliert, ist sie sich in dieser Hinsicht nicht sicher, aber zumindest betrachtet sie Jesus als möglichen Messias. Das erweckt wohl die Neugier derer, die diese Frage hören, und die ganze Stadt macht sich gemeinsam mit der Frau auf den Weg hinaus zum Brunnen.

Der Umgang mit den Jüngern
(4:27, 31-38)

27 Genau in diesem Augenblick kamen seine Jünger zurück. Sie waren schockiert darüber, dass er mit einer Frau sprach, doch keiner sagte: „Was willst du?“ oder „Warum redest du mit ihr?“ ... 31 In der Zwischenzeit drängten ihn seine Jünger: „Rabbi, iss etwas.“ 32 Er aber sprach zu ihnen: „Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr nichts wisst.“ 33 Da redeten die Jünger untereinander: „Es hat ihm doch niemand etwas zu essen gebracht, oder?“

34 Jesus sprach zu ihnen: „Meine Nahrung ist es, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und dass ich sein Werk vollende. 35 Sagt ihr nicht ‚Noch vier Monate, dann kommt die Ernte’? Ich sage euch: Hebt doch eure Augen auf und seht, dass die Felder schon weiß zur Ernte sind! 36 Der Schnitter empfängt seinen Lohn und sammelt Frucht für das ewige Leben, so dass der Sämann und der Schnitter sich gemeinsam freuen können. 37 Denn in diesem Fall trifft das Sprichwort zu: ‚Einer sät, und ein anderer erntet.’ 38 Ich habe euch ausgesandt zu ernten, wofür ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet und ihr seid in ihre Arbeit gekommen.“

Lassen Sie mich einmal versuchsweise dieses Bild zeichnen, so wie ich es sehe: Jesus und Seine Jünger machen Rast am Brunnen. Jesus ist müde und verweilt dort, während Seine Jünger in die Stadt gehen, um Lebensmittel zu kaufen. Nachdem sie gegangen sind, kommt die Samariterin, und es entspinnt sich eine Unterhaltung, die Johannes für uns aufgezeichnet hat. Das Gespräch endet gerade, als die Jünger von Sychar zurückkehren. Die Frau lässt ihren Wasserkrug stehen und eilt zurück in die Stadt. Die Jünger drängen Jesus, doch von dem zu essen, was sie gerade aus der Stadt mitgebracht haben. Wenn man den Jüngern über die Schulter schaut, sieht man die Bewohner von Sychar von Weitem en masse herbeiströmen, um Den zu sehen und zu hören, über den die Frau Zeugnis abgelegt hat.

Die Jünger kommen demnach gerade rechtzeitig aus Sychar zurück, um das Ende der Unterhaltung zwischen Jesus und der samaritischen Frau mitzuerleben, und sind erstaunt darüber, dass Jesus mit ihr gesprochen hat. Das liegt nicht daran, dass sie eine Samariterin ist, auch nicht daran, dass sie eine Sünderin ist (sie wissen über ihr moralisches Verhalten ja nicht das, was Jesus weiß), sondern schlicht und einfach daran, dass sie eine Frau ist. Vonseiten der Jünger geht es also nicht so sehr um rassenbezogene als um geschlechtsbezogene Vorurteile. Sie können sich keinen einzigen guten Grund dafür vorstellen, dass Jesus mit einer Frau sprechen sollte. Morris hilft uns, das vom jüdischen Standpunkt aus zu verstehen:

Vielleicht der größte Makel in der rabbinischen Einstellung Frauen gegenüber lag darin, dass die Rabbiner zwar das Studium des Gesetzes für das größte Gut im Leben überhaupt hielten, die Frauen andererseits aber ganz und gar davon abhalten wollten. Als Ben Azzai vorschlug, dass Frauen für bestimmte Zwecke im Gesetz unterrichtet werden sollten, entgegnete ihm R. Eliezer: ‚Wenn ein Mann seiner Tochter Wissen über das Gesetz verschafft, so ist das geradesogut, wie wenn er sie die Wollust lehren würde’ (Sot. 3:4).201

Auch wenn die Jünger unseres Herrn überrascht darüber sind, dass Jesus mit einer Frau spricht, bringen diesen Punkt doch nicht zur Sprache. Vielleicht sind sie in der letzten Zeit schon einmal zu oft ins Fettnäpfchen getreten und jetzt will keiner mehr die Peinlichkeit auf sich nehmen, schon wieder der zu sein, der eine dumme Frage stellt. Sie fangen wohl zumindest an zu lernen, dass unser Herr immer im Recht ist, selbst mit dem, was der Judaismus als Unrecht bezeichnen würde.202 Vielleicht stellen die Jünger aber ihre Frage auch einfach zurück zugunsten eines wichtigeren Themas – Mittagessen. Das klingt albern, nicht wahr? Aber ist es nicht vielleicht wirklich so? Sind die Jünger nicht ganz besorgt darum, dass unser Herr auch ja etwas isst? Warum sollten sie das sein?

Dafür kann man sich mehrere Gründe vorstellen, von denen keiner besonders fromm ist. Im besten Fall könnte man die Worte der Jünger etwa so verstehen: „Jesus, Du bist müde und Du musst Deine Kräfte wieder aufbauen. Bitte iss, denn Du brauchst Nahrung, wenn wir unsere Reise fortsetzen wollen.“ Etwas davon mag hier schon enthalten sein. Es kann aber auch sein, dass die Jünger mit dem Essen gewartet haben, bis Jesus mit ihnen essen konnte. Sie möchten, dass Er isst, damit sie auch essen können. (Oder vielleicht hat Petrus sogar schon ein halbes Sandwich heruntergeschlungen und drängt Jesus jetzt mit vollem Mund, es ihm nachzutun: „Na los, Jesus, iss schon was.“) Und schließlich sind die Jünger vielleicht auch deswegen so auf das Mittagessen fixiert, weil sie es mit so großer Mühe beschafft haben: Sie sind den ganzen Weg bis in die Stadt und zurück gelaufen. Sie sind in die Stadt gegangen, um Lebensmittel zu kaufen, und nachdem sie diese ganze Anstrengung auf sich genommen haben, um das Essen für unseren Herrn zu besorgen, ist das Mindeste, was Er tun kann doch, sich die Zeit zu nehmen und zu essen. Vielleicht waren die Jünger ja eine kollektive, männliche Version der Martha (siehe Lukas 10:38-42).

