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Where the world comes to study the Bible

20. Weisheit und der Wille Gottes

Einleitung

Viele Christen suchen göttliche Führung mithilfe von schlichten Formeln: „Betrachte die Schriften, dein Gefühl und die Umstände. Wenn alle drei übereinstimmen, dann ist das der Wille Gottes.“ Ich glaube nicht, dass die Bibel uns derlei Formeln bietet. Christliches Leben wird aus dem Glauben und in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes gelebt; und das Wort Gottes wird dabei mithilfe der uns von Gott verliehenen Weisheit umgesetzt (vgl. Jak 1:5). In der Einleitung zum Buch der Sprüche sichert der Verfasser dem Leser zu, dass dieses Buch ihm wertvolle Einsichten in den Willen Gottes verschaffen wird:

Die Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel: um Weisheit und Zucht zu erwerben; um Worte der Einsicht zu verstehen; um ein züchtiges und kluges Leben zu erlangen; um zu tun, was richtig und gerecht und redlich ist; um dem Einfältigen Klugheit zu verleihen und dem jungen Menschen Erkenntnis und Urteilsvermögen – auf dass der Weise zuhöre und an Wissen gewinne und der Einsichtige Führung erhalte (Spr 1:1-5, NIV).

Es ist meine Überzeugung, dass kein anderes Buch des Alten Testamentes und vielleicht auch kein Buch des Neuen Testamentes bessere Einsicht in den Willen Gottes verschafft als das Buch der Sprüche. Am Ende unserer Studien in diesem sehr praxisorientierten Buch wollen wir das Thema der göttlichen Führung, so wie es hier dargestellt wird, eingehend betrachten.

Die Notwendigkeit göttlicher Führung

Die Sprüche gehen davon aus, dass göttliche Führung unentbehrlich ist, wenn man ein Leben in Weisheit und Frömmigkeit führen will. Wenn wir den Wert der göttlichen Führung richtig würdigen wollen, müssen wir zuerst einmal verstehen, warum der Mensch ihrer so dringend bedarf. Wir wollen daher zunächst drei Gründe betrachten, warum der Mensch die Führung Gottes braucht.

1. GÖTTLICHE FÜHRUNG IST NOTWENDIG, WEIL DER MENSCH EINFÄLTIG IST. Nach Auffassung der Sprüche bedeutet Einfältigkeit, unerfahren, beeinflussbar und verletzlich zu sein. Dieser Zustand ist zwar besonders typisch für die Jugend, stellt aber auch eine Krankheit der Menschheit im Allgemeinen dar. Der menschliche Verstand ist nicht in der Lage, Gottes Geist und Herz zu erfassen, es sei denn durch übernatürliche Veranlassung und Befähigung (vgl. 1.Kor 2:6-16).

Vor dem Sündenfall waren Adam und Eva noch nicht durch eine der Sünde zugeneigte Wesensart belastet; in ihrer Unschuld jedoch waren sie auch unerfahren. Satan führte sie in Versuchung, indem er ihnen eine Erfahrung anbot, die Gott ihnen verboten hatte. In ihrer Naivität erkannten sie die täuschende und listige Natur Satans nicht und erfassten auch nicht in vollem Umfang die Gefahren eines Ungehorsams Gott gegenüber. Auch in den Sprüchen wird dem Unerfahrenen von Madam Torheit eine Erfahrung angeboten (9:16-17), aber in beiden Fällen handelt es sich um Erfahrungen, von denen wir uns nachher wünschen, dass wir sie besser nicht gemacht hätten. Gottes Wort klärt die Menschen über die verborgenen Gefahren des Lebens auf, die wir noch nicht erfahren haben und hoffentlich auch nie erfahren werden. Göttliche Führung klärt den Menschen über die Dinge auf, die er (durch Unwissenheit und Unerfahrenheit) nicht weiß, aber wissen muss, wenn er ein gottgemäßes und weises Leben führen will.

2. GÖTTLICHE FÜHRUNG IST NOTWENDIG, WEIL DER MENSCH SÜNDIG IST. Die Sprüche sagen uns, dass der Mensch, der tut, was „von Natur aus kommt“, Dinge tut, die sowohl töricht sind als auch genau entgegen gesetzt zu dem, was Gott will. Der junge Mann wird angehalten, nicht auf seine eigene, sondern auf Gottes Weisheit zu vertrauen (3:5-7). Um weise zu werden, muss man sich von seiner eigenen Torheit abkehren und Gott fürchten lernen (1:22, 2:2, 8:5, 10:13, 9:6). Das grundlegende Problem des Menschen liegt in dem Zustand seines Herzens (4:23): Unser böses Herz neigt zur Sünde und Torheit und nicht zur Gerechtigkeit (6:14,18). Unsere Unfähigkeit, Gottes Wege und Seinen Willen zu erfassen, rührt nicht nur von unserer menschlichen Unzulänglichkeit (unserer Einfältigkeit) her, sondern auch daher, dass wir Gefallene sind. Wo unser Menschsein uns daran hindert, Gottes Willen zu erkennen, hindert uns unsere Sündigkeit daran, nach diesem Willen zu suchen und uns ihm zu unterwerfen. Wo wir durch unser Menschsein Gottes Willen nicht erkennen, suchen und finden wir ihn durch unsere Verderbtheit nicht:

„Es gibt keinen Gerechten, auch nicht einen; da ist Keiner, der Erkenntnis hat, da ist Keiner, der Gott sucht“ (Rö 3:10-11).

3. GÖTTLICHE FÜHRUNG IST NOTWENDIG, WEIL DER MENSCH VON ANDEREN ZUR SÜNDE VERLEITET WIRD. Satan wird als ein aggressiver Feind dargestellt, der die Menschen zu täuschen und Gottes Wort zu verdrehen sucht (z.B. 1.Pe 5:8). Erstmalig geschah das im Garten Eden (Gen 3; vgl. 1.Tim2:14, 4:1-5). Häufig benutzt Satan Andere für seine teuflischen Pläne (vgl. 2.Kor 11:13-15). Im Buch der Sprüche sehen wir, wie Menschen durch gewalttätige Männer (z.B. 1:10-19) und verführerische Frauen (z.B. 2:16-19) verleitet werden. Während wir unsererseits den Willen Gottes nicht von selbst erkennen und aufgrund unserer Verderbtheit auch nicht geneigt sind, ihn zu erforschen, gibt es auf der anderen Seite Viele, die uns einreden wollen, dass sie schon Pläne für uns gemacht haben, und zwar Pläne, die unsere sündige Natur gerne anzunehmen gewillt ist. Göttliche Führung ist erforderlich, um das Gute vom Bösen unterscheiden zu können, und das Törichte vom Weisen.

