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9. Eschatologie: Die Endzeit

Der Begriff „Eschatologie“ leitet sich von den beiden griechischen Begriffen e[scato und lovgo ab, die grob gesagt „das Letzte“, „das Ende“ oder „das Endgültige“, bzw. „die Lehre vom“ bedeuten. Theologisch gesehen bezieht sich also der Begriff Eschatologie auf „die Lehre von den letzten Dingen“ in der Bibel. Das betrifft sowohl auf den Einzelnen bezogene eschatologische Themen wie den Tod oder den Zwischenzustand, als auch Themen mit allgemeinerem bzw. die Allgemeinheit betreffenden Bezug. Zum Letzteren gehören Konzepte wie die Wiederkunft Christi, die Auferstehung, das Gericht, die große Bedrängnis, das tausendjährige Reich und die Ewigkeit.

Eschatologie auf individueller Ebene

Die biblische Darstellung der Eschatologie enthält sowohl individuelle als auch allgemeine Aspekte. Was das Individuelle betrifft, so wird jeder Mensch den leiblichen Tod und den Zwischenzustand durchmachen. Diesbezüglich gibt es zwar einige wenige Ausnahmen in der biblischen Aufzeichnung (z.B. Henoch, und – in der Zukunft – diejenigen Christen, die gerade dann leben, wenn der Herr wiederkehrt und dann offenbar nicht durch den leiblichen Tod gehen, sondern sofort ihren Auferstehungsleib erhalten), aber im Großen und Ganzen können alle Menschen „sich darauf verlassen“, dass sie die Erfahrung des physischen Todes machen werden (Heb 9:27), der von einer Zwischenphase bewusster Existenz bis zur Auferstehung des Leibes gefolgt sein wird.

Der leibliche Tod wird in der Schrift als die Trennung der Seele bzw. des Geistes vom Körper beschrieben, und das bedeutet unmittelbar den Untergang und das Ende des physischen Leibes. Jakobus sagt, dass der Leib ohne den Geist tot sei, und der Schreiber des Predigerbuches sagt über den Tod im Allgemeinen, dass der Leib zu dem Staub zurückkehrt, aus dem er kam, und der Geist zu Gott, der ihn gab (Pr 12:7; vgl. Gen 2:7, 3:19).

Aber der Gebrauch des Todesbegriffs beschränkt sich in der Schrift nicht nur auf den leiblichen Tod. Vielmehr wird dieser Begriff auch zur Beschreibung des geistlichen Zustands aller Menschen (mit Ausnahme von Christus) benutzt, die in diese Welt hineingeboren wurden. So sagt der Apostel Paulus, dass wir „geistlich tot in der Sünde“ sind, bis wir mit Christus lebendig gemacht werden (Eph 2:1-6). Weil wir geistlich tot sind, bringen wir die Werke des Todes, der Finsternis und der tiefen Unkenntnis Gottes hervor (Eph 4:17-19).

Auf diejenigen aber, die im Zustand des geistlichen Todes sterben, kommt noch ein weiterer Tod zu, und dieser Tod ist bleibend, ohne jede Hoffnung auf Veränderung oder Befreiung. Er wird als der zweite Tod bezeichnet und führt in einen Zustand dauerhafter Ausscheidung aus der gnädigen Gegenwart Gottes. Er stellt die ewige Strafe dar für die Sünde und die Absage an Gottes Gegenwart in Christus. In Offenbarung 21:8 wird er als der zweite Tod bezeichnet.56 Und das sagt Johannes über ihn:

Offenbarung 21:8 Die Feigen aber, die Ungläubigen, die Verabscheuungswürdigen, die Mörder, die Hurer und die, die Zauberkünste ausüben, die Götzenanbeter und alle Lügner, ihr Platz wird in dem See sein, der mit Feuer und Schwefel brennt. Das ist der zweite Tod.

Zuvor sagt Johannes in Offenbarung 20:6, dass diejenigen, die an Christus glauben, den zweiten Tod nicht erleiden müssen.

Offenbarung 20:6 Selig ist und heilig, wer an der ersten Auferstehung teilhat. Über diese hat der zweite Tod hat keine Macht, sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein, und sie werden mit ihm zusammen tausend Jahre lang regieren.

Der leibliche wie auch der geistige Tod sind das Ergebnis von Adams Sünde (1.Ko 15:21)57. Adam, als dem Menschen par excellence, wurde um den Preis des sicheren Todes befohlen, nicht von der Frucht des Baumes zu essen (Gen 2:17). Diese „Todesstrafe“ beinhaltete mehr als nur den geistlichen Tod, denn dem Menschen wurde es dadurch verwehrt, den Garten wieder zu betreten, vom Baum des Lebens zu nehmen und in seinem sündigen Zustand ewig zu leben (Gen 3:23-24). Die Strafe des Todes für die Sünde beinhaltete also den leiblichen ebenso wie den geistlichen Tod (vgl. den immer wiederkehrenden Vers „und starb“ in Genesis 5).58

Das existenzielle Problem des Todes ist so leidvoll, dass viele Menschen darüber alle Hoffnung und Lebensmut verlieren. Für einen Christen aber hat der Tod nicht das letzte Wort und „Verloren“ ist nicht das letzte Wort in dieser Sache. So traurig, Furcht einflößend und schwierig die Erwartung und Erfahrung des Todes auch ist (Apg 8:2; Php 2:27), hat doch der Christ aufgrund der Auferstehung Christi und durch den Dienstes des ihm innewohnenden Geistes die feste Zusage, dass die Auferstehung und das Leben mit Gott sein/ihr endgültiges Schicksal sein wird (1.Th 4:13). Während wir nun um unsere verstorbenen Lieben trauern, trauern wir nicht für sie – denn insofern sie an Christus glauben, sind sie beim Herrn –, sondern wir trauern für uns selbst in unserem schwer wiegenden und tief empfundenen Verlustgefühl. Wollen wir also in Zeiten der Not zum Thron der Gnade kommen, um dort Barmherzigkeit zu finden und Gnade über Gnade zu empfangen (Heb 4:16). Unserem Herr Jesus Christus sind die Leiden des Todes nicht fremd (1.Ko 15:55-57).

Es ergibt sich allerdings die Frage, was mit den Menschen nach ihrem Tod und vor ihrer Auferstehung geschieht. Diese Zeit wird von Theologen oft als der „Zwischenzustand“ bezeichnet. Verschiedene Antworten sind schon auf diese Frage gegeben worden. Erstens vermuten manche Menschen, dass die Seele bis zur Auferstehung des Leibes in einen bewusstlosen Schwebezustand eintritt.59 Im Allgemeinen behaupten diejenigen, die diesen „Seelenschlaf“ – wie er oft genannt wird – vertreten, dass etwas in der Art gemeint sei, wenn vom „Entschlafen“ eines Christen im Herrn die Rede ist (vgl. 1.Th 4:13-15). Aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass „Schlaf“ hier etwas anderes sein soll als eine Metapher (ein Euphemismus) – aus der Sicht trauernder Christen, die noch am Leben sind –, um die geliebten verstorbenen Christen zu bezeichnen, die eines Tages „erwachen“ werden, um im Leben nach der Auferstehung mit Christus (und mit Freunden und Familie) beisammen zu sein. Die Bedeutung dieser Metapher liegt also nicht darin, dass die Verstorbenen sich nun in einem Zustand der Bewusstlosigkeit befänden, sondern darin, dass der Tod nicht ihr endgültiges Schicksal ist – vielmehr ist das das Leben mit Christus nach der Auferstehung (siehe Joh 11:11-14)! Die Metapher zeigt, dass der Tod für einen Christen nur vorübergehend ist. Zudem bekundet auch die Geschichte von Lazarus in Lukas 16:19-31 eine bewusste Existenz nach dem Tode und keinen „Schlaf“ in dem Sinne, wie ihn die Anwälte des „Seelenschlafes“ oft behaupten.

Zweitens vertritt die römisch-katholische Theologie üblicherweise die Meinung, dass die Seelen der Gläubigen noch nicht vollständig geläutert seien und daher ins Fegefeuer gehen, um dort Reinigung und Vorbereitung auf den Himmel und die Gegenwart Gottes zu erfahren. Die Katholiken begründen diese Doktrin häufig mit Elementen aus der kirchlichen Tradition und mit Texten wie (unter anderem) 2.Makkabäer 12:42-45, wo gesagt wird, dass Judas Makkabäus Geld sammelte und als ein Sühneopfer nach Jerusalem schickte, um dadurch „die Toten zu entsühnen, damit sie von ihren Sünden befreit würden“ (NRSV [New Revised Standard Version]). Weitere NT Textstellen, die zur Unterstützung dieser Doktrin herangezogen werden, sind unter anderem Matthäus 5:26 und 12:32, 1.Korinther 3:15 und 2.Timotheus 1:18. Selbst ein kurzer Blick auf diese Stellen offenbart uns aber, dass es nicht legitim sein kann, die Doktrin vom Fegefeuer aus ihnen herauszulesen. Außerdem wird eine solche Behauptung ganz offensichtlich durch den gesamten Tenor der neutestamentarischen Theologie widerlegt und auch durch die Tatsache, dass man jetzt an Christus glauben muss, um erlöst zu werden. Die Apostel sahen nur für denjenigen Hoffnung, der persönlich und in diesem Leben an Christus glaubt.

Drittens gibt es bezüglich des Zwischenzustands auch noch die Auffassung von der „augenblicklichen Wiederauferstehung“. Nach dieser Ansicht – die in unterschiedlicher Form von F.F. Bruce, W.D. Davies und anderen dargelegt wurde – gibt Paulus einem Zwischenzustand der körperlosen Existenz keinen Raum, sondern lehrt in 2.Korinther 5, dass der Christ bei seinem Tode unmittelbar einen Auferstehungsleib empfange, der gegenwärtig noch in der ewigen Ordnung verborgen sei. Diese Interpretation von 2.Korinther 5 ist aber bestenfalls zweifelhaft (vgl. 5:9); und die – oft im Zusammenhang mit einer streng monistischen Anthropologie geäußerte – Annahme, dass der Mensch unbedingt einen Körper brauche, weil er sonst aufhöre zu existieren, muss aufgrund der Schrift (wie oben ausgeführt) klar verworfen werden.