Wieder einmal ist die Antwort unseres Herrn auf das Drängen Seiner Jünger nicht das, was man erwarten würde. Statt über das buchstäbliche Essen zu sprechen, spricht Er über geistliche „Nahrung“. Die Antwort unseres Herrn an Seine Jünger legt einige sehr wichtige Prinzipien fest, Prinzipien, die nicht nur Sein Leben und Seinen Dienst leiteten, sondern von denen auch Seine Jünger geleitet werden sollten – und zu diesen „Jüngern“ sollten auch wir uns zählen.

(1) Die wichtigste „Nahrung“ unseres Herrn ist es, den Willen des Vaters zu tun, indem Er Sein Werk vollbringt (Vers 34). Warum bezeichnet Jesus Sein „Werk“ als Seine „Nahrung“? Ich frage mich, ob die Antwort auf diese Frage nicht in der Szene über die Versuchung unseres Herrn enthalten ist:

1 Und Jesus kehrte, erfüllt vom Heiligen Geist, vom Jordan zurück, und er wurde vom Geist in der Wüste umhergeführt 2 und dort vierzig Tage lang vom Teufel versucht. Während dieser Tage aß er nichts, und als sie vorüber waren, war er hungrig. 3 Der Teufel sprach zu ihm: „Wenn du der Sohn Gottes bist, so befiehl diesem Stein, dass er zu Brot werden soll.“ 4 Jesus antwortete ihm: „Es steht geschrieben: ‚Der Mensch lebt nicht von Brot allein.’“ (Lukas 4:1-4)

Jesus hat Hunger, denn Er hat 40 Tage lang gefastet. Satan versucht Ihn zu überreden, dass Er einem Stein zu Brot zu werden befiehlt. Die Macht, das zu tun, hat Jesus natürlich. Aber er lehnt es ab und zitiert Deuteronomium 8:

1 „Jedes Gebot, dass ich dir heute gebiete, müsst ihr sorgfältig beachten, um zu leben und euch zu mehren und hineinzugehen und das Land in Besitz zu nehmen, das der Herr euren Vätern zugeschworen hat. 2 Und gedenke des ganzen Weges, den dich der Herr, dein Gott, diese vierzig Jahre lang in der Wildnis geleitet hat, um dich zu demütigen und zu prüfen, damit erkennbar würde, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht. 3 So demütigte er dich, ließ zu, dass du Hunger littest und nährte dich mit dem Manna, das weder du kanntest noch deine Vorfahren gekannt hatten, damit er dich wissen lasse, dass der Mensch nicht von Brot allein leben soll; sondern der Mensch lebt von einem jeden Wort, das aus dem Munde des Herrn kommt“ (Deuteronomium 8:1-3, NKJV).

Gott ließ zu, dass die Israeliten Hunger litten, um zu prüfen, was in ihren Herzen war. Selbst Satan glaubt, dass die Menschen Gott anbeten werden, solange Er sie nur mit allem segnet, was sie begehren (siehe Hiob 1:6-12). Zum eigentlichen Test für den Glauben und Gehorsam des Menschen Gott gegenüber kommt es inmitten von Kummer und Not. Also ließ Gott zu, dass die Israeliten Hunger und Durst erlitten, damit der Zustand ihres Herzens offenbar würde – entweder durch ihren Gehorsam oder durch ihre Auflehnung.

Einer ähnlichen Prüfung wird auch unser Herr in der Wüste unterworfen, wo Er 40 Tage lang fastet. Satan versucht unseren Herrn dazu zu bringen, dass Er Brot „erschafft“, um Seinen Hunger zu stillen. Jesus aber lehnt das ab und verweist auf den obigen Text aus Deuteronomium. Die dort beschriebenen Umstände gleichen denen, in denen Er selbst sich befindet. „Der Mensch lebt nicht von Brot allein“, erinnert Jesus Satan, „sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde des Herrn kommt.“ Nicht nur tatsächliches Brot hält unseren Herrn (und jeden anderen auch) am Leben, sondern Gottes Wort, und insbesondere auch der Gehorsam gegenüber Gottes Wort.203

Als Jesus von Seinen Jüngern dazu gedrängt wird zu essen, weigert Er Sich und sagt ihnen, dass Er eine andere „Speise“ zu essen hat, die sie nicht kennen. Damit spricht Er die gleiche Wahrheit aus, die Er schon Satan gegenüber kundgetan hat und die Gott, durch Moses, den Israeliten verkündet hatte. Nicht nur die Aufnahme von tatsächlicher Nahrung hält uns am Leben, sondern den Willen Gottes zu tun. Wenn das Essen uns daran hindert, den Willen Gottes zu tun, muss das Essen warten und nicht der Gehorsam Gott gegenüber. Gottes Willen zu tun – nämlich (selbst den Heiden) die Erlösung zu bringen und zu verkünden – ist die primäre Absicht und Berufung unseres Herrn. Und Er würde niemals zulassen, dass Ihn eine Mahlzeit davon abhielte. Es gibt etwas zu tun in diesem Moment – die Menschen aus der Stadt sind schon von Weitem sichtbar. Da hat man keine Zeit zu essen.