Kennzeichen der göttlichen Führung

Die meisten Christen sind sich der Notwendigkeit göttlicher Führung deutlich bewusst; weit weniger deutlich wissen sie aber Bescheid darüber, wie man die göttliche Führung selbst erkennt. Aus dem Buch der Sprüche wie auch aus anderen Stellen der Schriften kann man verschiedene Kennzeichen der göttlichen Führung herauslesen.

1. GÖTTLICHE FÜHRUNG ERKENNT MAN ANHAND IHRER WEISHEIT. J.I. Packer hat in seinem – zurecht mit ‚Knowing God’ [Gott erkennen] betitelten – Buch ein Kapitel (20) über die Führung geschrieben. Es trägt den Titel ‚Thou Our Guide’ [Du, unser Führer] und wurde ursprünglich als Broschüre unter dem Titel ‚Guidance and Wisdom’ [Führung und Weisheit] veröffentlicht. Packer meint, dass Weisheit und Führung nicht voneinander zu trennen sind, und diese Auffassung wird im Buch der Sprüche ebenfalls vertreten. Indem ihr Zweck darin besteht, den Menschen zur Weisheit zu verhelfen, bestätigen die Sprüche doch gleichzeitig auch, dass Weisheit eines der Hauptmerkmale ist, durch die Gott Seinen Willen zu erkennen gibt:

Die Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel: um Weisheit und Ermahnung zu verstehen; um die Rede der Einsicht zu erkennen; um Anweisung zu erhalten für weises Verhalten, Gerechtigkeit, Recht und Gleichheit; um den Unerfahrenen Klugheit zu verleihen und der Jugend Erkenntnis und Urteilsvermögen; ein weiser Mann wird hören und an Wissen gewinnen und der Verständige wird weisen Rat erhalten (Spr 1:1-5).

In Vers 2 des obigen Textes beziehen sich die Worte ‚Einsicht’ und ‚erkennen’ beide auf den gleichen hebräischen Wortstamm mit der Bedeutung ‚zwischen’.60 Erkenntnisvermögen zu besitzen bedeutet, dass man fähig ist, den Unterschied zwischen zwei Möglichkeiten zu festzustellen. Weisheit versetzt einen Menschen in die Lage, zwischen Gut und Böse und auch zwischen Gut und Besser zu unterscheiden.

In Vers 4 bezieht sich der Begriff ‚Urteilsvermögen’ ebenfalls auf die Entscheidungsfindung.61 Von noch größerer Bedeutung ist aber vielleicht der Ausdruck ‚weiser Rat’ in Vers 5. Meiner Meinung nach ist es richtig, wenn die NIV das ursprüngliche Wort mit ‚Führung’ überträgt. Der entsprechende hebräische Begriff geht wohl auf ein Wort zurück, das die Seile bezeichnete, die auf den Schiffen des Altertums am Steuerruder befestigt waren und es dem Kapitän ermöglichten, den Kurs des Schiffes zu bestimmen.62

Wer ‚weisen Rat’ aus dem Buch der Sprüche zieht, hat mit Gottes Wort das Seil am Steuerruder zu fassen gekriegt, das ihn nun durch sein Leben steuern wird. Wenn Gott uns aber hauptsächlich durch Weisheit leitet, ist es wichtig zu wissen, was zur Weisheit gehört. Wir wollen das im Folgenden bei der Betrachtung der Kennzeichen göttlicher Führung berücksichtigen.

2. WEISHEIT UND GÖTTLICHE FÜHRUNG MÜSSEN AUF GÖTTLICHE OFFENBARUNG GEGRÜNDET SEIN. Viele Christen erwarten, dass Gott Seinen Willen auf spektakuläre und absonderliche Weise offenbaren wird – anstatt zu akzeptieren, dass Gott Seinen Willen (was die allermeisten Dinge betrifft) durch Sein Wort schon offenbart hat. Salomo wusste, dass das Gesetz des Alten Testamentes Gottes Maßstäbe für das menschliche Verhalten darstellte:

Als nun für David die Zeit zu sterben nahte, gebot er Salomo, seinem Sohn, und sprach: „Ich gehe hin den Weg alles Irdischen. Sei du daher stark und erweise dich als ein Mann. Und du sollst der Verpflichtung dem Herrn deinem Gott gegenüber nachkommen, dass du wandelst auf Seinen Wegen und einhältst Seine Satzungen, Seine Gebote und Sein Zeugnis, damit du Erfolg habest in Allem, was du tust, und wo immer du dich hinwendest“ (1.Kö 2:1-3).

In den Sprüchen gibt es nur wenige direkte Bezüge auf das Wort Gottes selbst – auf Seine göttliche Offenbarung für die Menschen durch die Schriften –, und doch wird diese Offenbarung vorausgesetzt und als unfehlbares, autoritatives Wort von Gott angesehen, das als Maßstab für die Gedanken und Taten der Menschen dient. Gelegentlich findet sich in den Sprüchen auch ein ausdrücklicher Bezug auf das Gesetz (28:4,7,9). Die biblische Offenbarung wird auch als „das Wort“ (13:13, 16:20) oder als „Wort Gottes“ bezeichnet.

Jedes Wort von Gott ist geläutert; Er ist ein Schild denen, die zu Ihm Zuflucht nehmen. Füge Nichts zu Seinen Worten hinzu, Damit Er dich nicht zurechtweise und du als ein Lügner überführt werdest (30:5-6).

Göttliche Offenbarung kann verschiedene Formen annehmen, darunter die Formen der Vorschrift, der Grundregel und des Musters. Vorschriften sind diejenigen Gebote Gottes, die konkret und eindeutig formuliert sind. So findet sich in den Sprüchen, wie auch an anderen Stellen, das Verbot, die Sünde des Ehebruchs zu begehen (vgl. Ex 20:14; Spr 5: 1-23, 6:29). Ebenso ist auch Lügen eine Sünde (vgl. Ex 20:16; Spr 6:19, 19:5,9). Bezüglich der Sünde lassen die Sprüche keinerlei Spielraum, denn Richtig und Falsch werden in den Schriften in ganz konkreten Begriffen festgelegt:

Wer seine Übertretungen zudeckt, wird kein Gelingen haben, Doch wer sie bekennt und von ihnen lässt, wird Barmherzigkeit finden (28:13).