Viertens besteht eine bessere Sichtweise des Zwischenzustandes darin, dass die entleibten Seelen der Gläubigen bei Christus sein (2.Ko 5:8-9) und dort darauf warten werden, dass sie bei seiner Wiederkehr einen Auferstehungsleib erhalten. Der Apostel Paulus sagt, dass die Toten in Christus zum Zeitpunkt der Entrückung mit dem Herrn wiederkommen und dann alle auferstehen (d.h. Auferstehungsleiber empfangen) werden (1.Ko 15:22-23; 1.Th 4:14,16). Wer dagegen fern von Christus stirbt, fährt unmittelbar zur Hölle (Luk 16:23-24) und erwartet dort die Auferstehung zum Gericht (Joh 5:28-29; Mat 25:46).60 In der Schrift gibt es wohl kaum Hinweise darauf, dass wir unmittelbar nach unserem Tode einen Auferstehungsleib empfangen. Vielmehr liegt die Betonung offensichtlich auf einer späteren, zeitgleich mit der Wiederkunft des Herrn geschehenden, Auferstehung der Gläubigen wie auch der Ungläubigen.

Bezüglich der Auferstehung haben sich nun also einige Fragen ergeben. Bevor wir uns aber damit beschäftigen, wollen wir zuallererst einmal festhalten, dass alle Gläubigen ganz gewiss in Auferstehungsleibern verherrlicht werden sollen. Diese Doktrin wird in der Schrift und während der gesamten Kirchengeschichte eindeutig gelehrt (Joh 5:28-29; Rö 8:11; 1.Ko 15:12-58; 2.Ko 5:1-10).

Als Erstes fragen manche Menschen nach der Natur des Auferstehungsleibes. Diese Frage wird gelegentlich so beantwortet, dass unsere Leiber keine eigentliche Körperlichkeit haben werden, da Paulus ja sagte, dass „Fleisch und Blut“ das Reich Gottes nicht erben können (1.Ko 15:50). Diese Sichtweise hat aber einige Schwachpunkte. Erstens ist es unwahrscheinlich, dass Paulus durch „Fleisch und Blut“ den Gegensatz zwischen Nicht-Materiellem und Materiellem ausdrücken will. Vielmehr will er, wie der nachfolgende Satz in 1.Korinther 15:50 zeigt, das Vergängliche (unseren Körper, wie er gegenwärtig unter Adam und der Sünde existiert) dem Unvergänglichen (unserem verherrlichten Leib) gegenüberstellen. Zweitens geht aus der Schrift ziemlich klar hervor, dass Jesu Auferstehungsleib physisch war (Luk 24:39; Joh 20:27; 1.Ko 15:49); und da der unsere nach seinem Vorbild gestaltet ist, können wir davon ausgehen, dass er auch physisch sein wird (Php 3:21). Das heißt nicht, dass unser auferstandener Leib all die Beschränkungen aufweisen wird, denen wir jetzt noch unterworfen sind, sondern es heißt, dass wir tatsächlich einen Körper haben werden (und der wird vielleicht, wie der auferstandene Jesus, zu viel mehr in der Lage sein, als wir uns derzeit auch nur vorstellen können).

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist die nach der Identität zwischen der verstorbenen und der auferstandenen Person. Philosophen und Theologen, die an einem monistischen Menschenbild festhalten, können sich noch nicht einmal im Ansatz vorstellen, dass eine Person unabhängig von ihrem Körper existieren könnte, d.h. dass es eine immaterielle Seele gibt. Für sie gibt es also entweder gar kein Leben nach dem Tod, oder – so die Meinung mancher christlicher Theologen – Gott muss die Person bei der Auferstehung wieder neu erschaffen; eine körperlose Existenz ist jedenfalls unmöglich. Daraus erhebt sich dann die Frage nach der persönlichen Identität und danach, wer eigentlich von den Toten auferweckt wird, nachdem eine Person gestorben ist. Für überzeugte Monisten und auch für manch anderen mag das ein Problem darstellen, doch die Schrift spricht ganz eindeutig über die Identität zwischen der verstorbenen Person einerseits und der nachfolgend wieder auferweckten Person andererseits: Sie sind identisch und er/sie ist noch dieselbe Person. Körperlichkeit oder Physis ist keine wesentliche Voraussetzung für Personhaftigkeit, wie uns die Personhaftigkeit Gottes und der Engel lehrt. Noch einmal: Dem unter christlichen Philosophen und Theologen verbreiteten Monismus zum Trotz bezeugt die Schrift eine Anthropologie des substanziellen Dualismus (der engen Verbindung zwischen komplexen materiellen und komplexen immateriellen Anteilen). Die Seele/Person überdauert den Tod und erwartet als solche die Auferstehung, bei der sie einen verherrlichten Leib empfangen wird.

Allgemeine Eschatologie

Die Wiederkunft Christi: Unstrittige Punkte

Sie kommt gewiss, wenn auch ihr Tag unbekannt ist

Eine siegesgewisse Hoffnung lebt in den Seiten des Neuen Testaments, und sie beruht darauf, dass Christus von den Toten auferstand, in den Himmel fuhr (wo er gegenwärtig in Erfüllung der davidischen Verheißung regiert) und eines Tages gewiss zurückkommen wird. Als die Apostel zusahen, wie Jesus in den Himmel aufstieg, erschienen, so erzählt uns Lukas, zwei weißgekleidete Männer und fragten sie: „Warum steht ihr da und schaut in den Himmel empor?“ Vielleicht brachten die Jünger, starr vor Staunen, ihre Anbetung dar; vielleicht dachten sie auch, dass Jesus jeden Augenblick zu ihnen zurückkehren würde. Jedenfalls setzte Jesus seinen Weg in den Himmel fort – die Männer aber sagten zu den Jüngern, dass er in der selben Weise (tropos), in der er jetzt in den Himmel auffuhr, eines Tages ganz gewiss zurückkehren würde (Apg 1:11). Das war dann folgerichtig der feste und weit verbreitete Glaube unter den frühen Christen. Paulus lehrte, dass „der Herr selbst vom Himmel herabkommen“ würde (1.Th 4:16), und Johannes erwähnt im Buch der Offenbarung häufig, dass darin die Hoffnung der Heiligen liege. In Vers 22:12 sagt Jesus: „Siehe, ich komme bald ...“, und das gleiche wiederholt er noch einmal in Vers 22:20. Darüber hinaus zeigt Offenbarung 22:20, dass jeder Christ in seinem Herzen für die baldige Wiederkunft Christi betete und beten sollte (s.a. Php 4:5; Heb 9:28; Jak 5:8, 2.Pe 3:10, 1.Jo 3:2-3).

Es mag viele Gründe für den festen Glauben der frühen Kirche an die persönliche Rückkehr Christi gegeben haben; keiner aber kann entscheidender gewesen sein als der, dass Jesus selbst sie lehrte. Christus kündigte in seiner großen Predigt auf dem Ölberg – in Übereinstimmung mit Daniels Vision vom Menschensohn – an, dass er ganz gewiss zurückkehren werde (Mat 24:3,30; Joh 14:3; Off 1:7).

Noch über einen weiteren wichtigen Aspekt sind sich die Schreiber der Evangelien einig: nämlich darüber, dass niemand den genauen Zeitpunkt der Wiederkunft weiß noch wissen kann. Nicht einmal Jesus selbst kannte den Tag seiner Wiederkehr; nur der Vater kennt ihn (Mat 24:36). Wir können also zwar die Zeichen erkennen (die übrigens von Anfang an geschehen sind), aber wir können die Stunde nicht wissen, zu der der Menschensohn zurückkehren wird. Tatsächlich lenkt das „Fristen-Setzen“ – wie es in gewissen Kreisen bekannt geworden ist – effektiv von dem ab, was wir eigentlich und eindeutig aufgefordert sind in seiner Abwesenheit zu tun: ihm mit Weisheit und Bedacht zu dienen, in der Erwartung seiner sicheren Wiederkehr (Mat 24:36-25:30). Die Faszination am genauen Festlegen eines Datums entspringt aus einem Herzen, das Christus wenig oder gar nicht kennt. So bringt man ahnungslose Menschen, theologisch gesehen, auf eine „Kaninchenfährte“, nur um am Ende festzustellen, dass man gemeinsam mit all seinen Anhängern in die Falle geraten ist. Manch ein Kult und manche eigenwillige christliche Gruppierung legen von dieser Tatsache Zeugnis ab.

Ich will damit nicht sagen, dass eschatologische Lehren unwichtig wären – ganz im Gegenteil. Ich meine damit nur diejenigen, die 88 Gründe dafür angeben, dass die Entrückung 1988 stattfindet. Solche Menschen befinden sich auf Abwegen, und niemand (sei er Christ oder nicht) braucht auf sie zu hören. Tatsächlich legt Christi Lehre selbst uns nahe, dass wir diese Menschen ignorieren sollten. Bezüglich der Eschatologie müssen wir uns also den biblischen Standpunkt zu Eigen machen; und wir sollten uns definitiv nicht in einen Widerspruch zu den eindeutigen Aussagen der Schrift begeben (z.B. dass Jesus selbst sagt, er kenne den Zeitpunkt seiner Wiederkehr nicht) – nur aus dem trügerischen Bestreben heraus, das Unerforschliche zu wissen.