Ist das nicht überhaupt die Wahrheit, die dem Fasten zugrunde liegt? Ich weiß, viele machen mehr aus dem Fasten als eigentlich angemessen ist. Fasten ist keine Zauberei, es bedeutet nicht, dass wir Gott dazu bringen, unseren Willen zu tun. Vielmehr ist es unsere Unterwerfung unter Seinen Willen, die sich in diesem Fall darin ausdrückt, dass wir unsere Zeit lieber im Gebet oder mit einem bestimmten Dienst verbringen als damit, eine Mahlzeit zu uns zu nehmen. Und drückt sich das nicht auch bei den selteren Gelegenheiten aus, wenn ein Mann und seine Frau freiwillig übereinkommen, auf den Geschlechtsverkehr zu verzichten, damit sie sich umso mehr dem Gebet hingeben können (siehe 1. Korinther 7:5)?

Ich muss zugeben, dass mich nur sehr wenige Dinge vom Essen abhalten können. Jesus ordnet das Essen der Notwendigkeit unter, den Willen Gottes zu tun. Normalerweise müssen wir essen, damit wir die Kraft haben, Seinen Willen zu tun (siehe 1. Samuel 14:24-30). Aber es gibt Zeiten, da uns nichts von der uneingeschränkten Hingabe an unsere Pflicht abhalten darf. Gottes Willen zu tun, ist wichtiger als eine Mahlzeit herunterzuschlingen. Ich frage mich, worauf wir bereit sind zu verzichten, damit wir das Evangelium mit denen teilen können, die verloren und für die Ewigkeit in der Hölle bestimmt sind?

(2) Die Mission unseres Herrn war umso dringender, als Seine Zeit auf der Erde kurz bemessen war (Vers 35 ff.). Hat Jesus noch nicht einmal Zeit, sich hinzusetzen und ein Sandwich zu essen? Jesus hat ein Gefühl dafür, wann die rechte Zeit für jedes Ding gekommen ist (siehe Johannes 2:4, 7:6) – und Seine Zeit ist wirklich begrenzt. Und weil Er so wenig Zeit hat, nimmt Er Sich nicht die Zeit, die Ihn eine Mahlzeit kosten würde.

Was die Heiligen von heute daraus lernen sollen, ist ganz offensichtlich: Sind wir uns dessen bewusst, wie kurz die Zeit bemessen sein kann? Haben wir ein Gefühl für die Dringlichkeit unserer Mission? Der schlechte Diener hat das Gefühl, dass die Zeit noch lang ist und nichts ihn drängt (Lukas 12:35-48). Das Wort Gottes aber ruft uns immer wieder dazu auf, die Zeit einzulösen, denn unsere Zeit ist kurz.

15 Achtet also genau darauf, wie ihr lebt, dass ihr nicht als Unweise, sondern als Weise lebt 16 und jede Gelegenheit ausnutzt, denn die Tage sind schlecht. 17 Seid deshalb nicht töricht, sondern weise, und erkennt, was der Wille unseres Herrn ist (Epheser 5:15-17).

29 Und ich sage euch dies, Brüder und Schwestern: Die Zeit ist kurz. So seien fortan die, die Ehefrauen haben, so wie jemand, der keine hat, 30 die Weinenden so wie jemand, der nicht weint, die sich freuen so wie jemand, der sich nicht freut, die kaufen so wie jemand ohne Besitztümer, 31 die Gebrauch von dieser Welt machen so, als machten sie keinen vollen Gebrauch von ihr. Denn die gegenwärtige Gestalt dieser Welt vergeht (1. Korinther 7:29-31).

Verhaltet euch gegenüber Außenstehenden mit Weisheit und macht das beste aus jeder Gelegenheit (Kolosser 4:5).

Ihr wisst nicht, was morgen sein wird. Denn was ist euer Leben? Eine Rauchwolke seid ihr, die für kurze Zeit erscheint und dann wieder verschwindet (Jakobus 4:14).

Gesegnet ist, der die Worte dieser Prophezeiung laut liest, und gesegnet sind, die das hören und befolgen, was darin geschrieben steht, denn die Zeit ist nahe (Offenbarung 1:3).

Jetzt ist die Zeite der Ernte – nicht später. Anscheinend bedeutet die Aussage „Noch vier Monate, dann kommt die Ernte“ in gewisser Weise, dass die Erntezeit noch lange hin ist. Für die Getreideernte mag das zutreffen, nicht aber für die Ernte der Seelen, die genau dort und in wenigen Augenblicken stattfinden wird. Es gilt keine Zeit zu verlieren, keine Zeit zu vergeuden. Die Zeit der Ernte ist da.

(3) Unser Herr erfüllte Seine Mission; uns aber hat er den Auftrag gegeben, das Evangelium der verlorenen Welt zu verkünden, bis Er wiederkommt. Die Zeit ist kurz, und ein ganzes Team von Arbeitern wird benötigt, um diese Aufgabe zu erfüllen (Vers 36-38). Anscheinend waren diejenigen, die die Ernte einbrachten, nicht diejenigen, die die Felder eingesät hatten. Das ist, glaube ich, heute noch so. Wo heutzutage in den Vereinigten Staaten Weizen angebaut wird, legen die Farmer vielleicht ihre eigenen Getreidepflanzungen an, aber die Erntezeit ist so kurz, dass meist eine ganze Kolonne professioneller Erntehelfer beschäftigt wird. Lastwagen und Mähdrescher werden herangeschafft, und innerhalb von Stunden ist das Feld abgeerntet. Durch unvorhergesehene Verzögerungen bei der Ernte würde ein großer Teil des Getreides verloren gehen.