Eine falsche Wägung ist dem Herrn ein Gräuel, aber ein volles Gewicht ist Sein Wohlgefallen (11:1).

In einigen Fällen sprechen die Sprüche von „dem Gebot“ und scheinen sich dabei auf das Gesetz des Mose zu beziehen:

Wer das Wort verachtet, wird in seiner Schuld sein, Aber der das Gebot fürchtet, wird belohnt (13:13).

Meistens aber, wenn in den Sprüchen von „Geboten“ die Rede ist, sind die der Eltern gemeint:

Mein Sohn, wenn du meine Reden annehmen Und meine Gebote in dir bewahren wirst (2:1).

Mein Sohn, behalte meine Worte Und bewahre meine Gebote in dir. Halte meine Gebote, dass du am Leben bleibst, und hüte meine Lehren [wörtlich: mein Gesetz] wie deinen Augapfel (7:1-2).

Obwohl elterliche Ermahnungen nie als inspiriert, ohne Irrtum oder unfehlbar gelten konnten, waren sie doch notwendig, um jeder neuen Generation Gottes Gesetz zu vermitteln (vgl. Ex 12:26-27, 13:14-15; Deu 6:6-9,20-25). In den Sprüchen geben die Eltern (1:8, 3:1, 4:2, 6:20,23) und andere weise Menschen (z.B. 5:13, 13:14) Anweisungen. So weit ich es beurteilen kann, waren die ‚Gebote’ der Eltern Wiederholungen, Erklärungen oder praktische Anwendungen der Gebote aus dem Gesetz des Mose. Meiner Meinung nach versuchten Eltern und weise Menschen, jeder neuen Generation das Gesetz Gottes zu vermitteln und ihr Ermahnung und Anleitung auf der Grundlage der Offenbarung des göttlichen Willens in den Schriften zu geben, wie sie zu dieser Zeit verfügbar waren.

Zusätzlich zu den klar umrissenen Anweisungen der Sprüche (‚Vorschriften’) wurden auch Grundregeln festgelegt, die allgemeinerer Natur sind und eine umfassendere Anleitung für diejenigen darstellen, die den Willen Gottes kennen lernen und befolgen möchten:

Durch jederlei Arbeit ergibt sich ein Vorteil, Aber bloßes Reden führt nur zu Armut (14:23).

Eine milde Antwort wendet Zorn ab, Aber ein unfreundliches Wort rührt Ärger auf (15:1).

Das Herz des Weisen lehrt seine Zunge Und fügt seinen Lippen Überzeugungskraft hinzu (16:23).

Der Erste, der seine Sache vertritt, erscheint gerecht, Bis ein Anderer kommt und ihn befragt (18:17).

Bereite deine Arbeit draußen Und mache sie dir auf dem Feld zurecht; Danach dann baue an deinem Haus (24:27).

Zusätzlich zu den Vorschriften und Grundsätzen gibt es auch etwas in der Schrift, was wir ‚Verhaltensmuster’ nennen könnten. Ich weiß nicht, ob ‚Verhaltensmuster’ wirklich das beste Wort dafür ist – aber ich meine damit die Wahrheiten in der Schrift, die für uns zwar von großer Bedeutung sind, aber nicht so direkt wie die Vorschriften oder Grundregeln. Wenn die Schriften uns berichten, wie Gott Selbst ist – Seine Wesensart und Sein Verhalten –, dann können wir daraus schließen, dass wir wie Gott, gottgemäß sein sollten. Elterliche Zucht, beispielsweise, sollte nach dem Muster der göttlichen Zucht für Seine Kinder gestaltet werden.

Die Sprüche sagen uns, dass Gott Bosheit (6:16-19, 15:8-9), böse Absichten (12:2, 15:26), Unehrlichkeit (11:1, 20:10,23), Falschheit (11:20), Unaufrichtigkeit (12:22), Stolz (16:5) und Missachtung des Gesetzes (28:9) hasst. Sie sagen uns auch, dass Gott an Gerechtigkeit (15:8-9), Güte (12:2), Ehrlichkeit (11:1), Lauterkeit (11:20), Wahrhaftigkeit (12:22) und Weisheit (8:35) Wohlgefallen hat. Es fällt nicht schwer zu folgern, dass wir aufgeben sollen, was Gott hasst, und nach dem streben sollen, was Ihm Freude macht.

3. GÖTTLICHE FÜHRUNG KANN DURCH WEISEN RAT ERLANGT WERDEN. Führung bieten uns nicht nur die Gebote in den Schriften, sondern auch die Ratschläge der Weisen:

Glücklich ist der Mann, der nicht im Rat der Bösen wandelt Noch auf den Weg der Sünder tritt (Ps 1:1).

Bei mir ist Rat und praktische Weisheit; Ich bin die Einsicht, bei mir ist Macht (Spr 8:14).

Der Weg des Toren ist recht in seinen Augen, Aber wer auf einen Rat hört, ist weise (Spr 12:15).

Durch Anmaßung entsteht Nichts als Streit, Aber Weisheit ist mit denen, die sich raten lassen (Spr 13:10).

Es gibt zwei Arten von Ratschlägen: die Worte der Weisen und den Rat der Bösen (vgl. auch Jak 3:13-18). Die Sprüche sagen uns, dass kein guter Rat je in Widerspruch zu Gottes Wesensart oder Geboten steht:

Es gibt weder Weisheit noch Erkenntnis Noch irgendeinen Rat gegen den Herrn (21:30).

Jeder neuen Generation hat Gott ältere und weisere Menschen zur Seite gestellt, damit sie von der Erfahrung und dem Wissen derer lernen kann, die auf dem Pfad der Gerechtigkeit schon weiter fortgeschritten sind als sie selbst. Göttliche Führung ist im Ratschlag derer zu finden, die Weisheit erlangt haben.