Sie wird persönlich, leibhaftig und für alle sichtbar geschehen

Die zum Teil aus liberalen Kreisen stammende Vorstellung, dass Jesus geistig und nicht leibhaftig wiederkehren werde, ist mit vielen Schriftstellen schwerlich in Einklang zu bringen und wohl eher Ausdruck dessen, dass allgemeine Vorurteile gegen das Übernatürliche in den Text hineingetragen werden. Die Darstellung in Apostelgeschichte 1:11 ist, wie oben gesagt, ganz sicher die einer persönlichen, leiblichen Wiederkehr; und die Aussage „jedes Auge wird ihn sehen“ erhält ihre unmittelbarste Bedeutung nur dann, wenn man Jesu Wiederkehr als leiblich annimmt (Mat 24:30). Auch Paulus lehrte, wie erwähnt, dass der Herr selbst wiederkommen wird (1.Th 4:16).

Sie wird prachtvoll sein

Die Wiederkunft Christ wird nicht in einem verborgenen „Stall“ in einer kleinen Stadt in Juda geschehen. Während seine erste Ankunft noch weitgehend unbemerkt von der Welt stattfand (und dennoch war sie in Johannes’ Augen herrlich), wird seine Wiederkunft nicht unbemerkt bleiben. Jesus mahnt seine Jünger, nicht jedem hinterherzulaufen, der da behauptet „Schaut! Hier ist der Christus“ oder „Schaut! Dort ist der Christus“ (Mat 24:23). Laut Jesus gibt es zwei Gründe, warum wir uns nicht mit solchen müßigen Spekulationen abgeben sollen. Erstens wird manch falscher Christus erscheinen und viele täuschen. Zweitens wird es dann, wenn er wiederkommt, keinen Zweifel mehr darüber geben. Mit anderen Worten: Man muss nicht hierhin und dorthin rennen und rufen „Hier ist er!“, denn „so wie der Blitz, der im Osten aufleuchtet, sichtbar ist bis zum Westen, so wird das Kommen des Menschensohnes sein“ (Mat 24:27). In der Tat wird es Zeichen von kosmischen Ausmaßen im Zusammenhang mit seinem Kommen geben (Mat 24:29).61

Er wird als Richter und Retter kommen

Ein Zwillingsthema wird in den Berichten der Evangelisten mit dem Kommen des Menschensohnens assoziiert: das Gericht über die Ungläubigen und die Erlösung/Belohnung der Erwählten. Jesus ist bei seiner Rückkehr zunächst also sowohl Richter als auch Retter (Mar 13; Luk 21).62

Jesus sagt, dass in der Zeit vor seinem Kommen viele um seinetwillen verfolgt und getötet werden (Mat 24:9-12); wer aber bis zum Ende fest bleibt, wird erlöst (d.h. „gerettet“) werden. Nach der Zeit der großen Bedrängnis – von der Christus sagte, dass sie um der Erwählten Willen verkürzt werden wird (24:22), – wird er also zurückkehren und sein Eigen von den vier Winden her sammeln. Aber er wird auch richten über seine Feinde und über all jene, die sein Kommen gering geachtet haben. Das sind dann die, von denen gesagt ist: sie werden „wehklagen“ (24:30), sie werden „in Stücke gehauen“ und ihnen wird „ein Platz unter den Bösen zugewiesen“ werden (24:51), sie sind „töricht“ und werden vom „Festmahl“ ausgeschlossen werden (Mat 25:3,10-12), sie sind „böse, faule Knechte“ und „wertlose Knechte“, die am „Glück ihres Herrn“ nicht teilhaben, sondern „hinaus in die Finsternis geworfen werden, wo da Heulen und Zähneknirschen sein wird“ (25:23,26,30). Der König wird sie als die Böcke aussondern und zusammen mit dem Teufel und seinen Engeln in das ewige Feuer werfen (25:41). Sie werden „ewige Strafe“ für ihre Sünden empfangen (25:46).

Ein ganz anderes Schicksal erwartet auf der anderen Seite die Gerechen in der Hand des souveränen Herrn. Er ist ihr Befreier (1.Th 1:10) und wird sie – bei seiner Wiederkehr – von den vier Winden her einsammeln (Mat 24:31), denn sie haben bis zu seinem Kommen gewacht (24:42). Sie sind die klugen Knechte und ihnen wird noch viel mehr anvertraut werden (24:47). Sie sind die klugen Jungfrauen, die auf sein Kommen und das Fest vorbereitet waren und daher mit ihm hinein gingen (25:10). Sie verwalteten auch ihre gottgegebenen Talente wohl und ihnen wurde noch viel, viel mehr anvertraut (25:29). Am Ende werden die Gerechten ihr Erbe empfangen, nämlich das Reich, das vom Anbeginn der Welt für sie vorbereitet ist (25:34). Sie werden ewiges Leben erben (25:46).

Die Wiederkunft Christi: Strittige Punkte unter Evangelikalen

Die „unmittelbare“ Wiederkunft Christi

Unter den Evangelikalen bestreitet niemand die biblische Tatsache, dass Christus irgenwann in der Geschichte leiblich zurückkehren wird. Aber über die genaue Art, wie dies geschehen wird, und über die unmittelbaren Auswirkungen seiner Wiederkehr werden verschiedentlich Diskussionen geführt. Fragen über die Art seiner Wiederkehr ergeben sich dadurch, dass es zweierlei Arten von Texten gibt: Texte, die über eine unmittelbare Wiederkunft sprechen (d.h. Christus könnte jeden Moment zurückkehren)63, und Texte, die so klingen, als müssen bestimmte Ereignisse erfüllt (d.h. geschehen) sein, bevor Christus wiederkehren kann. Bibelstellen wie Matthäus 24:42-44 und Lukas 12:40 lehren anscheinend, dass der Herr jeden Moment kommen könnte, während andere Passagen eher so verstanden werden können, dass, bevor Christus wiederkehrt, das Evangelium in der ganzen Welt verkündet sein muss (Mat 24:14), die große Bedrängnis eintreten muss (Mat 24:21), der Mensch der Gesetzlosigkeit erscheinen muss (2.Th 2:3) und „ganz Israel“ gerettet sein muss (Rö 11:25-32). Wieder andere Texte sprechen über „Zeichen“, die geschehen müssen (Mat 24:4-14). Jedenfall scheinen diese letzteren Textstellen darauf hinzudeuten, dass Sein Kommen eigentlich nicht unmittelbar sein kann, da ihm ja bestimmte Zeichen vorausgehen müssen. Um zu einer Synthese all dieser Aussagen zu gelangen, wurden verschiedene Lösungen angeboten.

Für viele liberale Theologen ist es nun typisch, dass sie – in ihrem ständigen Bestreben, die ethischen und universellen Aspekte des Gottesreiches innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen hervorzuheben – den obigen Widerspruch einfach durch die Behauptung lösen wollen, dass sich sowohl Jesus als auch Paulus im Hinblick auf die Wiederkunft irrten. Sie seien in einem antiquierten und unwissenschaftlichen jüdischen Apokalyptizismus befangen und bezüglich der leiblichen Wiederkehr schlicht im Irrtum gewesen, und daher sei für jede so genannte Wiederkunft die Behauptung unzutreffend, dass diese unmittelbar eintreten würde.

Erstens muss wohl nicht gesagt werden, dass die Schreiber der Bibel in der Tat eine ganz andere Weltsicht hatten als ihre liberalen Exegeten des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Die Weltsicht der Ersteren lässt göttliche Intervention und Wunder zu, während die der Letzteren das Christentum auf eine nette (naive?) Ethik reduziert und für das Übernatürliche wenig oder gar keinen Raum lässt. Kurz gesagt: der moderne Liberale spricht aufgrund seiner Verpflichtung auf das so genannte wissenschaftliche Paradigma an dieser Stelle zwangsläufig so über die Bibel, als müsse er versuchen, das Missverständnis von Jesus und Paulus aus der Welt zu schaffen. Aber was dann übrig bleibt, hat mit dem Christentum nichts mehr zu tun, sondern ist nur noch irgendeine beliebige, kraftlose Religion. In der Schrift jedenfalls wird die leibliche Wiederkehr Christi eindeutig gelehrt (z.B. Apg 1:11), und daher betrachtet der kundige Christ den Liberalen in diesem (und in vielen weiteren, ähnlichen) Punkten als unwissend und in ungesunder Weise mit der veralteten und unhaltbaren Weltsicht des Modernismus verheiratet.

Wir sollten uns zweitens auch bewusst machen, dass die Art, wie die biblischen Schreiber selbst die Prophezeiungen betrachteten, ebenfalls eine Rolle spielt. Der Gebrauch von Worten wie „bald“ (Off 22:12) und Ausdrücken wie „noch über eine kleine Weile“ (Heb 10:37) in Verbindung mit dem Kommen Christi bedeutet nicht, dass sie dachten, diese Ereignisse würden sogleich eintreten, sondern nur, dass sie die Zukunft als eine unmittelbare Realität wahrnahmen. Auf diese Weise, d.h. durch die prophetische Verkürzung der Perspektive, ist ihre Botschaft für jede Generation nützlich und anwendbar. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bessere und bibelgerechtere Lösungen für diese Frage gibt als die von den unterschiedlichen Spielarten des Liberalismus angebotenen.

In dem Versuch, die Diskrepanzen zwischen den oben erwähnten zwei Arten von Texten zu überbrücken, stellen sich einige evangelikale Wissenschaftler auf den Standpunkt, dass das Kommen Christi kein unmittelbares Ereignis sei, sondern ihm bestimmte andere Ereignisse vorausgehen müssten. Sie geben damit den Texten Vorrang, die die Betonung auf „später“ legen, und betrachten die erstere Gruppe der „Unmittelbarkeits“-Texte aus diesem Blickwinkel. Louis Berkhof sagt beispielsweise, dass Jesus, wenn er in bestimmten Situationen über sein Kommen sprach, „sein Kommen in geistiger Macht zu Pfingsten, manchmal auch sein Kommen zum Gericht bei der Zerstörung Jerusalems“ gemeint habe. Berkhof betont auch, dass das Gleichnis von den Pfunden erzählt worden sei, um die Vorstellung zu korrigieren, das Reich Gottes werde sogleich kommen (Luk 19:11), und dass Jesus und Paulus bei vielen anderen Gelegenheiten gesagt hätten, dass das Reich erst mit Verzug kommen werde (Mat 25:5; 2.Th1:2). Kurz gesagt, vertritt Berkhof die Meinung, dass alle Texte, die von einer unmittelbaren Wiederkunft sprechen, im Lichte derjenigen Textstellen verstanden werden sollten, die von Verzug sprechen. Für ihn stellen die Voraussagen über den „Ruf an die Völker“, die „Fülle Israels“, die „große Apostasie und Bedrängnis“, die „kommende Offenbarung des Antichrist“ und alle möglichen „Zeichen und Wunder“ den Kern dar, um den herum die anderen Texte angeordnet werden müssen.64 Unter dem Strich kommt bei dieser Vorgehensweise heraus, dass die Bibel bezüglich der Wiederkunft Christi keine Unmittelbarkeit, sondern nur Verzug lehrt. Nicht jeder stimmt ihm da jedoch zu.