Die Jünger haben keine Vorstellung davon, was für eine große „Ernte“ gleich stattfinden wird und dass sie die Erntehelfer sind. Sie sind viel zu sehr mit dem Mittagessen beschäftigt gewesen, während andere fleißig bei der Arbeit waren und das Evangelium aussäten. In der Vergangenheit hatten nämlich die Propheten die Saat durch ihre Worte und durch die Schriften gelegt; und auch Männer wie Johannes der Täufer hatten die Saat des Evangeliums gesät204. An eben jenem Tag schließlich ist die Samariterin in die Stadt gegangen und hat Zeugnis darüber abgelegt, dass Jesus am Brunnen sitzt und ihr „alles gesagt hat, was sie je getan hat“. Sie hat die Saat gelegt, und nun ist es an Jesus und Seinen Jüngern zu ernten. Kein Wunder, dass Er keine Zeit zum Essen hat. „Die Felder sind schon weiß zur Ernte.“205

In unserem Land wird individuelle Leistung gut bezahlt und hoch belohnt. Konkurrenz scheint also eher angebracht zu sein als Kooperation. Jesus sagt Seinen Jüngern, dass sie in Kürze eine Ernte einbringen werden, aber Er weist sie auch darauf hin, dass sie dort ernten, wo andere gesät haben. Es ist nicht alleine ihre Arbeit; sie vollenden nur, was andere begonnen haben. Auch die Evangelisation ist keine Ein-Mann-Unterhaltung, sondern eine gemeinsame Anstrengung.

Die Erlösung kommt nach Samarien
(4:39-42)

39 Und viele Samariter aus dieser Stadt glaubten an ihn aufgrund der Rede der Frau, die bezeugte: Er hat mir alles gesagt, was ich je getan habe.” 40 Als aber die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu verweilen. Er blieb zwei Tage dort, 41 und aufgrund seines Wortes kamen noch viel mehr zum Glauben. 42 Sie sagten zu der Frau: „Wir glauben nun nicht mehr um deiner Worte willen, denn wir haben selbst gehört und wir erkennen, dass dieser wirklich der Erlöser der Welt ist.“

Was für ein Gegensatz ist doch Kapitel 4 zu Kapitel 3! In Kapitel 3 spricht Jesus mit Nikodemus, dem berühmtesten Lehrer und Führer seiner Zeit. Dieser Mann erkennt, dass Jesus etwas Besonderes an sich hat, und bekennt, dass Gott irgendwie mit Jesus sein muss, aber er widersteht allem, was unser Herr ihm sagt. Keinerlei Anzeichen deuten bei dieser ersten Begegnung zwischen Nikodemus und unserem Herrn darauf hin, dass Nikodemus zum Glauben finden wird. Der große „Führer“ findet es schwierig, Jesus zu „folgen“, und er führt niemanden zu Ihm. Die Frau am Brunnen scheint dagegen viel aufmerksamer und aufnahmefähiger für das zu sein, was Jesus ihr zu sagen hat. Schon nach dem ersten Gespräch mit Ihm ist sie auf einem guten Weg zum Glauben, ja, noch mehr, sie bringt auch noch viele andere zu Ihm. Wer hätte je gedacht, dass Nikodemus so wenig für das Reich Gottes tun würde und dass Gott andererseits so großen Gebrauch von dieser Samariterin machen würde?

Sehen Sie nur, was für ein Glaube sich in den Worten der Samariter widerspiegelt. Zunächst nehmen sie das Wort der Samariterin; aber nachdem sie Jesus selbst sprechen gehört haben, verlassen sie sich nicht mehr auf das Zeugnis der Frau, sondern auf das, was sie von Jesus selbst gehört haben. Keine Wunder werden uns berichtet (außer vielleicht dem, dass Jesus der Frau zu verstehen gab, dass Er alles über ihr Leben und ihre Sündhaftigkeit wusste), keine Zeichen, die unser Herr in Samarien vollbrachte (obwohl es natürlich Wunder gegeben haben kann, die Johannes bewusst nicht aufgezeichnet hat). Diese Samariter haben einen viel besseren Glauben als bloß den „Zeichenglauben“. Ihr Glaube ist „Wortglaube“, Glaube an Jesus Christus aufgrund von Dessen eigenen Worten. Die Samariter gelangen zum Glauben an Jesus als den Messias, als den „Erlöser der Welt“.

Schlussfolgerung

Ist das nicht ein großartiger Text? Man kann aus diesem Text viele Lektionen lernen, aber ich werde jetzt abschließend nur einige davon herausheben. Ist dieses ganze Kapitel nicht ein Prototyp, ein Vorgeschmack auf das, was kommt? Lag es nicht an der Hartherzigkeit und am Unglauben der Juden, dass das Evangelium zu den Heiden kam? Was für ein erstaunliches Beispiel für die Gnade, die Gott den Sündern entgegenbringt, und was für eine Ermutigung! Wieder einmal sehen wir, dass diejenigen das Evangelium ablehnen, die sich „zu gut dafür“ sind. Diese Frau aber – gemeinsam mit vielen Menschen aus ihrer Heimatstadt – bekennt ihre Sündhaftigkeit und findet ihre Errettung in Jesus Christus. Niemand ist je zu sündig, um gerettet zu werden – aber es sind derer viele, die zu „gerecht“ (selbstgerecht) sind, um gerettet zu werden. Das vierte Kapitel des Johannes-Evangeliums bereitet uns auf die große Ernte der sündigen Heiden vor, die in Kürze gerettet werden sollen durch Tod, Begräbnis und Auferstehung Jesu Christi und durch die Ablehnung der Juden, die Ihn nicht als den Messias anerkennen wollen.

Wie merkwürdig, dass es unserem Herrn notwendig erschien, durch Samarien zu reisen. Warum war das so? Nun, natürlich deswegen, weil Gott vorhatte, die Samariter aus ihrer Sündhaftigkeit zu erlösen. Aber es gibt auch noch einen anderen, einen ganz einfachen Grund: Die Samariter würden nicht zu Jesus kommen, also kam Jesus zu ihnen. Wir gehen, denke ich, öfters davon aus, dass die Ungläubigen zu uns kommen sollten; aber das ist nur eine Erwartung unsererseits, und zwar eine schlechte. „Geht“ ist ein wichtiges Wort innerhalb des Großen Auftrags, und Jesus hat uns das beispielhaft vorgemacht206. Wenn die Kirche zu den Ungläubigen sagt „kommt“, wollen wir daran denken, dass unser Herr zur Kirche sagt „geht“. Das erste, was die Samariterin tut, ist, zu den Verlorenen in ihrer Stadt zu „gehen“.