4. GÖTTLICHE FÜHRUNG ERFORDERT VERTRAUEN UND HINGABE. Bevor wir auf die Frage „Was soll ich tun?“ eine Antwort finden können, müssen wir uns zuerst fragen: „Auf wen verlasse ich mich?“ Eine selbstbewusste und selbstgerechte Haltung ist das größte Hindernis, das der Suche nach dem Willen Gottes und dem Bestreben, ihn zu erfüllen, entgegen steht. Die Sprüche lehren uns, dass ein böser Mensch arrogant und anmaßend ist. Er kann die Gerechtigkeit nicht erfassen und wird nicht nach ihr streben. Wer aber den Weg der Weisheit zu betreten wünscht, wird zu allererst das Vertrauen auf sich selbst, auf seine naturgegebenen Beweggründe aufgeben:

Vertraue auf den Herrn mit deinem ganzen Herzen, Und stütze dich nicht auf deinen eigenen Verstand. Denke an Ihn auf all deinen Wegen, Und Er wird deine Wege gerade machen. Dünke dich nicht weise, Sondern fürchte den Herrn und kehre dich ab vom Bösen (3:5-7).

Niemals wirft Gottvertrauen jede Vernunft über den Haufen, aber jede rein menschliche Vernunft muss davor beiseite stehen (z.B. Mat 16:23). Wir können nur dann Weisheit erlangen und Gottes Willen erkennen, wenn wir nicht mehr unserer eigenen Vernunft vertrauen, die ja durch die Auswirkungen des Sündenfalls beeinträchtigt ist, sondern dahin gelangen, dass wir uns voll und ganz auf Gottes Offenbarung, auf Seine Weisheit verlassen und nicht auf unsere eigene.

Zudem erfordert die göttliche Führung unsere Zuversicht. Die menschliche Vernunft ruht nur auf dem, was wir sehen können, auf unserer eigenen Wahrnehmung der Dinge, wie wir unter den gegebenen Umständen sehen. Göttliche Führung dagegen beruht auf den Verheißungen Gottes, auf den „Dingen, die man nicht sieht“ (vgl. Heb 11:1). Das ist der Kernpunkt des 11. Kapitels des Hebräerbriefes. Männer und Frauen des Glaubens sind diejenigen, die ihr Leben im Lichte von Gottes Verheißungen leben, obwohl diese erst noch eintreffen müssen. Den Willen Gottes erkennen nur diejenigen, die bereit sind, ihre Zukunft in die Hand des Gottes der Bibel zu legen.

Das hilft uns zu verstehen, warum der Wille Gottes nicht immer leicht zu erkennen ist. Er gewährt Seine Führung großenteils auf dem Wege der Weisheit; und so ist diese Führung nicht ohne Weiteres zu haben, weil auch die Weisheit nicht ohne große Anstrengungen zu erwerben ist. Wiederholt sagen uns die Sprüche, dass Weisheit nur demjenigen zukommt, der mit Fleiß nach ihr sucht:

Mein Sohn, wenn du meine Reden annehmen und meine Gebote in dir bewahren wirst, Leihe der Weisheit dein Ohr und neige dein Herz der Erkenntnis zu; Denn wenn du nach Unterscheidungsvermögen rufst und deine Stimme für die Erkenntnis erhebst, Wenn du dich um sie bemühst wie um Silber und nach ihr suchst wie nach verborgenen Schätzen, Dann wirst du die Furcht des Herrn verstehen und die Erkenntnis Gottes finden (Spr 2:1-5).

Gott wirft Seine Perlen nicht vor die Schweine. Er macht die Weisheit nicht leicht verfügbar, und nur der Ausdauernde wird sie erwerben. So schwierig es aber schon ist, Weisheit zu erwerben, so ist es doch noch schwieriger, sie in die Tat umzusetzen. Wir sollten nicht erwarten, dass uns die göttliche Führung mit Leichtigkeit zufällt, noch sollten wir uns darüber hinweg täuschen, dass wir ihr nur unter Opfern und durch Hingabe folgen können. Je länger ich mich mit dem Thema der göttlichen Führung in den Schriften beschäftige, umso klarer wird mir, dass unser größtes Problem in der Hingabe liegt: darin, dass wir das auch tun, von dem wir erkannt haben, dass es richtig ist.

Diese Woche las ich im 42. Kapitel des Buches Jeremia von einem Ereignis, anhand dessen sich das Problem verdeutlichen lässt, das die meisten von uns mit der göttlichen Führung haben: Ein kleiner Rest des jüdischen Volkes war im Land Kanaan verblieben, nachdem das Volk in die Gefangenschaft nach Babylon fortgeführt worden war. Diese Übrigen kamen zum Propheten und forderten von ihm, dass er für sie um göttliche Führung nachsuche:

„Bitte lass doch unser Anliegen vor dir gelten und bete für uns zum Herrn deinem Gott, für diesen ganzen Überrest – da nur Wenige von den Vielen übrig geblieben sind, wie deine Augen uns hier sehen -, dass der Herr dein Gott uns den Weg zeigen möge, auf dem wir wandeln sollen, und die Dinge, die wir tun sollen“ (Jer 42:2-3).

Nach zehn Tagen wurde Gottes Wille dem Jeremia bekannt gemacht: Dieser Überrest sollte nicht nach Ägypten in Sicherheit fliehen, sondern auf Gott vertrauen und im Gelobten Land bleiben. Wie groß die Gefahr in Kanaan auch erschien, versprach Gott doch, die dort Verbleibenden zu beschützen und zu segnen, und sagte all denen die Vernichtung voraus, die bei irgendjemandem oder irgendetwas außer Ihm Schutz suchen sollten. Trotz dieser eindeutigen Anweisung von Gott durch den Propheten Jeremia wanderte aber der Überrest nach Ägypten aus, weil sie auf den ‚Arm des Fleisches’ statt auf Gott vertrauten.

Ist das nicht das Problem, das wir alle haben? Wir wollen göttliche Führung, aber wir wollen auch, dass sie mit unserer eigenen Einschätzung, was zu tun ist, übereinstimmt. Am Anfang der göttlichen Führung steht das Misstrauen unserer menschlichen Vernunft gegenüber und das Vertrauen auf göttliche Offenbarung und Verheißungen. Göttliche Führung setzt voraus, dass wir uns darauf festlegen, den Willen Gottes sorgfältig zu erforschen und ihn dann auch zu befolgen – egal ob er unser eigenen Meinung entspricht oder nicht.