So ist, bei allem Respekt, Grudem anderer Auffassung als Berkhof. Er meint, Berkhofs Lösung sei zu einseitig und werfe zwei miteinander zusammenhängende Probleme auf: (1) annulliert sie die Mahnungen zu wachen und bereit zu sein für Christi Wiederkehr, da sie ja im Wesentlichen lehrt, dass Christus nicht jeden Moment kommen kann, und (2) legt sie die „Zeichen“ für das Erscheinen Christi in einer Weise aus, wie es in der Schrift nicht beabsichtigt wurde, nämlich als Hinweise darauf, dass sein Kommen nicht mehr fern ist. Aber diese Zeichen wurden sicher vielmehr gegeben, um uns zu lehren, dass sein Kommen bereits vor der Tür steht!65

Nach Meinung mancher Dispensationalisten liegt die Lösung für die besagten Widersprüche darin, dass sich die erstere Gruppe von Textstellen (d.h. die Texte, die von einer unmittelbaren Wiederkehr sprechen) auf eine geheime Ankunft Christi für seine Heiligen und deren Entrückung bezieht, während die zweite Gruppe von Texten von Christi Wiederkunft mit den Heiligen spricht, nach der er über die gesamte Erde herrschen wird. Damit wäre die Entrückung der Kirche unmittelbar, während die Wiederkunft – ein davon getrenntes Ereignis – von vielen Zeichen angekündigt und (in vielen Schemata) sieben Jahre nach der Entrückung stattfinden wird. Diese Auffassung hat den Vorteil, dass beide Arten von Texten ihre Aussage eindeutig und ohne Widerspruch zueinander treffen dürfen. Es ist jedoch dagegen eingewendet worden, dass man aus den Textstellen über die Wiederkunft des Herrn schwerlich zwei Ankünfte ableiten kann und dass die Darstellung der „Entrückung“ in 1.Thessalonicher 4:16-17 alles andere als geheim oder abgeschieden zu sein scheint (vgl. „ein lauter Zuruf“, „die Stimme des Erzengels“, „die Posaune Gottes“).

Eine weitere Lösungsmöglichkeit bietet die Auffassung, dass die Unmittelbarkeits-Stellen nicht über den objektiven Zeitpunkt und Ablauf von Christi Kommen sprechen, sondern über unser subjektives Erleben seiner Ankunft. Das Augenmerk liegt in den mahnenden Textstellen nicht auf Christi Wiederkunft per se, sondern vielmehr darauf, wie wir seine Wiederkehr erleben. Selbst wenn nämlich seine Rückkehr nicht geschehen kann, bevor nicht bestimmte Ereignisse eingetreten sind, wird es doch Menschen geben, die nicht bereit sind und sein Kommen erleben wie ein Dieb in der Nacht. Die Textstellen sagen damit nicht direkt etwas über den Zeitpunkt seiner Wiederkehr aus, sondern nur darüber, wie wir im Hinblick auf diese Wiederkehr leben sollten.

Diese Lösung betont offensichtlich einen wichtigen Aspekt der Texte, nämlich dass wir bereit sein müssen für Seine Wiederkehr. Letztendlich aber muss sie doch als unbefriedigend bewertet werden. Die Texte, die für eine Unmittelbarkeit sprechen – wie beispielsweise „Das Ende aller Dinge ist nahe“ (1.Pe 4:7) und „Ich komme bald“ (Off 22:12) – sprechen über objektive Tatsachen und nicht nur über unsere subjektive Verfassung zum Zeitpunkt seiner Wiederkehr.

Wieder ein anderer Lösungsansatz besagt, dass alle Zeichen bereits aufgetreten seien und Christus daher jeden Moment zurückkehren könnte. Auf diese Weise kann man den Abschnitten, die Christi Wiederkunft erst nach einer Reihe von bestimmten Ereignissen erwarten, vollen Glauben schenken. Es ergeben sich allerdings zwei Probleme. Erstens wurde die Doktrin von der unmittelbaren Wiederkunft Christi – wenn sie denn (wovon diese Sichtweise ausgeht) in der Schrift gelehrt wird – im Wesentlichen zur gleichen Zeit gelehrt wie die Doktrin vom Verzug. Das würde bedeuten, dass die Unmittelbarkeitshypothese erst zutraf, nachdem die entsprechenden Ereignisse eingetreten waren, zum Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Verkündigung aber unzutreffend war. Dadurch aber wird die Inspiration der Schrift in Frage gestellt. Zweitens scheint es, dass viele der Ereignisse, zum Beispiel die Verkündigung des Evangeliums und die große Bedrängnis, noch nicht erfüllt sind.

Schließlich gibt es auch noch die Sichtweise, dass die Wiederkunft als unmittelbar verstanden werden kann, wenn wir erkennen, dass sie zwar im Moment unwahrscheinlich ist, aber die Ereignisse vor der Wiederkunft – d.h. die weltweite Verkündigung des Evangeliums, die große Bedrängnis und die Bekehrung der Juden – bereits erfüllt worden sind. Die Stärke dieser Sichtweise besteht darin, dass beide Arten von Texten auf ihre Weise sprechen dürfen und dass sie ein gesundes Maß an Unsicherheit in der Auslegung vieler der relevanten Textstellen belässt. Die Schwäche dieser Betrachtungsweise liegt zugegebenermaßen darin, dass man sich, wie oben erwähnt, nur schwer vorstellen kann, dass die große Bedrängnis und die Reaktion der Juden, wie sie sich Paulus (56-57 n.Chr.) im Römerbrief vorstellte, schon eingetreten wären.66

Art und Zeitpunkt der Entrückung
      Das Wesen der Entrückung

Unter denjenigen, die der Auffassung sind, dass die Bibel eine „Entrückung“ der Kirche lehrt, gehen die Meinungen über die Art dieser Entrückung auseinander. Der Begriff [im Englischen: „rapture“; Anm. d. Ü.] stammt von dem lateinischen Wort rapio mit der Bedeutung „fortreißen“ und stellt damit den Versuch dar, die Bedeutung des griechischen Ausdrucks aJrpavzw (harpazo„) in 1.Thessalonicher 4:17 im Englischen wiederzugeben. Dort sagt der Apostel, dass die Heiligen, die zum Zeitpunkt der Wiederkehr des Herrn am Leben sind, gemeinsam mit den bereits verstorbenen Heiligen „plötzlich fortgerissen“ und dann gemeinsam dem Herrn in der Luft begegnen werden. Wie genau diese „Begegnung“ in der Luft und die darauf folgenden Ereignisse ablaufen werden, wird von einigen Wissenschaftlern infrage gestellt.

Manche vertreten diesbezüglich die Meinung, dass die Heiligen gemeinsam mit dem Herrn sofort wieder auf die Erde zurückkehren werden. Unter vielem anderen führen sie als Indiz dafür an, dass der Begriff ajpavnthsi (apante„sis, „treffen“) in Thessalonicher 4:17 ein Fachausdruck sei. Dieser Ausdruck, so sagen sie, wurde oftmals für eine besondere Delegation gebraucht, die vor die Stadttore ging, um einen ankommenden Würdenträger zurück in die Stadt zu eskortieren, und dies lasse darauf schließen, dass Christus und seine Heiligen unmittelbar zur Erde zurückkehren werden.67 Andere, wie zum Beispiel die meisten Dispensationalisten, vertreten dagegen die Meinung, dass die Kirche nach der Entrückung in den Himmel hinweggenommen werden und dort den Richterstuhl Christi (2.Ko 5:10) und die Hochzeit des Lammes (Off 19:7) erleben wird. Diese Auslegung geht davon aus, dass die spezifisch-fachliche Bedeutung des Begriffs apante„sis in diesem Falle nicht zutrifft, da ja die Heiligen nicht von sich aus hinausgehen, um den Herrn zu treffen, sondern vielmehr sozusagen „weggeschnappt“ werden. Zudem setzt die fachliche Bedeutung, selbst wenn sie gemeint ist, nicht voraus, dass der Herr sofort zur Erde zurückkehrt, sondern nur, dass er das überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt tut – und das, so sagen sie, wird nach der siebenjährigen Bedrängnis geschehen.

Die gegenwärtig bestehenden Fragen über das Wesen der Entrückung beziehen sich also nicht so sehr darauf, wie das Ereignis selbst sich gestalten wird, sondern eher darauf, was wohl gleich nachdem „wir uns in der Luft treffen“ geschehen wird. Werden wir unmittelbar anschließend zurückkehren, oder werden wir bis zum Ende der Großen Bedrängnis in den Himmel fahren? Diese Fragen stehen offensichtlich in engem Zusammenhang mit weiteren Fragen über den Zeitpunkt der Entrückung – und diesen Fragen werden wir uns nun zuwenden.