Unser Text fordert mich dazu heraus zu fragen, wie engagiert ich denn selbst dabei bin, unserem Herrn zu gehorchen. Das „Werk“, dem unser Herr Sich widmete, war das „Werk des Vaters“, das Werk der Erlösung. Er gab Sich der Vollendung Seines Werkes so sehr hin, dass er es sogar ablehnte zu essen, wenn das Werk dadurch behindert wurde. Bin ich genauso engagiert bei der Errettung der Menschen wie Gott es ist? Bin ich bereit, auf eine Mahlzeit zu verzichten, auf einen ruhigen Abend, auf ein größeres Haus, auf einen aufwändigeren Lebensstil, damit Gottes Werk vorangebracht wird? Dieser Text entblößt meine eigene Selbstbezogenheit, mein Zögern, wenn es darum geht, meine eigenen Interessen denen Gottes unterzuordnen.

Ich bin auch herausgefordert zu überdenken, was es eigentlich ist, das mich inspiriert und motiviert. Mein Appetit ist für mich eine starke Motivation zu essen und mein Bedürfnis zu befriedigen. Gottes Absicht und Werk war die Motivation für unseren Herrn. Nahrung gibt uns Kraft und Ausdauer. Wenn die „Nahrung“ unseres Herrn darin bestand, das Werk zu vollbringen, das Sein Vater Ihm aufgetragen hatte, dann kam seine Stärke und Motivation für den Dienst aus diesem Werk. Heutzutage hört man viel von „Burnout“, und ich habe damit schon immer meine Schwierigkeiten gehabt, denn ich finde diesen Ausdruck nirgendwo in der Bibel. Inzwischen frage ich mich, ob die zugrunde liegende Vorstellung denn biblisch ist. Sind Christen „ausgebrannt“, wenn sie zu viel dafür gearbeitet haben, den Willen des Vaters zu tun? Mir scheint, dass wir doch kaum dadurch „ausgebrannt werden“ können, dass wir das Werk des Vaters zu unserem eigenen Werk machen, wenn es doch Sein Werk ist, das uns stärkt und befähigt. Dieses ganze Thema sollte noch einmal sorgfältig und unter Berücksichtigung unseres Textes durchdacht werden.

Wenn die Errettung der Verlorenen so wichtig ist, dann ist es klar, dass uns nichts davon abhalten sollte – noch nicht einmal etwas, das so „gut“ ist wie ein Mittagessen. Ist es nicht das, was Jesus Seinen Jüngern sagt? Und wenn etwas, das im Wesentlichen gut und notwendig ist, einmal ausgelassen werden muss, um Gottes Werk zu vollenden, dann müssen natürlich Dinge, die nicht gut sind, umso mehr beiseite gelassen werden:

1 Darum, dass wir eine so große Wolke von Zeugen um uns haben, müssen wir alles ablegen, was uns beschwert, und alle Sünde, die so fest an uns hängt, und mit Ausdauer das Rennen laufen, das uns zugedacht ist, 2 indem wir unsere Augen fest auf Jesus richten, den Vorreiter und den Vollender unseres Glaubens. Für die Freude, die vor ihm lag, ertrug er das Kreuz und missachtete dessen Schande, und er hat seinen Platz zur Rechten des Thrones Gottes eingenommen (Hebräer 12:1-2).

Welche Hindernisse sind es, die wir beiseite legen sollten, um den Willen des Vaters zur Errettung der Menschen effektiver auszuführen? Dass wir „Eigeninteressen“ beiseite legen müssen, haben wir bereits gesehen. In unserem Text lernen wir weiter, dass wir auch unsere Vorurteile bezüglich Rasse, Kultur, Geschlecht (um nur ein paar zu nennen) ablegen müssen. Wir müssen jede Selbstgerechtigkeit ablegen und erkennen, dass Christus kam, um die Sünder zu retten, unter denen wir selbst die größten sind (siehe Timotheus 1:12-16).

Wir müssen unsere falschen Ansichten über die Frömmigkeit ablegen. Wir werden nicht dadurch heiliger, dass wir jeden Kontakt mit Sündern vermeiden. Wir werden heilig, wenn wir die Gewohnheiten ablegen, die uns einst als Sünder kennzeichneten. Wie die Pharisäer Abstand von den Sündern zu halten, macht jemanden nicht frommer, und es hielt sie davon ab, das Licht des Evangeliums mit denen zu teilen, die dessen bedurft hätten.

Wir müssen auch unsere falschen Vorstellungen darüber ablegen, wen Gott zur Errettung anderer gebrauchen kann. Warum konzentrieren und fixieren heutzutage so viele Christen (wenn sie denn versuchen zu evangelisieren) ihre Aufmerksamkeit und Mühe auf die „Nikodemusse“ unserer Zeit? Warum bemühen wir uns um diejenigen, von denen wir annehmen, dass sie Ansehen und Einfluss haben, und glauben, dass sie dadurch mehr Menschen zu Christus bringen werden? Sollten wir nicht etwas aus dem Gegensatz zwischen Nikodemus in Kapitel 3 und der Frau am Brunnen in Kapitel 4 lernen? Und ist das nicht genau das, was auch der Apostel Paulus lehrte?