5. GÖTTLICHE FÜHRUNG IST EINE FRAGE DES CHARAKTERS. Wir hören oft die Redensart: „Wie Jemand denkt, so ist er auch.“ Das ist sogar eine biblische Weisheit (Spr 23:7). Aber die Bibel hat noch weit mehr als das über das Verhältnis zwischen Charakter und Taten eines Menschen zu sagen. Soviel ich weiß, fährt die Schrift hier fort und sagt: „Wie ein Mensch ist, so denkt er und so handelt er auch.“ Das heißt, der Charakter eines Menschen bestimmt sein Denken und sein Handeln. Ich möchte diese grundlegende Voraussetzung zunächst begründen und im Weiteren dann ihre Auswirkungen untersuchen.

Wenn ich vom Charakter eines Menschen spreche, so meine ich damit seine moralische Einstellung, die auf seinem Weg überall und in vorhersehbarer Weise Ausdruck findet. Der Ausdruck ‚Weg’ oder ‚Wege’ wird in den Sprüchen oft gebraucht, um Jemandes Charakter zu beschreiben. Auch Tiere haben ihren ‚Weg’, nämlich vorhersehbare und in sich schlüssige Verhaltensmuster, die Teil ihrer Natur sind:

Drei Dinge gibt es, die mir zu wunderbar sind, Und vier, die ich nicht erfassen kann: Der Weg eines Adlers am Himmel, Der Weg einer Schlange auf einem Felsen, Der Weg eines Schiffes mitten auf dem Meer, Und der Weg eines Mannes bei einem jungen Mädchen. So ist der Weg einer ehebrecherischen Frau: Sie isst und wischt sich den Mund ab und sagt: „Ich habe nichts Unrechtes getan“ (Spr 30:18-20).

Geh zur Ameise, du Fauler, Sieh ihre Wege und werde weise (6:6-8).

Wie Sprüche 30:19-20 (s.o.) ausweist, haben auch Menschen ihren ‚Weg’. Jemandes Charakter, sein ‚Weg’, kann anhand seiner Verhaltensmuster erkannt werden:

Den Pfad des Lebens betrachtet sie [die Ehebrecherin] nicht; Ihre Wege sind unstet, sie weiß es nicht (5:6).

Verkehre nicht mit einem Mann, der voller Wut ist, Noch mit einem jähzornigen Mann, Damit du nicht seinen Weg lernst Und dir selber eine Schlinge legst (22:24-25).

Gib nicht den Frauen deine Kraft, Noch deine Wege dem, was Könige vernichtet (Spr 31:3).

In diesen wie in zahllosen anderen Textstellen wird der Charakter eines Menschen als sein ‚Weg’ oder seine ‚Wege’ bezeichnet. So lesen wir im 2. Buch der Chronik von den ‚Wegen Josaphats’ und den ‚Wegen Asas’ (21:12), womit Bezug auf den Charakter dieser Männer genommen wird. Jede einzelne Tat in unserem Leben ist Teil eines Verhaltensmusters, das unseren ‚Weg’, unseren Charakter darstellt.

Auch Gott hat Seine ‚Wege’, und diese sind immer vollkommen:

„Der Fels! Vollkommen ist Sein Werk, denn alle Seine Wege sind Gerechtigkeit; Ein Gott der Treue, ohne Ungerechtigkeit, aufrecht und gerecht ist Er“ (Deu 32:4).

Ich will nachdenken über alle Deine Werke und nachsinnen über Deine Taten. Dein Weg, o Gott, ist heilig; wo ist ein so großer Gott wie Du, unser Gott? (Ps 77:13).

Der Herr ist gerecht in allen Seinen Wegen und freundlich in allen Seinen Taten (Ps 145:17).

Gottes Wege sind unendlich gerechter als die des Menschen:

„Denn Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, noch sind eure Wege Mein Weg,“ spricht der Herr. „Denn wie die Himmel höher sind als die Erde, so sind Meine Wege höher als eure Wege und Meine Gedanken höher als eure Gedanken“ (Jes 55:8-9).

Wenn Menschen vertrauten Umgang mit Gott haben wollen, müssen sie ihre Wege den Seinen anpassen. Wie Gott zum Volk Israel sagte:

„Denn Ich bin der Herr euer Gott. Darum sollt ihr euch heiligen, damit ihr heilig werdet, denn Ich bin heilig“ (Lev 11:44, vgl. 1.Pe 1:16).

Dementsprechend hat Gott den ‚Weg’ vorgeschrieben, auf dem wir in unserem Leben gehen sollen, die Anforderungen an unseren Charakter und an unser Verhalten. Dieser ‚Weg’ wird durch Gottes Wort festgelegt:

Weise mir Deinen Weg, o Herr; ich will wandeln in Deiner Wahrheit; Erhalte mein Herz bei dem Einen, damit ich Deinen Namen fürchte (Ps 86:11).

Ich habe den Weg der Treue gewählt; ich habe Deine Weisungen vor mich gestellt. Ich halte an Deinen Mahnungen fest; o Herr, lass mich nicht zuschanden werden! Ich werde den Weg Deiner Gebote gehen, denn Du wirst mein Herz weiten. Lehre mich, o Herr, den Weg Deiner Satzungen, und ich werde sie bis ans Ende bewahren. Gib mir Erkenntnis, dass ich Dein Gesetz befolge und es von ganzem Herzen halte. Lass mich auf dem Pfad Deiner Gebote wandeln, denn ich habe Gefallen daran. Neige mein Herz zu Deinen Mahnungen und nicht zu unehrlichem Gewinn. Wende meine Augen ab, dass sie nicht auf Eitelkeiten schauen, und lass mich auf Deinen Wegen zu neuem Leben erwachen (Ps 119:30-37).

Unter dem Strich gibt es nur zwei ‚Wege’; und die Sprüche weisen uns andauernd auf diese zwei ‚Wege’ des Lebens hin: den Weg des Bösen, der zu Tod und Vernichtung führt (z.B. 2:12, 4:14,19, 8:3, 10:29, 12:15, 15:19, 16:25, 22:5, 28:10), und den Weg von Weisheit und Gerechtigkeit, der zum Leben führt (z.B. 4:11, 6:23, 9:6, 12:28, 15:10, 16:13, 21:16, 22:6). Weise ist der Mensch, der seine Wege in Einklang mit den Wegen Gottes bringt.