      Der Zeitpunkt der Entrückung

In diesem Kapitel soll nicht einem bestimmten Standpunkt der Vorrang gegenüber den anderen eingeräumt werden. Unsere Absicht ist es vielmehr, die verschiedenen Auffassungen einfach einmal vorzustellen und kurz zu kommentieren. Jede dieser Auffassungen findet gewisse exegetische und theologische Unterstützung, und jede dieser Auffassungen wird innerhalb der Evangelikalen von frommen und kundigen Laien wie auch von Wissenschaftlern vertreten. Damit sind diese Auffassungen nicht geeignet, um in irgendeiner Weise die Orthodoxie ihrer Vertreter zu überprüfen oder zu demonstrieren, und man sollte sie also auch nicht dazu benutzen. In jeder Zusammenfassung und Verallgemeinerung liegt ja das Risiko, dass man anhand eines Etiketts eine bestimmte Gruppe im Unterschied zu einer anderen zu identifizieren versucht – das kann aber auch hilfreich sein, solange der Leser im Auge behält, dass es innerhalb jedes Lagers kleinere und größere Unterschiede zwischen den einzelnen Vertretern und zwischen den Lagern auf vielen wichtigen Gebieten Übereinstimmungen geben kann.

Erstens also gibt es Wissenschaftler, die die Meinung vertreten, dass die Entrückung vor der Großen Bedrängnis geschehen wird. Sie werden dementsprechend als Prätribulationalisten bezeichnet. Dispensationalistische, prätribulationalistische Wissenschaftler wie Walvoord, Pentecost, Ryrie et al. versuchen zu zeigen, dass Gottes Volk zwar schon immer Prüfungen und Bedrängnis durchlitten hat, eine abschließende Zeit (7 Jahre) nie dagewesener Bedrängnis auf der Erde aber in Erfüllung der siebzigsten Woche im Buch Daniel (Da 9:24-27; Jer 30:7) erst noch bevorsteht. Die Kirche wird allerdings vor dem Beginn dieses Zeitraums entrückt werden (Off 3:10) und dann sieben Jahre später gemeinsam mit dem Herrn bei seiner Wiederkunft vom Himmel zurückkehren.

Ein kleinerer Zweig der Befürworter einer prätribulationalistischen Entrückung steht auf dem Standpunkt, dass nur eine partielle Entrückung stattfinden wird. Die Vertreter dieses Konzeptes sind der Meinung, dass nur die Getreuen in Christus die Entrückung vor der Großen Bedrängnis erleben werden; der Rest aber wird im Verlauf der Bedrängnis entrückt werden. So gesehen stellt die Entrückung eher eine Belohnung für die Getreuen als eine Befreiung der Kirche per se dar.

Zweitens äußern andere Wissenschaftler dagegen die Meinung, dass die Entrückung der Kirche nach der Großen Bedrängnis geschehen wird. Sie werden daher als Posttribulationalisten bezeichnet. Unter den diversen Theologen, die diesen Standpunkt vertreten, gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, ob es für die Große Bedrängnis einen umschriebenen Zeitraum geben wird (andererseits sind sich alle darüber einig, dass die Kirche von Anfang an in Bedrängnis gewesen ist). J. Barton Payne meinte, dass es keinen festgelegten Zeitraum für die Bedrängnis geben werde, während George Eldon Ladd von einem Zeitraum von dreieinhalb oder sieben Jahren für die Bedrängnis vor Christi Wiederkehr ausging. Beide stimmten aber darin überein, dass die Entrückung erst nach der Bedrängnis geschehen werde (unabhängig davon, ob es sich nun um eine allgemeine Bedrängnis oder die Große Bedrängnis handeln wird).

Die dritte große Richtung vertritt bezüglich der Entrückung der Kirche den mitttribulationalistischen Standpunkt, und die Vertreter dieser Sichtweise werden als Mitttribulationalisten bezeichnet. Ihrer Ansicht nach wird die Entrückung in der Mitte der siebenjährigen Bedrängnis stattfinden, bevor der Zorn Gottes sich schließlich mit voller Macht in den letzten dreieinhalb Jahren (vor der Schlacht von Armageddon) ergießen wird. Die Befürworter dieses Konzepts sind der Meinung, dass man die Ereignisse in Matthäus 24:10-27 und die anderen, von Daniel vorausgesagten Ereignisse der Bedrängnis, sowie die Predigt am Ölberg und Offenbarung 12:14 so am besten miteinander vereinbaren kann.68

Das Wesen des Millenniums (des 1000jährigen Reiches Christi)
      1. Postmillenniarismus

Die Lehre des Postmilleniarismus besagt, dass das Wirken des Geistes durch christliche Predigt- und Lehrtätigkeit im gegenwärtigen Zeitalter der Kirche (vor der Wiederkunft) schließlich bewirken wird, dass die Welt im Großen und Ganzen bekehrt und für Christus gewonnen wird. Dies wird uns in eine Welt führen, die durch allgemeinen Frieden statt Streit, allgemeines Wohlergehen statt Ungleichheit, Frömmigkeit statt Bosheit und so weiter gekennzeichnet ist, wobei die entsprechende Zeitdauer mehr oder weniger als eintausend Jahre betragen kann (da nach einigen postmillenniaristischen Auslegungen die 1000 Jahre aus Offenbarung 20:4-7 als Symbol für eine unabsehbare Zeitdauer verstanden werden können) und das Böse in beschränktem Ausmaß immer noch vorhanden sein wird. Damit konzentriert sich die Gedanken des Postmilleniarismus auf die gegenwärtigen Aspekte des Reiches Gottes und darauf, dass durch den Einfluss des Christentums viele Missstände in Ökonomie, Bildung und Gesellschaft beseitigt werden können. Eine gute Zusammenfassung der postmillenniaristischen Position gibt Kenneth L. Gentry:

Der Postmilleniarismus geht davon aus, dass das vom Geist gesegnete Evanglium Jesu Christi in unserem gegenwärtigen Zeitalter die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen für die Erlösung gewinnen wird. Der zunehmende Erfolg des Evangeliums wird vor Christi Wiederkehr in eine geschichtliche Ära führen, in der die Geschäfte der Menschen und Nationen mehr und mehr durch Glauben, Gerechtigkeit, Frieden und Wohlstand geprägt sein werden. Nach einer längeren Zeit unter solchen Gegebenheiten wird der Herr sichtbar, leiblich und mit großer Herrlichkeit zurückkehren, um die Geschichte mit der allgemeinen Auferstehung und dem großen Gericht über die gesamte Menschheit zu beenden.69

Postmilleniarismus (oder postmilleniaristisches Gedankengut) findet sich, so wird gesagt, in der einen oder anderen Form bereits bei Eusebius von Cäsarea (260-340 n.Chr.) und Origines.70 Postmilleniaristische Ideen setzten sich auch im Denken einiger früher Reformatoren wie Theodor Beza (1519-1606) durch, sowie später bei Puritanern wie John Owen (1616-1683), Isaac Watts (1674-1748) oder dem brillianten Denker Jonathan Edwards (1703-1758). A.H. Strong (1836-1921), von 1872 bis 1912 Präsident des Rochester Theological Seminary, war ebenfalls ein geschickter Vertreter postmilleniaristischer Schriftauslegung in Amerika.

Meiner Meinung nach gibt es viele gute und hilfreiche Akzente im postmillenniaristischen Gedankengut. Erstens liegt in der Theologie vieler postmilleniaristischer Denker die Betonung auf Gottes souveräner Macht (mit der er seine Ziele verwirklicht), seiner Vorsorge (Christi Gegenwart, der Geist, das Evangelium) und seinem Vorsatz in Bezug auf die Welt. Das ist gut und löblich (und in unterschiedlichem Ausmaß auch in anderen eschatologischen Ideengebäuden zu finden). Zweitens bemühen sich die meisten Postmillenniaristen – auch wenn das in der Vergangenheit gelegentlich bezweifelt wurde – aufrichtig darum, die Doktrinen des Postmillenniarismus aus der Schrift heraus- und nicht in sie hineinzulesen.71 Die Autorität, mit der Christus die Kirche beauftragt, das Evangelium bis an das Ende der Welt zu tragen (Mat 28:16-20), das allmähliche Wachstum des Reiches, wie es in den Gleichnissen Christi (z.B. vom Senfkorn und vom Sauerteig) gezeigt wird, und das Wachsen der Kirche trotz schwerwiegender Widerstände – all das legt gewissermaßen Zeugnis für ein postmillenniaristisches Verständnis der Schrift ab.

Aber diese Sichtweise hat auch ihre Schwächen; und in der Tat sind die Probleme so groß, dass man schwerlich auf einer postmilleniaristischen Lesart der Schrift beharren kann. Vernichtende Kritik bringen deren Gegner vor allem darüber vor, dass das System als Ganzes gar nicht in der Lage ist, alle biblischen Lehren über das Eschaton unter einen Hut zu bringen, und dass offenbar keine seiner exegetischen Darlegungen wirklich explizit auf einen Postmillenniarismus hinausläuft. Ich selbst, zum Beispiel, konnte kein einziges exegetisches Argument in Gentrys Darstellung des Postmillenniarismus finden, das als spezifische Grundlage des Postmillenniarismus im Gegensatz zum Prä- oder Amillenniarismus dienen könnte. Zudem können auch diejenigen Textstellen, die häufig als Argument für den Postmillenniarismus herangezogen werden – und von denen auch Gentry einige anführt –, mit Leichtigkeit und sogar mit noch mehr Gewinn aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden.72 Um es noch einmal zu sagen: das System ist nicht in der Lage, einige wichtigen Texte (und Themen) adäquat zu behandeln, die das Zeitalter der Kirche als eines des Leidens beschreiben und die zeigen, dass die Hoffnung der Kirche nicht in einer Zeit der Gerechtigkeit ohne Christi physische Gegenwart liegen kann – und daraus erwachsen insgesamt Zweifel an der Richtigkeit dieser Sichtweise.73 Auch dass die Kirche nun schon 2000 Jahre lang besteht und trotzdem noch immer keine Anzeichen einer postmillenniaristischen Entwicklung in der Geschichte zu sehen sind, darf uns, wie Blaising zurecht sagt, zum Nachdenken über eine solche Interpretation der Schrift veranlassen.74

      2. Historischer Prämillenniarismus

Die modernen prämillenniaristischen Theologen sind über das Thema „Millennium“ – wie es sein und wie es kommen wird – ganz anderer Meinung als ihre postmillenniaristischen Brüder und Schwestern. Für sie findet die Vorstellung, dass die Kirche durch ihr vom Geist inspiriertes Predigen ein goldenes Zeitalter voller Gerechtigkeit und Frieden herbeiführen wird, keine Grundlage in der Schrift. Nach Auffassung der Prämillienniaristen kann so etwas erst im Zusammenhang mit der Wiederkunft Christi geschehen, wenn der König sichtbar und leiblich gegenwärtig ist. So weit wären sie also auch anderer Auffassung als die amillenniaristischen Exegeten.