18 Denn die Botschaft vom Kreuz ist Torheit für die, die zugrunde gehen; für uns aber, die wir gerettet sind, ist sie die Kraft Gottes. 19 Denn es steht geschrieben: „Ich will die Weisheit der Weisen zunichte machen, und die Klugkeit der Klugen will ich vereiteln.“ 20 Wo ist der Weise? Wo der Rechtsgelehrte für das Mosaische Gesetz? Und wo der kluge Redner dieser Zeit? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn da in der Weisheit Gottes die Welt Gott durch ihre eigene Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott, durch törichte Predigt die zu erretten, die daran glauben. 22 Nun fordern die Juden Wunderzeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit. 23 Wir aber predigen einen gekreuzigten Christus, einen Stolperstein für die Juden und eine Torheit für die Heiden. 24 Für die aber, die berufen sind, Juden wie Griechen, ist Christus die Kraft Gottes und die Weisheit Gottes. 25 Denn die Torheit Gottes ist weiser als die Weisheit der Menschen, und die Schwachheit Gottes ist stärker als die Stärke der Menschen. 26 Bedenkt die Umstände eurer Berufung, Brüder und Schwestern. Nur wenige waren weise nach menschlichen Maßstäben, nur wenige waren mächtig, nur wenige gehörten zur Oberschicht. 27 Aber Gott erwählte, was die Welt für töricht hält, um die Weisen zu beschämen, und Gott erwählte, was die Welt für schwach hält, um die Starken zu beschämen. 28 Gott erwählte, was niedrig und verachtet ist in der Welt, was als Nichts erachtet wird, und ließ außer Acht, was als Etwas erachtet wird, 29 damit sich niemand in seiner Gegenwart rühmen kann. 30 Er allein ist der Grund dafür, dass ihr Gemeinschaft habt mit Christus Jesus, der für uns zur Weisheit von Gott geworden ist, und zur Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung, 31 damit es so sei, wie es geschrieben steht: „Wer sich rühmt, der rühme sich im Herrn“ (1. Korinther 1:18-31).

Schließlich gibt unser Text auch Anleitung dafür, wie wir die Verlorenen evangelisieren sollten. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass wir unbedingt die Wichtigkeit dieses Dienstes erkennen müssen – er ist Gottes Leidenschaft und sollte auch unsere sein. Er ist so wichtig, dass wir bereit sein sollten, darüber eine Mahlzeit (oder mehr) zu versäumen. Wir müssen unsere Vorurteile ablegen und unsere Prioritäten neu ordnen. Wir müssen dorthin gehen, wo die Verlorenen zu finden sind. Und wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie sind – bei Dingen, die sie verstehen und von denen sie wissen, dass sie sie brauchen. Von diesen Dingen aus sollten wir dann zu den tiefer reichenden Themen der Sünde und der Erlösung übergehen. Wir müssen das Recht dazu erst verdienen, und es wird uns wahrscheinlich viel mehr Zeit kosten als unseren Herrn. Aber es ist das, was Gott von uns will, ja, was Er uns befiehlt. Es ist das, was Er Selbst getan hat, um uns zu erreichen und zu erretten. Deshalb müssen wir es auch tun.


181 Ich kann allerdings keine Garantie für die Echtheit dieser Meldung übernehmen, denn ich habe sie von einem Freund gehört. Wahrscheinlich wurde sie über das Internet verbreitet. Ich habe sie so wiedergegeben, wie ich sie erhalten habe.

182 Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich betrachte auch das Pharisäertum von Nikodemus als eine Korrumpierung des wahren Judentums.

183 Morris merkt an: „Johannes’ Wort für ‚verlassen’ wird üblicherweise nicht im Sinne von ‚von einem Ort fortgehen’ benutzt. Es hat oft die Bedeutung ‚aufgeben’, ‚liegen lassen’ (wie in Vers 28 mit Bezug auf den Wasserkrug der Frau), und etwas von dieser Bedeutung mag auch hier mitschwingen.“ Leon Morris, The Gospel According to John [Das Evangelium nach Johannes], (Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Publishing Co., 1971), S. 253. Anschließend zitiert Morris Morgan: „’Wir sollten diesen Gedanken nicht falsch verstehen, wenn wir sagen, dass Er Judäa verließ, liegen ließ. Er kehrte schon dorthin zurück, aber nur ganz selten. Er war in Judäa gewesen. Er war in den Tempel gegangen. Er hatte Seinen Dienst in der Gegend auf dem Land mit fabelhaftem Erfolg versehen; aber nun regte sich dort Feindseligkeit, und Er verließ Judaä, Er brach mit Judäa.’“ Morris, S. 253, Fn. 10.

184 „Obwohl das unpersönliche Verb dei' (dei, ‘musste’) manchmal so verstanden wird, dass es nur eine logische Notwendigkeit ausdrückt, hat der Gebrauch dieses Wortes im Johannes-Evangelium doch normalerweise mit Gottes Willen oder Plan zu tun (3:7, 14, 30; 4:4, 20, 24; 9:4; 10:16; 12:34; 20:9).“ Studierhinweis zu Vers 4 in der NET-Bibel.

185 „Einige populäre Kommentare bestehen darauf, dass die übliche Route für jüdische Reisende die längere durch das Transjordanland gewesen sei – so groß sei ihre Abneigung gegen die Samariter gewesen. Das wiederum legt die Vermutung nahe, dass die Formulierung ‚musste’ (edei) einen Zwang aufgrund göttlicher Festlegung und nicht aufgrund geographischer Verhältnisse ausdrückt. Von Josephus erhalten wir dagegen nicht nur reichlich Bestätigung dafür, wie ausgeprägt die Abneigung zwischen Juden und Samaritern war, sondern auch dafür, dass die Juden, die von Judäa nach Galiläa und zurück mussten, trotz allem die kürzere Route durch Samarien bevorzugten (Ant. Xx.118; Bel. Ii. 232; Vita 269).“ D.A. Carson, The Gospel According to John [Das Evangelium nach Johannes], (Grand Rapids: William B. Eerdmans Publishing Company, 1991), S. 216. – Morris ergänzt: „Josephus benutzt genau den Ausdruck, der hier mit ‚musste’ übersetzt wird, wenn er sagt ‚für ein schnelles Vorankommen war es unumgänglich, diese Route (d.h. die durch Samarien) zu nehmen’.“ Morris, S. 255. Weiter sagt Morris: „Josephus sagt, dass die Galiläer üblicherweise durch Samarien kamen, wenn sie zu den Festen nach Jerusalem hinaufzogen (Ant. xx, 118).“ Morris, S. 255, Fn. 16.