Ich denke, die Sprüche lehren uns, dass der Charakter eines Menschen sein typisches Verhalten bezeichnet. Der Faule hat bestimmte verräterische Eigenschaften, genauso wie auch der Einfältige oder der Tor. Und entsprechend können auch bei einem Weisen kennzeichnende Verhaltensweisen beobachtet werden. Ein Weiser ist langsam zur Rede und wägt seine Worte wohl ab. Ein Weiser bedenkt – im Gegensatz zum Toren – die Folgen seiner Handlungen. Ein Weiser hört auf einen Rat, wohingegen der Tor in seinem Tun verharrt, ohne der Weisheit oder irgendwelchen Warnungen Beachtung zu schenken. Der Charakter eines Menschen (was er ist) wird an dem erkennbar, was er tut.

Im weitesten Sinne besteht Gottes Willen für den Menschen darin, dass der Mensch auf dem Weg gehe, den Er in Seinem Wort vorgeschrieben hat. Der Charakter eines Menschen beschreibt nicht nur allgemein seinen Lauf auf dem Weg des Lebens, sondern beeinflusst auch seine Reaktion auf den offenbarten Willen Gottes. Der Charakter bestimmt, woran einem Menschen gelegen ist: Der Böse hat Gefallen an Schlechtigkeit, während der Gerechte sich an dem erfreut, was heilig, rein und weise ist:

Ein Begehren, das verwirklicht wird, ist der Seele angenehm, Aber vom Bösen zu weichen, ist dem Toren ein Gräuel (Spr 13:19).

„Wie lange wollt ihr Unerfahrenen die Unerfahrenheit lieben? Und ihr Spötter euch am Spott erfreuen, Und ihr Unvernünftigen die Erkenntnis hassen?“ (Spr 1:22).

Die sich freuen, Schlechtes zu tun, Und frohlocken über die Verrücktheit des Bösen (Spr 2:14).

Ein Törichter findet keinen Gefallen am Verstehen, Sondern nur an der Enthüllung seiner eigenen Gedanken (18:2).

Das Begehren der Gerechten ist nur gut, Doch die Erwartung der Bösen ist Zorn (Spr 11:23).

Gib mir dein Herz, mein Sohn, Und lass deine Augen an meinen Wegen Gefallen finden (Spr 23:26).

Eines Menschen Charakter ist, was er selbst ist, und bestimmt, was er denkt, auf wen er hört und was er tut. In Sprüche 17:4 lesen wir:

Ein Übeltäter hört auf böse Lippen, Ein Lügner schenkt zerstörerischer Zunge Gehör (17:4).

Ein Lügner (Charakter) hört nicht auf weisen Rat, sondern schenkt seine Aufmerksamkeit nur denen, deren Ansichten mit seinen eigenen übereinstimmen (Unmoral).

Auch das Neue Testament lehrt diese Tatsache. Im Epheserbrief lesen wir:

Auch ihr wart tot in euren Übertretungen und Sünden, in denen ihr früher wandeltet nach dem Lauf dieser Welt, nach dem Fürsten der Macht der Lüfte und des Geistes, der nun sein Werk treibt in den Söhnen des Ungehorsams. Unter ihnen lebten auch wir alle früher nach den Lüsten unseres Fleisches und frönten dem Verlangen des Fleisches und der Sinne und waren von Natur aus Kinder des Zorns, gleich den Anderen (Eph 2:1-3).

Von Natur aus waren wir verloren, tot in unserer Sünde. Wir kannten Gott nicht noch dienten wir Ihm. Statt dessen waren wir Nachfolger Satans und ließen unsere Gedanken wie auch unser Fleisch in der Sünde schwelgen.

Im Epheserbrief wie auch in anderen Briefen ermahnt Paulus die Christen, ihren Charakter mit ihrer Berufung und ihrem Glaubensbekenntnis in Einklang zu bringen (vgl. Eph 4:1-6:20; Kol 3:1-4:6). Jakobus schreibt, dass er sich wenig um das Bekenntnis eines Menschen kümmere, da doch allein durch unser Verhalten und unseren Charakter echte Bekehrung offenbar wird. Unser Charakter formt unser Denken und unser Handeln. Was wir sind, bestimmt, wass wir denken und was wir tun:

Den Reinen ist Alles rein; aber den Befleckten und Ungläubigen ist Nichts rein, sondern sowohl ihr Sinn als auch ihr Gewissen sind befleckt. Sie bekunden Gott zu kennen, doch mit ihren Taten verleugnen sie Ihn, weil sie verabscheuungswürdig und ungehorsam sind und nicht zu gebrauchen für irgendein gutes Werk (Tit 1:15-16).

Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass der Charakter eines Menschen eine der mächtigsten Einflusskräfte auf seine Entscheidungen darstellt. Deshalb würde ich sagen, dass kein Faktor wichtiger für die göttliche Führung ist als der Charakter desjenigen, der nach Führung sucht. Wie wir in Sprüche 17:4 sahen, wird der Lügner auf Niemanden hören als auf den Bösen, und das aus dem einfachen Grunde, weil ein böser Mensch keinerlei Neigung und Absicht hat, etwas Reines und Gerechtes zu tun. Der bloße Gedanke, dass er vom Bösen ablassen und Gutes tun könnte, ist dem Bösen zuwider, weil er seine Freude daran hat, Schlechtes zu tun

Um göttliche Führung zu erlangen ist es nach den Sprüchen Ausschlag gebend, einen gottgemäßen Charakter zu entwickeln. Deshalb verwendet das Buch so viel Mühe darauf, die schlechten Charaktere des Faulen, des Einfältigen, des Spötters und des Toren zu beschreiben. Die Sprüche suchen zu unserer charakterlichen Entwicklung beizutragen, indem sie uns anleiten, wie wir weise und gottgemäß werden können. Fromme Männer und Frauen werden nicht nur nach Gottes Willen forschen und ihn finden – sie werden ihn auch tun. Böse Menschen suchen gar nicht erst nach göttlicher Führung, noch würden sie ihr folgen, wenn sie sie gefunden hätten.

Der Charakter eines Menschen kann ihn also zu bestimmten Entscheidungen veranlassen. Zusätzlich gibt es aber mindestens noch zwei weitere Arten, auf denen Charakter und göttliche Führung miteinander zu tun haben. Gottes Charakter nämlich sollte den Gläubigen unbedingt dazu bewegen, nach göttlicher Führung zu suchen und ihr zu folgen. Gottes Charakter ist das Vorbild für unsere Gedanken und Taten, aber er ist auch die Basis für unser Vertrauen darauf, dass Er uns auf dem rechten Weg führen wird. So wie mein Vertrauen auf den Arzt mich dazu bringt, seinen medizinischen Rat zu befolgen, inspiriert mich mein Vertrauen auf Gott dazu, Seinen Willen zu erforschen und ihn zu befolgen.