Aber das bedeutet nicht, dass der historische Prämillenniarismus die gegenwärtige Erfüllung der göttlichen Absichten durch Christus in der Kirche noch gar nicht als zum Reich Gottes gehörig sieht. Das tut er schon. Dies wiederum darf aber nicht mit dem tausendjährigen Reich gleichgesetzt werden, während dessen Christus persönlich und leiblich auf der Erde regieren wird.

Viele Prämillenniaristen räumen den Juden einen besonderen Platz im Eschaton ein. Dies wird gelegentlich mit Textstellen wie Römer 9-11 begründet, aus denen – vor allem in 11:25-32 – hervorzugehen scheint, dass Juden zu dieser Zeit in großer Zahl gerettet werden sollen. Dispensationalistische Prämillenniaristen vertreten eine viel wichtigere Rolle für das Volk Israel (aber nicht nur der ihm ethnisch Angehörenden) in der Endzeit (siehe unten).

Das prämillenniaristische Verständnis der Schrift datiert zurück bis zur frühen Kirche, die in den ersten drei Jahrhunderten großenteils prämillenniaristisch dachte. Führende christliche Lehrer wie Justinus der Märtyrer und Irenäus75 waren Prämillenniaristen und glaubten, dass bei der Wiederkunft ein goldenes Zeitalter der Segnungen und der Erneuerung Jerusalems eintreten werde. Im Gegensatz dazu war die alexandrinische Schule, unter Führung von Männern wie Clemens und Origines, gegen solche jüdisch-materialistischen Ansichten über die Zukunft. Unter dem zusätzlichen Einfluss von Augustinus’ Amillenniarismus wurde der Prämillenniarismus im Verlauf des Mittelalters zunehmend aufgegeben und war auch während der gesamten Reformationszeit und der nach-aufklärerischen Kirchenzeitalter wenig populär. Tatsächlich dauerte es bis zum neunzehnten Jahrhundert, bis ein Comeback des Prämillenniarismus insbesondere innerhalb der britischen und amerikanischen Strömungen des Christentums begann.

Eine Schlüsselstelle für alle Prämillenniaristen ist Offenbarung 20:4-6. Diese Stelle, so meinen sie, lehrt die buchstäbliche Herrschaft Christi auf der Erde, wenngleich nicht alle darüber einig sind, dass diese Herrschaft genau eintausend Jahre dauern muss. Kritiker haben geäußert, dass die Prämillenniaristen nur diese eine Textstelle als Grundlage für ihr System vorweisen können; das aber ist einfach irreführend (z.B. 1.Ko 15:22-24)76. Selbst wenn es jedoch nur eine einzige, dafür aber korrekt ausgelegte Textstelle gäbe, sollte das für jeden von uns genügen, um diese Lehre anzunehmen.77

Einer der Kern- und Angelpunkte für die Interpretation von Offenbarung 20:4,5 betrifft den wiederholten Gebrauch des Verbums „leben“ (e[zhsan) in dieser Textstelle. Amillenniaristen sind hier generell der Meinung, dass die erste Auferstehung (20:4) eine geistliche und die zweite (20:5) eine leibliche sei. Jedoch kann man schwerlich einsehen, warum der Gebrauch des gleichen Begriffs im gleichen Zusammenhang und ohne ersichtlichen Hinweis auf das Gegenteil zwei unterschiedliche Dinge bezeichnen soll. Wenn man die Bedeutung von Offenbarung 20:4-6 weniger strapazieren will, liegt es zudem nahe, Vers 4 – und also auch Vers 5 – so zu verstehen, dass eine leibliche Auferstehung gemeint (und der Aorist ingressiv, d.h. im Sinne von „begannen zu leben“, zu verstehen) ist. Wenn man dagegen e[zhsan in beiden Fällen auf eine „geistige Auferstehung“ bezieht, setzt man das, was man beweisen will, bereits voraus. Hier geht es nicht um die Seelen der Toten, die im Himmel mit Christus regieren, sondern um die verstorbenen Heiligen, die leiblich auferweckt sind, um mit ihm auf der Erde zu regieren (siehe Off 5:10).

      3. Dispensationalistischer Prämillenniarismus

Im Hinblick auf die Eschatologie unterscheidet sich der dispensationalistische Prämillenniarismus vom historischen Prämillenniarismus vor allem durch die Überzeugung, dass Israel als Volk in der Endzeit versammelt und bekehrt und das ihm gegebene Versprechen des Landes im tausendjährigen Reich Christi erfüllt werden wird (z.B. Gen 12:1-3, 15:18-21). Es geht also nicht darum, dass am Ende viele Juden gerettet werden, sondern dass eine Nation Israel existieren und Erbe der Verheißungen sein wird, die das Volk Israel im Alten Testament erhielt.

Frühere Formen des Dispensationalismus beharrten bei dieser Unterscheidung darauf, dass Gott zwei Völker habe: die Kirche sei sein himmlisches Volk und Israel sei sein irdisches Volk. Diese Theorie kann im Hinblick auf gegenteilige Aussagen des Neuen Testaments nicht aufrecht erhalten werden (vgl. Eph 2:11-22): es gibt nur ein Volk Gottes. Nach Meinung einiger progressiver Dispensationalisten muss das aber nicht heißen, dass das Volk Israel nicht ein politisches Gebilde und dennoch (in ferner, eschatologischer Zukunft) „in Christus“ sein kann. Mir scheint, dass selbst in der Ewigkeit „Nationen“ als „Nationen“ betrachtet werden (Off 21:24). Damit bleibt im Millennium – unter dem Schirm einer soteriologischen Gleichheit und Einheit, die das Volk Gottes eint – die Möglichkeit für strukturelle Unterschiede (nicht aber für eine Benachteiligung bei irgend etwas, das den Zugang zu Gott betrifft). Also ist auch die Annahme nicht abwegig, dass Gott Israel so behandeln sollte; und diese Interpretation scheint mir durchaus eine vernünftige Auslegung von alttestamentarischen Texten wie auch von neutestamentarischen Stellen wie Römer 9-11, besonders 11:25-32, darzustellen.

      4. Amillenniarismus

Generell bezieht sich der Begriff amillenniaristisch auf die von etlichen frommen und gebildeten christlichen Wissenschaftlern zu allen Zeiten vertretene Überzeugung, dass es keine zukünftige irdische Regierungszeit Christi nach seiner Wiederkehr geben wird. So gesehen betrachtet man dieses System allerdings ausschließlich von einem negativen Standpunkt aus. Positiv ausgedrückt glaubt der Amillenniarismus, dass die Kirche schon jetzt Ausdruck des tausendjährigen Reiches Christi ist, wobei „tausendjährig“ nicht als eine buchstäblich eintausend Jahre umfassende Zeit verstanden wird (nur einige Reformatoren verstanden das genau so78), sondern als die Herrschaft Christ, wie wir sie zwischen seiner Erhebung und seiner Parusie erfahren. Es ist dies eine Herrschaft über das neue Volk Gottes, die Kirche, die nun die Stelle von Israel in der Verwirklichung von Gottes ewigem Plan einnimmt.

Der amillenniaristische Entwurf der Endzeit ist eigentlich sehr einfach und geradlinig. Lewis und Demarest fassen ihn zutreffend zusammen:

Die amillenniaristische Reihenfolge der Ereignisse ist wie folgt: Christi gegenwärtige, geistliche Herrschaft über die Kirche; der zunehmende Abfall vom Glauben auf der Erde; die große Bedrängnis; Christi Wiederkunft gemeinsam mit den verstorbenen Heiligen; die Zerstörung der Mächte des Bösen; die allgemeine Auferstehung der Gläubigen und der Ungläubigen; das Jüngste Gericht; die Ewigkeit. Der Amillenniarismus sagt also aus, dass es am Ende der Zeit eine Wiederkunft Christi, eine Auferstehung und ein Gericht geben wird.79

Damit hat er (in seinen unterschiedlichen Ausprägungen) den Vorteil der Einfachheit auf seiner Seite und wurde im Verlauf der Zeit von so bekannten Theologen wie Augustinus, Luther und Calvin und von heutigen Denkern wie Abraham Kuyper, Hermann Bavinck und Louis Berkhof vertreten.

Die Amillenniaristen geben als Beleg für ihre eschatologischen Ansichten verschiedene Gründe an: Erstens – aber nicht auf eine besondere Rangfolge bezogen – gibt es offenbar in der gesamten Bibel nur eine einzige Stelle, nämlich Offenbarung 20, die man als Indiz für irdische tausendjährige Herrschaft Christi heranziehen könnte. Kein anderer Text im Alten oder Neuen Testament bestätigt eine solche Vorstellung, und so soll man am besten auch Offenbarung 20:4-6 nicht in diesem Sinne verstehen. Zweitens ist das gesamte Buch der Offenbarung symbolisch, und daher sollten wir auch die „tausend Jahre“ in Offenbarung 20 nicht als buchstäbliche Jahre ansehen. Drittens stimmt das in Offenbarung 20 beschriebene Gebundenwerden Satans mit dem überein, was nach Jesu Aussage während des Zeitalters der Kirche geschehen soll (z.B. Luk 10:18), und man muss es deshalb nicht in eine eschatologische Zukunft verlegen. Viertens ist die „erste Auferstehung“ in Offenbarung 20:4-5 keine buchstäbliche, sondern eine geistige Auferstehung in Gottes Gegenwart im Himmel hinein. Außerdem lehrt die Schrift nur eine buchstäbliche Auferstehung (z.B. Joh 5:28-29; Apg 24:15) und nicht drei oder mehr, wie von vielen Prämillenniaristen vorgebracht wurde. Fünftens sagen Amillenniaristen im Gegensatz zu den Prämillenniaristen generell, dass es für Israel keinen besonderen Platz in der Zukunft geben wird. Die Kirche ist in Gottes Plan an seine Stelle getreten.