186 Über die Tageszeit ist man sich hier nicht ganz einig, denn es gab damals zwei Möglichkeiten, die Zeit anzugeben: die römische Methode (nach der es Abend gewesen wäre) und die jüdische Methode, die den Gang der Frau zum Brunnen auf den Mittag festlegen würde. Alles in allem geht man wohl am besten davon aus, dass die Frau am Mittag zu dem Brunnen kam, wo nicht viele andere Menschen zu erwarten waren. Auf diese Weise würde auch der Kontrast hervorgehoben zwischen der Frau und zwischen Nikodemus, der in der Nacht zu Jesus kam.

187 Wo genau „Sychar“ lag, ist nicht bekannt. Morris schreibt: „Sychar ist vielleicht identisch mit dem Ort Askar nahe Schechem. Es wird erwähnt, dass Jakob in dieser Gegend ein Stück Land kaufte (Gen. 33:19). ... Es gibt im Alten Testament keine Erwähnung dessen, dass er dort einen Brunnen gegraben hätte; aber es gibt auch nichts, was dagegen sprechen würde.“ Morris, S. 257.

188 Johannes benutzt hier das Wort phgh‰, und nicht das übliche Fre‰ar. „Über den Unterschied zwischen den beiden Begriffen sagt Loyd: ‘Eine Quelle ist etwas Gottgegebenes. Gott erschafft die Quelle; der Mensch gräbt nur den Brunnen.’ Es ist merkwürdig, dass ein so tiefer Brunnen in einem Land gegraben worden sein soll, wo es zahlreiche Quellen gibt. (Godet sagt, dass es bis zu achtzig Quellen in dieser Gegend gibt.) Der Brunnen muss ursprünglich deutlich über einhundert Fuß tief gewesen sein; es war also keine geringe Mühe, ihn zu graben und auszumauern. Diese Tatsache hat man als Argument dafür genommen, dass der Brunnen wirklich von Jakob gegraben wurde. Nur ein ‚Fremder im Land’ hätte sich solche Mühe gemacht, um einen Brunnen in einem Land zu bauen, das so reichlich mit Quellen versorgt ist! Viele Kommentatoren geben die Tiefe des Brunnens mit 75 Fuß an, aber nach Hendrikson wurde eine Menge Schutt hinausgeräumt und der Brunnen in seiner ursprünglichen Tiefe wiederhergestellt.“ Morris, S. 257, Fn. 20.

189 Die Zeit erlaubt es nicht, das Brunnen-Motiv im Buch Genesis ausführlich zu untersuchen, aber darüber ist anderswo auch schon berichtet worden. Viele wichtige Ereignisse in der Genesis fanden an einem Brunnen statt. An einem Brunnen fand Abrahams Knecht eine Frau für Isaak (siehe Genesis 24). An einem Brunnen sah Jakob Rachel zum ersten Mal (Genesis 29). Und ein Brunnen spielt auch eine entscheidende Rolle für das Überleben von Hagar und ihrem Sohn Ismael (Genesis 16).

190 Siehe auch Johannes 8:1-11.

191 „Nach jüdischem Recht konnte sich eine Frau nicht von ihrem Mann scheiden lassen. Aber sie konnte sich unter bestimmten Umständen an das Gericht wenden, das dann, sofern es ihm rechtens erschien, den Ehemann zwang, sich von ihr scheiden zu lassen (siehe z.B. Mischna, Ket. 7:9, 10). Oder sie konnte ihrem Mann Geld zahlen oder Dienstleistungen anbieten, um ihn dazu zu bringen, sich von ihr scheiden zu lassen (Git. 7:5, 6). Theoretisch war die Zahl der Ehen nicht begrenzt, die man nach einer gültigen Scheidung eingegangen konnte, aber die Rabbis betrachteten für eine Frau zwei, höchstens drei Ehen als das Maximum (SBk, II, S. 437).“ Morris, S. 264, Fn. 43.

192 „Was immer man über die Schicklichkeit einer Bitte um etwas zu trinken denken mag …, hätte doch kein Rabbi je ein Gespräch mit einer Frau geführt. Eine ihrer Redensarteten lautete: ‚Ein Mann soll in einem Gasthaus nicht mit einer Frau alleine sein, noch nicht einmal mit seiner Schwester oder seiner Tochter, um dessentwillen, was die Menschen denken könnten. Ein Mann soll auf der Straße nicht mit einer Frau sprechen, noch nicht einmal mit seiner eigenen Frau und noch weniger mit einer anderen Frau, um dessentwillen, was die Menschen reden könnten.’“ Morris, S. 274, wo er SBk, II, S. 438, zitiert.

193 Beachten Sie auch die Veränderung in Petrus’ Ansicht über Frauen, die in 1. Petrus 3:7 deutlich wird.

194 “Das hier verwendete Verb sugra‰omai wurde gewöhnlich im Sinne von ‚vertrauten Umgang mit jemandem pflegen’ verstanden. D. Daube zeigt jedoch, dass diese Bedeutung nirgendwo sonst gefunden wird und auch auf diesen Abschnitt bezogen höchst unwahrscheinlich ist (JBL, LXIX, 1950, S. 137-147). Im eigentlichen Sinne bedeutet das Verb ‚gemeinsam mit jemandem benutzen’, und das scheint auch die Bedeutung in diesem Text zu sein. Juden benutzen (Gegenstände) nicht gemeinsam mit Samaritern.“ Morris, S. 259, Fn. 25.