Und dann gibt mir auch der Charakter anderer Menschen Anhaltspunkte für die göttliche Führung. Eines der besten Kriterien für die Auswahl eines Lebensgefährten ist ein gottgemäßer Charakter (vgl. Spr 31:10-31). Der Charakter soll Ausschlag gebend für die Wahl unserer Freunde und Gefährten sein (Spr 20:19, 22:24, 24:21). Wie ich auf einen Menschen reagiere, soll ich, so sagen mir die Schriften, anhand meiner Einschätzung von dessen Charakter festlegen. Beispielsweise werde ich angehalten, einen weisen Menschen zurechtzuweisen, dagegen soll ich keinen Toren oder Spötter zu verbessern versuchen (vgl. Spr 12:15, 13:1, 14:16, 15:12, 17:10, 23:9, 26:4-5).

Weisen Menschen wird geraten, einen Toren nicht zu belehren oder zu verbessern, weil er den weisen Rat missachten und das richtige Handeln verachten wird. Sehen Sie, was ich meine? Man kann einen Toren nicht anleiten, weil ein Tor keine Anleitung erhalten will. Daher ist der Charakter Ausschlag gebend, was die göttliche Führung anbelangt. Nur der Fromme wird auf den Pfaden von Gerechtigkeit und Weisheit geleitet werden. Der Tor wird unweigerlich zum Weg der Torheit zurückkehren, wie der Hund zu seinem Erbrochenen (Spr 26:11).

Schlussfolgerung

Vieles, was ich über die göttliche Führung gesagt habe, ist nichts Neues, aber es muss trotzdem immer wieder zur Erinnerung gesagt werden (vgl. 2.Pe 3:1). Führung erkennt man vor Allem durch Weisheit, und Weisheit erhält man durch die Gebote aus dem Wort Gottes, durch den Ratschlag der Weisen und durch die hingebungsvolle Suche nach dem Willen Gottes.

Zudem haben wir gelernt, dass unser Charakter wohl der entscheidende Faktor für unsere Reaktion auf die göttliche Führung ist. Wer weise ist, wird die Führung Gottes erkennen (Spr 1:1-6), während die Törichten es versäumen, danach zu suchen. Deshalb konzentrieren sich die Sprüche so sehr auf unseren Charakter. Das Böse entspricht in den Sprüchen den Charakterzügen, die mit Weisheit und Gottgemäßheit unvereinbar sind, wie zum Beispiel Einfalt, Torheit, unkontrollierte Launen, Unmoral und Faulheit.

Während ich das Verhältnis zwischen Charakter und göttlicher Führung untersuchte, fiel mir auf, dass wir hier – wie auf vielen anderen Gebieten des christlichen Lebens – uns schuldig gemacht haben, „die Mücken auszusieben, aber das Kamel herunterzuschlucken“ (Mat 23:24). Wir haben unsere Aufmerksamkeit auf die Einzelheiten von Gottes Willen gerichtet, dabei aber die Wege vernachlässigt, die das Wort Gottes so deutlich vorzeichnet.

Ich glaube, viele von uns fragen nach göttlicher Führung, wenn sie irgendeine bestimmte Entscheidung auf dem Weg unseres Lebens zu treffen haben, wenn sie auf dem falschen Weg sind. Unsere Suche nach der göttlichen Führung entspricht dann ungefähr der des Jona, der zu Gott betete, ihn ein Schiff nach Tarsis finden zu lassen, obwohl Gott ihm doch aufgetragen hatte, nach Ninive zu gehen. Wir müssen gar nicht versuchen herauszufinden, ob es Gottes Willen entspricht, dass Sally unsere Frau wird, wenn Sally ungläubig oder bekanntermaßen von schlechtem Charakter ist.

Ich bin überzeugt davon, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Entscheidungen, die wir als Christen aufgerufen sind zu treffen, anhand des Weges getroffen werden kann, auf dem wir uns befinden, anhand des Weges, der in den Schriften so deutlich vorgezeichnet wird. Ich glaube außerdem, dass Einzelentscheidungen, die keinerlei moralische Dimension haben, die weder ‚gut’ noch ‚schlecht’ sind, deshalb der Freiheit des Christen anheim gestellt sind und für Gott nicht von Wichtigkeit sind. Wenn das nicht der Fall sein sollte, kann Gott uns mit Sicherheit dabei lenken, so wie Er Seine Kinder immer gelenkt hat. Wenn es für Ihn einen Unterschied macht, ob wir dieses Haus kaufen oder jenes, dieses Auto oder ein anderes, dann wird Er sicherlich mithilfe der göttlichen Vorsehung intervenieren.

Wenn ich die in den Schriften aufgezeichneten schlechten Entscheidungen der Menschen überdenke, stelle ich fest, dass diese eher aus einem nicht-gottgemäßen Charakter als aus ungenügender oder unklarer Führung resultieren. Simson, beispielsweise, war ein Mensch mit charakterlichen Schwächen, wenn es um Frauen ging. Er ging immer wieder ausländischen, gottlosen Frauen nach, auch wenn das Gesetz etwas Anderes vorschrieb und auch seine Eltern ihn darauf aufmerksam machten (Ri 14:3).

Davids Sünde mit Bathseba war ebenfalls auf eine Charakterschwäche seinerseits zurückzuführen. In 2.Samuel 11:1 wird uns gesagt:

Und es geschah im Frühjahr, zu der Zeit, da Könige in die Schlacht ausziehen, dass David Joab aussandte und mit ihm seine Knechte und ganz Israel, und sie vernichteten die Söhne Ammons und belagerten Rabba. David aber blieb in Jerusalem.

Im zweiten Vers eben dieser Stelle erfahren wir, dass David nicht nur zu Hause geblieben war, als er hätte in den Krieg ziehen sollen – nein, er schlief zudem bis spät in den Nachmittag hinein. Nun muss ich sagen, dass Davids Charakter sich drastisch verschlechtert hatte seit den Tagen, als er durch Saul verfolgt worden war. David geriet eher durch den Wohlstand in Versuchung als durch die Verfolgung. Er war ein so großer Anführer, muss er sich wohl gesagt haben, dass er den Krieg auch von seinem Bett aus führen konnte. Bathseba hätte nicht in Davids Bett liegen sollen – aber er selbst auch nicht. Darauf bezog sich in Wirklichkeit auch die treffende Zurechtweisung aus dem Munde Urias, der Davids loyaler Untertan und Bathsebas Ehemann war (2.Sa 11:11). Davids Sünde mit Bathseba geschah nicht einfach so; sie war das Ergebnis einer ernsthaften charakterlichen Verfehlung in Davids Leben. Übrigens war Bathsebas Sünde vielleicht von der gleichen Art wie die Davids. Sollte sie wirklich irgendwo gebadet haben, wo sie von Anderen gesehen werden konnte?