Diesen Argumenten kann man Verschiedenes entgegensetzen. Erstens: Selbst wenn Offenbarung 20 die einzige Bibelstelle wäre, die eine irdische tausendjährige Herrschaft Christi lehrt, sollte das genügen, um uns davon zu überzeugen. Die Bibel muss eine Doktrin nur einmal festhalten, damit wir sie, eine angemessene Auslegung vorausgesetzt, als zuverlässig ansehen. Zudem gibt es viele Stellen im AT, die eher als Aussagen über eine irdische Herrschaft des Messias vor der Ewigkeit verstanden werden können als über seine ewige Herrschaft im Himmel (Jes 11:2-9, 65:20; Sach 14:6-21). Auch im Neuen Testament gibt es Stellen, die man ohne Weiteres in diesem Sinne lesen kann (1.Ko 15:24; Off 2:27, 5:10, 12:5, 19:15).

Zweitens stimmt es schon, dass die Offenbarung das Genre einer Apokalypse aufweist – auch wenn das nicht die einzige Literaturform in diesem Buch ist – und viel Symbolik beinhaltet. Diese Tatsache aber schließt ein irdisches Reich und eine entsprechend unverschleierte Lesart des Textes von Offenbarung 20 nicht aus. Wenngleich die Berücksichtigung des Genres unverzichtbarer Bestandteil jeder Interpretation ist, zeigt doch das Vorhandensein fundierter Meinungen auf allen Seiten dieser Debatte, dass Bezugnahmen auf das Genre zu uneinheitlichen Schlussfolgerungen führen können. Was in diesem Falle von größerer Wichtigkeit als das Genre ist, sind der unmittelbare Zusammenhang und die konkret benutzten Worte in Offenbarung 20:4-6. Und in dieser Hinsicht erscheint dann die prämillenniaristische Position einfacher, weniger angestrengt und daher wahrscheinlicher.

Der Textzusammenhang beschreibt, wenn auch in apokalyptischer Sprache, wichtige historische Tatsachen. Die Beschreibungen von Christi leiblicher Wiederkehr und von der Vernichtung des Tieres und des falschen Propheten sind historische Beschreibungen zukünftiger Ereignisse. Damit berichtet der Kontext, was sich bei Christi Wiederkunft in der Geschichte ereignen wird.

Ist das Gebundenwerden Satans wörtlich zu verstehen? In der Tat sind viele Amillenniaristen dieser Meinung; sie sagen aber dabei, dass es schon bei der ersten Herabkunft Christi durch den Dienst des Messias stattgefunden habe.80 Einen Beleg dafür suchen sie bei Texten wie Matthäus 12:28-29 und Lukas 10:18, und anschließend werden Entsprechungen zwischen diesen Evangeliumstexten und Offenbarung 20 bemüht. Man darf jedoch mit Recht fragen, ob diese Texte so verstanden werden sollten, das sie dasselbe Ereignis beschreiben. Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Bei geradliniger Auslegung des Textzusammenhangs in Offenbarung 20 aber möchte man doch meinen, dass das, was in Offenbarung 20 geschieht, chronologisch auf das folgt, was in Offenbarung 19 geschieht, nämlich auf die Wiederkunft Christi. Wenn das zutrifft, kann das Gebundenwerden Satans in Offenbarung 20 nicht dasselbe Ereignis darstellen wie das in den Evangelien zur Zeit der irdischen Herrschaft des Messias beschriebene.

Es gibt aber noch andere, zwingendere Argumente, um zu zeigen, dass das Gebundenwerden in den Evangelien nicht dasselbe ist wie in der Offenbarung. Erstens wird in Offenbarung 20:1 gesagt, dass nicht Christus selbst, sondern ein Engel die Bindung durchführte. Die Darstellung in den Evangelien ist dagegen eine ganz andere, zu verschieden, so scheint es, um dasselbe zu bezeichnen. Zweitens wird Satan in Offenbarung 20 zu dem Zweck gebunden, dass er „die Völker nicht mehr irreführe“. Wie soll man das verstehen, wenn das Ereignis dasselbe ist wie das Gebundenwerden, das während Christi Dienst stattfand und nunmehr durch den Dienst der Kirche geschieht? Gemäß 2.Korinther 4:4, Epheser 6:10-18 und Johannes 4:4 streift Satan recht frei umher und versucht, wen er nur will (vgl. auch 1.Pe 5:8). Die Bindung in der Offenbarung ist dagegen viel absoluter, als es die Evangelien oder die Apostelbriefe darstellen. So ist die einleuchtendere Schlussfolgerung wohl die, dass Matthäus 12 und Lukas 10 sich nicht auf dasselbe Ereignis beziehen wie Offenbarung 20. Das bedeutet allerdings nicht, dass es zwischen beiden keine Beziehung gäbe. Die frühere und „inaugurale“ Bindung während Christi Dienst und während des Kirchenzeitalters nimmt die spätere Bindung in Offenbarung 20:2-3 voraus, die ihrerseits die Bühne für Satans endgültigen Sturz und seine Vernichtung in Offenbarung 20:10 bereitet. All das steht im Einklang mit der fortschreitenden Verwirklichung von Gottes Reich auf Erden.

Wir müssen auch noch einmal wiederholen, was wir bereits oben über die typische amillenniaristische Auslegung der „Auferstehungen“ in Offenbarung 20:4-5 gesagt haben. Amillenniaristen vertreten im Allgemeinen die Auffassung, dass die erste Auferstehung (20:4) eine geistige und die zweite (20:5) eine leibliche sei. Sie tun dies unter anderem deshalb, weil sie es vermeiden wollen, den 1000jährigen Zeitraum mit zwei leiblichen Auferstehungen einzurahmen (was ja auf eine irdische Herrschaft nach der Wiederkunft Christi hinweisen würde). Jedoch fällt es schwer einzusehen, warum der Gebrauch des gleichen Begriffs im gleichen Zusammenhang und ohne ersichtlichen Hinweis auf das Gegenteil zwei unterschiedliche Dinge bezeichnen sollte. Wenn man die Bedeutung von Offenbarung 20:4-6 weniger strapazieren will, liegt es zudem nahe, Vers 4 – und also auch Vers 5 – so zu verstehen, dass eine leibliche Auferstehung gemeint (und der Aorist ingressiv, d.h. im Sinne von „begannen zu leben“, zu verstehen) ist. Es geht hier, wie schon gesagt, nicht um die Seelen der Toten, die im Himmel mit Christus regieren, sondern um die verstorbenen Heiligen, die leiblich auferweckt worden sind, um mit ihm auf der Erde zu regieren (s.a. die Verheißung in Off 5:10).

Drittens hat die Vorstellung, dass die Kirche Israel in Gottes Heilsplan ersetzt hat, zwar gewisse Vorteile, sie muss jedoch, wie oben angedeutet, im Hinblick auf Römer 11:25-32 differenzierter entwickelt werden. Gegenwärtig hat die Kirche, so sagen es auch die Amillenniaristen, Teil an den Segnungen Abrahams und also auch Davids und an den Segnungen des Neuen Bundes. Sie hat jedoch Gottes Verheißungen, die an die Nation Israel oder doch zumindest an die ethnischen Juden gerichtet wurden, nicht gänzlich in den Schatten gestellt. „Ganz Israel“ bezieht sich in Römer 11:26 wahrscheinlich nicht auf die erwählten Heiden und/oder Juden während des Kirchenzeitalters, sondern vielmehr auf eine eschatologische Sammlung der Juden im Zusammenhang mit der Wiederkehr und Herrschaft des Messias. Wenn das aber zutrifft, dann könnte ein irdisches tausendjähriges Reich – so wie es sich die Prämillenniaristen vorstellen – gut und gerne Ort und Zeit abgeben für die Erfüllung der alttestamentarischen Hoffnung Israels (einer Hoffnung, so möchte ich hinzufügen, die auch alle anderen Nationen betrifft).

Worin also liegt die Stärke der amillenniaristischen Theologie der Stellvertreterschaft? Letztendlich in der biblischen Erkenntnis, dass es für alle Zeiten nur ein Volk Gottes geben wird, das durch Gleichheit in soteriologischer Hinsicht zusammengehalten wird. Ihre Schwäche liegt dagegen darin, dass sie die strukturellen (politischen) Unterscheidungen nicht erkennt, die in eschatologischen Texten vorhanden sind. Tatsächlich werden in bestimmten Textstellen über die Ewigkeit (z.B. Off 21:24) Nationen wortgetreu und immer noch als Nationen angesehen.81 Römer 11:25-32 spricht wirklich von einer zukünftigen Erneuerung von Juden (wahrscheinlich der Nation Israel) als Juden. Natürlich werden sie nicht ohne Glauben an Christus gerettet werden, doch die Errettung von „ganz Israel“ wird ein Zeichen für die Treue sein, mit der Gott seine Verheißungen an die Nation erfüllt, und diese Verheißungen haben mit irdischen, politischen und geistigen Gegebenheiten zu tun.

Auferstehung, Gericht und Ewigkeit

Auferstehung aller Menschen

Die Bibel lehrt, dass es eine Auferstehung aller Menschen geben wird, und dass über jeden Einzelnen gerichtet werden wird (Joh 5:28-29).

Das endgültige Gericht über alle Menschen

Wenngleich dies von liberalen Theologen gelegentlich bestritten wird, lehrt die Bibel doch ganz sicher ein Gericht am Ende der Tage, nach dem jeder in das ihm zugewiesene Schicksal gehen wird: in den Himmel zu ewigem Glück oder in die Hölle zur ewigen Strafe. Nach der Aussage der Bibel wird dieser „Tag des Gerichts“ ganz sicher eintreten und die Kulmination und Vollendung der im Verlaufe der Geschichte vielfach gefällten Urteile Gottes gegen die Sünde und das Böse darstellen.