195 Siehe Lektion 4, „Die ersten Jünger“.

196 Wartete diese Frau auf einen samaritischen „Messias“, oder war sie schon so weit, dass sie die Worte unseres Herrn über die Erlösung, die „aus den Juden kommt“, annehmen konnte und bereit war, einen jüdischen Messias, wann immer Er kommen würde, zu empfangen? Ich neige zu der Ansicht, dass die Frau, noch während unser Herr zu ihr spricht, weitere Fortschritte im Glauben macht. Sie glaubt Jesus, als Er vom physikalischen, buchstäblichen „Wasser“ zum „geistlichen Wasser“ des ewigen Lebens übergeht, und auch, als Er von der jüdischen messianischen Hoffnung zum Messias – Jesus Selbst – übergeht. Ich glaube, all das geschieht innerhalb von Stunden – nicht nur für die Frau, sondern auch für die Bewohner von Sychar.

197 Wörtlich lautet der griechische Text: „Ich bin; Der,der zu dir spricht.“ Das “Ich bin” steht mit großer Wahrscheinlichkeit in Verbindung mit dem „Ich bin“ in Johannes 8:58, das die Juden als Anspielung auf Exodus 3:14 verstanden. Sie wussten, dass Er damit beanspruchte, Gott zu sein.

198 Siehe Fußnote 3.

199 Manche Menschen vertreten die Ansicht, dass „Leuten“ eigentlich mit „Männern“ übersetzt werden sollte, dass es also die männlichen Bewohner von Sychar sind, mit denen die Frau spricht. In Anbetracht ihrer Situation ist das zumindest eine Möglichkeit. Kein Wunder dann, dass die Männer der Stadt herauskommen, um Den zu sehen, der der Frau „alles, was sie je getan hat“ gesagt hat.

200 Ich weiß, dass die Errettung einen vergangenen, einen gegenwärtigen und einen zukünftigen Aspekt hat. Hier spreche ich allerdings von dem letzten Schritt im Verlaufe des Prozesses, der jemanden zum Glauben an Jesus Christus bringt, und nicht von der anschließenden, immer weiter fortschreitenden Heiligung oder der schließlich und endlich stattfindenden Erlösung.

201 Morris, S. 274, Fn. 68.

202 Ich beeile mich hinzuzufügen, dass es hier meiner Meinung nach keineswegs um irgendetwas Unanständiges in der Art geht, wie Jesus mit jemandem vom anderen Geschlecht umgeht. Jesu Verhalten schockiert, weil Er dieser Frau zutraut, eine intelligente spirituelle und theologische Unterhaltung zu führen, und nicht weil Er sich jemandem vom anderen Geschlecht gegenüber moralisch unangemessen verhalten hätte.

203 Es ist doch interessant, dass Adam und Eva nicht vom Baum des Lebens aßen, sondern dadurch strauchelten, dass sie Gott nicht gehorchten und von der verbotenen Frucht der Erkenntnis von Gut und Böse aßen. Die Korinther ihrerseits waren nicht bereit, auch nur eine Mahlzeit auszulassen, und so bestanden sie darauf, das “Götzen dargebrachte Fleisch” zu essen (1. Korinther 8:10). Auch sie wollten also nicht so lange warten, bis auch ihre Brüder und Schwestern am Tisch des Herrn angelangt wären, sondern entschieden sich dafür, auf Kosten derer zu genießen, die weniger hatten als sie selbst (1. Korinther 11). Essen ist wirklich eine Prüfung, nicht wahr?

204 „J.A.T. Robinson legt, meiner Meinung nach überzeugend, dar, dass sich das Gesagte vorwiegend auf das Werk von Johannes dem Täufer und seinen Anhängern bezieht. Dessen Arbeit auf diesem schwierigen Gebiet hatte den Weg für Jesus und Seine Leute bereitet.” Morris, S. 281-282.

205 Die Ernte scheint länger gedauert zu haben als der kurze Aufenthalt unseres Herrn. „Cullmann sieht – unterstützt von M. Simon (St. Stephanus und die Hellenisten, 1958, S. 36ff.) – in den ‚anderen’ die Hellenisten von Kapitel 8 der Apostelgeschichte (vor allem Philippus), die das Evangelium nach Samarien brachten, während nach ihnen die Apostel Petrus und Johannes die Frucht ihrer Mühen ernteten.“ Morris, S. 282, Fn. 93.

206 Ich weiß wohl, dass das „geht“ in Matthäus 28:19 ein Partizip ist und kein Imperativ, aber die Stoßrichtung der Worte unseres Herrn lässt es zu einem solchen werden, und der grammatische Aufbau unterstützt diese Auffassung ebenfalls. In der NET-Bibel gibt es eine ausgezeichnete Anmerkung dazu bei Vers 19:

„Geht … tauft … lehrt” sind Partizipien, die den Imperativ „macht Jünger“ erweitern. Nach Auffassung von Wallace (Exegetical Syntax [Exegetische Syntax] 645) folgt das erste Partizip (poreuqevnte, „geht“) dem typischen formalen Muster eines begleitenden Umstandswortes (dem Aorist-Verb vorangestelltes Aorist-Partizip, wobei die Form des Hauptverbs gewöhnlich imperativ oder indikativ ist) und übernimmt so die (in diesem Falle imperative) Form des Hauptverbs (maqhteuvsate, „macht Jünger“). Das bedeutet, dass die Tätigkeit des „Gehens“ vom Semantischen her genauso befohlen wird wie die des „Jüngermachens“. Was die beiden dem Hauptverb nachgestellten Partizipien betrifft (baptivzonte, „taufend“ und didavskonte, „lehrend“), so folgen sie nach Wallace nicht dem normalen Muster für begleitende Umstandswörter, da sie Partizip Präsens und dem Hauptverb im Aorist nachgestellt sind. Manche Übersetzer sehen sie dennoch so an, als tragen sie in diesem Zusammenhang zusätzliche imperative Kraft; andere betrachten sie als Mittel, Artung, oder sogar als Ergebnis in Bezug auf das Hauptverb.

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