Ich möchte behaupten, dass die meisten schlechten Entscheidungen unseres Lebens wie bei David die Folge unseres Charakters sind. Denken Sie einen Moment darüber nach. Welche Versuchungen quälen Sie am meisten im Leben? Sind es nicht gerade die Versuchungen, die die schwächsten Seiten Ihres moralischen Bewusstseins betreffen? Wenn sie Schwierigkeiten haben, sich selbst zu beherrschen – ein Charakterfehler, der an vielen Stellen in den Sprüchen beschrieben wird (19:19, 22:24, 29:22) –, dann werden Sie immer wieder dagegen ankämpfen müssen, nicht zu explodieren. Je mehr Sie diesen Fehler hätscheln, umso größer wird die Versuchung sein und umso sicherer ein Straucheln beim nächsten Mal. Wenn Jemand zulässt, dass sich seine (oder ihre) Gedanken immer mit unmoralischen Dingen beschäftigen, so wird er oder sie sich bald einer moralischen Versuchung gegenüber sehen. Wenn nur genügend Zeit vergeht und sich eine passende Gelegenheit ergibt (wie bei David), so wird derjenige, der unmoralische Gedanken hegt, schließlich einer moralischen Sünde verfallen.

Gottes Willen leitet uns zwar ganz konkret an, bis hin zu winzigen Details unseres Lebens, am meisten und am stärksten offenbart sich Sein Wille aber in Bezug auf den Weg, den wir gehen: „Er erquicket meine Seele; Er führet mich auf den Pfaden der Gerechtigkeit um Seines Namens Willen“ (Ps 23:3).

Gottes Wille ist es, dass wir moralisch rein sind:

Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung; das heißt, dass ihr euch von geschlechtlicher Unmoral enthaltet (1.Th 4:3).

Ob wir die Prüfung wahrer Geistlichkeit und Reife bestehen, hängt von unserem Charakter ab. Die Ältesten und Gemeindevorsteher mussten Männer von gottgemäßem Charakter sein (1.Tim 3; Tit 1). Die Frucht des Geistes ist die Ausbildung eines gottgemäßen Charakters (Gal 5:22-23); und die Dinge, nach denen alle Christen streben sollen, stellen verschiedene Aspekte des gottgemäßen Charakters dar (2.Pe 1:5-11). Die Reife eines Heiligen ist eine Frage seines Charakters:

Denn obwohl ihr mittlerweile Lehrer sein solltet, habt ihr doch selber wieder Jemanden nötig, der euch die maßgeblichen Grundlagen der Sprüche Gottes lehrt, und ihr seid dahin gekommen, dass ihr wieder Milch braucht statt feste Speise. Denn Jeder, der nur Milch zu sich nimmt, ist unbewandert im Wort der Gerechtigkeit, denn er ist ein kleines Kind. Feste Speise aber ist für den Reifen, der durch Übung seine Sinne geschärft hat, dass sie das Gute und das Böse unterscheiden können (Heb 5:12-14).

Es sind die Unreifen, denen der gottgemäße Charakter fehlt, die wanken und schwanken, wo sie weise Entscheidungen treffen sollten:

Auf dass wir nicht länger wie die Kinder seien, die hierhin und dorthin geworfen werden von den Wellen und davongetragen werden von jedem Hauch einer Lehre, von den Betrügereien der Menschen, vom einem geschickt täuschenden Plan (Eph 4:14).

Er bitte aber ohne jedes Zweifeln und im Glauben; denn wer zweifelt, ist gleich der Meereswoge, die vom Wind umhergetrieben und umhergeworfen wird. Denn ein Solcher denke nicht, dass er irgendetwas vom Herrn empfangen wird, da er doch ein unentschlossener Mensch ist und unbeständig auf allen seinen Wegen (Jak 1:6-8).

Vor allem Anderen lassen Sie uns danach streben, einen gottgemäßen Charakter zu entwickeln und zu bewahren. Mehr als alles Andere wird uns das dazu bringen, der Führung gehorsam zu sein, die Gott Seinen Kindern zuteil werden lässt.

Gut und aufrecht ist der Herr; darum weist Er Sündern den Weg. Er führt den Demütigen in Gerechtigkeit, und Er lehrt den Demütigen Seinen Weg. Alle Pfade des Herrn sind Güte und Treue für die, die Seinen Bund und Seine Gebote halten. Um Deines Namens Willen, o Herr, vergib mein Vergehen, denn es ist groß. Wer ist der Mann, der den Herrn fürchtet? Er wird ihm den Weg weisen, den er wählen soll (Ps 25:8-12).


60 „Sowohl das Verb als auch das Substantiv sind mit einer hebräischen Proposition mit der Bedeutung ‚zwischen’ verwandt und bezeichnen die Fähigkeit, angemessene Unterscheidungen zu treffen. In diesem Falle ist die Unterscheidung zwischen Richtig und Falsch gemeint.“ A. Cohen, Proverbs [Die Sprüche], London: Soncino Press, 1967, S. 1.

61 McKane nennt das ‚Urteilsvermögen’ ‚Findigkeit’ und sagt im Weiteren über den Erziehungsprozess, durch den sie entwickelt werden sollte: „Wichtig war dabei, dass Verhandlungsgeschick vermittelt und ein solides Urteilsvermögen genährt werde, damit ein Individuum von Einfluss und Gewicht daraus hervorgehe.“ William McKane, Proverbs [Die Sprüche], Philadelphia: Westminster Press, n.d., S. 265.

62 „Es ist also der Begriff für eine Art nautischer Expertise, für die Fähigkeit, inmitten der offenen See einen Kurs zu halten; und man kann es leicht zu einer Metapher weiterentwickeln für das Geschick, ein Problem zu bewältigen, indem man Anfang und Ende des Problems zu erkennen und jede Handlung am richtigen Ort und zur richtigen Zeit durchzuführen in der Lage ist.“ Ibid, S. 266.

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