Beispiele dafür, dass Gott das Böse verurteilt und die Gerechtigkeit belohnt, gibt es im Alten Testament in Hülle und Fülle. Er verurteilte den Menschen wegen der Sünde im Garten Eden (Gen 3) und strafte ihn später mit der Sintflut, aber er belohnte Noahs treues und gerechtes Verhalten (Gen 6:8-9). Er verurteilte Abimelech (Gen 20), Pharao und die Ägypter (Ex 7-11), die Amoriter und die Einwohner Kanaans zur Zeit der Eroberung durch Israel (Gen 15:16; Jos 10-12) und auch die Ungläubigen unter den Israeliten (Jos 7). Der Herr richtete über König Saul und verstieß ihn als König von Israel (1.Sa 15:26). Er verurteilte auch David seiner Sünde mit Bathseba wegen, so dass Davids Sohn starb (2.Sa 11-12, vgl. 12:18) und Aufruhr sich in seinem Königreich erhob (2.Sa 13-20). Gott richtete wiederholt über das Volk Israel wegen dessen Sünden (z.B. Richter) und drohte sowohl das Nördliche als auch das Südliche Reich in die Gefangenschaft zu schicken. Dies geschah dann schließlich auch 722 v.Chr. (geschätzt) für Israel im Norden und 586 v.Chr. (geschätzt) für Juda im Süden (Klagelieder). Gott richtet auch über die Völker der Erde wegen ihrer fortgesetzten Sünde und Auflehnung (Jes 13-23; Jer 46-51; Jes 25-32; Da 2-7). Wenn auch die Wege seines Gerichts nicht immer leicht erkennbar und annehmbar sind (Hab 1-3), ist er doch der gerechte Richter über die gesamte Erde (Gen 18:25).

Im Neuen Testament stellt Paulus klar heraus, dass Gott auch heute noch richtet. Der Apostel sagt in Römer 1:18, einem Vers, der den Beginn eines längeren Abschnitts über Gottes Gericht in 1:18-3:20 bildet:

Denn82 Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart gegen alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch ihre Ungerechtigkeit niederhalten…

Beachten Sie, dass Paulus nicht sagt „der Zorn Gottes wurde offenbart“, sondern vielmehr „wird offenbart“ oder „wird beständig offenbart“. Der Zorn Gottes (ojrghV qeou`, orge„ theou) bezieht sich nicht auf eine abstrakte Leidenschaft in der Gottheit selbst, sondern auf seinen unaufhörlichen Hass auf die Sünde, der sich darin ausdrückt oder beständig offenbart (ajpokaluvptetai, apokalu„ptetai; vgl. 1:17), dass er die Menschen der kräftezehrenden Verschanzung hinter ihrer sündigen Torheit ausliefert (Vers 24,26,28). 83

Menschen und ganze Nationen unterdrücken heutzutage fortwährend die Erkenntnis Gottes und wenden sich bewusst von der Erkenntnis des wahren Gottes ab zum Götzendienst (der Anbetung von Geld, Sex, Macht in ihren verschiedenen Formen, etc.). Daraus folgt, dass die Menschen – gerade so, wie in früherer Zeit die Israeliten verlangten, dass Gott ihnen einen König gäbe – heute verlangen, dass sie sich selbst überlassen werden; sie verlangen nach Autonomie. Deshalb übergibt Gott sie ihrer Sünde (vgl. Rö 1:24,26,28; Eph 4:17-19). Das schlägt sich in wachsender Bosheit, Sorge, Leid, Schmerz und Elend nieder. Der Mensch ist von Natur aus ebenso unheilbar religiös, wie er in moralischer und spiritueller Hinsicht töricht ist.

2.Petrus 2:9 spricht ebenfalls von Gottes gegenwärtiger, fortwährender Bestrafung von Menschen: „Wenn das so ist, dann weiß der Herr fromme Menschen aus den Prüfungen zu erretten und die Ungerechten mit beständiger Strafe für den Tag des Gerichtes aufzubewahren.“

So hat Gott immer, früher wie heute, über einzelne Menschen und über ganze Nationen ihrer Sünde wegen geurteilt. Er tut das zur Vergeltung ebenso wie zur Therapie (also damit die Menschen aus ihrer Sünde „erwachen“ und sich von ihr abkehren mögen). Sämtliche Urteile aber werden ihren Höhepunkt und ihre Rechtfertigung beim Jüngsten Gericht finden. Dann wird der Tag kommen, wo Gott eindgültig über alle Menschen (und Engel) richten wird; und dabei werden alle Sünden endgültig verdammt und alle bisherigen richterlichen Handlungen Gottes als notwendig, gerecht und heilig erwiesen werden. Zu dieser Zeit wird jeder Mund zum Schweigen gebracht werden (Rö 3:20) und jedes Knie wird sich beugen (Php 2:9-11). Um es noch einmal zu sagen: Die Schriften sagen mehr als deutlich, dass der „Tag“ kommt, an dem endgültig Gericht gehalten wird.

In Matthäus 25:32-33 vergleicht unser Herr das Jüngste Gericht mit der Scheidung der Schafe von den Ziegenböcken. Die Schafe werden zum ewigen Leben eingehen und die Böcke zur ewigen Strafe (25:46). Es geht ihm darum zu zeigen, dass ein Tag der unwiderruflichen und endgültigen Abrechnung kommen wird. Das wird häufig und unter verschiedenen Bezeichnungen erwähnt: als „der Tag des Herrn“ (Jes 13:6,9; Jer 46:10; Joel 3:1 Eng; Am 5:18-20) oder, im Hinblick auf die Offenbarungen des NT, als „der Jüngste Tag“ (Joh 6:39), „der Tag Christi“ (vgl. 1.Ko 1:8, 5:5, 2.Ko 1:14; Php 1:6,10, 2:16), „der Tag von Gottes gerechtem Zorn“ (Rö 2:5) und „der Tag der Heimsuchung“ (1.Pe 2:12; vgl. 2.Pe 3:12; 1.Jo 4:17). Damit wir uns richtig verstehen: dieser „Tag“ beinhaltet auch Rechtfertigung und Belohnung für Gottes Volk, und Verurteilung und Verlust bedeutet er nur für die Welt, die nicht in Christus ist.84

Wiederum sagt Römer 2:5 über diesen jüngsten Tag des Gerichts: „Du aber, durch deine Verstocktheit und Reuelosigkeit, häufst selbst den Zorn dir auf für den Tag von Gottes Zorn, an dem sein gerechtes Gericht offenbar werden wird.“ 2.Petrus 2:9 sagt, dass Gott die Ungerechten für den Tag des Gerichtes aufbewahrt. Judas 6 spricht sehr lebendig über Gottes abschließende Taten des Gerichts: „Und die Engel, die ihren zugewiesenen Stand nicht bewahrten, sondern ihre angestammte Wohnstätte verließen, hat er mit ewigen Banden in der Finsternis aufbewahrt für das Gericht des großen Tages.“

Auch Apostelgeschichte 17:31 spricht über den Tag von Gottes abschließendem Gericht:

Denn er hat einen Tag (hJmevra, he„mera) festgesetzt, an dem er die Welt in Gerechtigkeit richten will durch einen Menschen, den er dazu bestimmt hat. Dafür hat er allen Menschen Gewähr gegeben, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.

Der Text, der wohl am deutlichsten über die Gewissheit eines abschließenden und unwiderruflichen Gerichtes spricht, ist Offenbarung 20:11-15:

20:11 Und ich sah einen großen weißen Thron und den, der darauf saß. Erde und Himmel flohen aus seiner Gegenwart, und keine Stätte war für sie gefunden. 20:12 Und ich sah die Toten, die großen und die kleinen, vor dem Thron stehen und Bücher wurden aufgetan. Und ein weiteres Buch wurde aufgetan, das ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern steht, nach ihren Taten. 20:13 Das Meer gab die Toten heraus, die darin waren, und der Tod und der Hades gaben die Toten heraus, die darin waren, und ein jeder wurde gerichtet nach seinen Taten. 20:14 Und der Tod und der Hades wurden in den Feuersee geworfen. Der Feuersee, das ist der zweite Tod. 20:15 So jemand nicht im Buch des Lebens eingeschrieben gefunden wurde, der wurde in den Feuersee geworfen.

Vieles spricht dafür, dass Johannes in Offenbarung 20:11-15 über das Jüngste Gericht spricht: (1) Es findet statt nach der Wiederkunft Christi (Off 19:11-21), dem Abschluss des tausendjährigen Reiches und dem letzten Gericht über Satan (20:1-10). (2) In der Offenbarung wird kein weiteres Gericht vor dem Eintritt der Ewigkeit (21-22) erwähnt. (3) Die ganze Vision gründet sich auf Daniels Vision vom Alten an Tagen, der am Ende der Geschichte kommen und über alle Menschen richten wird (Da 7:14). (4) Johannes erwähnt einen großen weißen Thron, wodurch nicht nur ein gerechtes Gericht, sondern auch die Kulmination oder endgültige Beurteilung impliziert wird. (5) Der Ausgang des Gerichts hat Konsequenzen für die Ewigkeit und damit ist kein weiteres Gericht notwendig (20:10,15). (6) Erde und Himmel fliehen, so dass man vom Ende der menschlichen Geschichte ausgehen kann, wie wir sie unter Adam und der Sünde kennen. (7) Alle Toten werden anwesend sein, die Großen und die Kleinen.

Sicher teilen alle evangelikalen Bibelkommentatoren die Auffassung, dass es ein endgültiges Gericht geben wird. Einige von ihnen sind aber der Meinung, dass dieses Gericht eigentlich aus drei verschiedenen Gerichtshandlungen bestehen wird: (1) einem Gericht über die Gläubigen nach der Entrückung (d.h. vor dem Richterstuhl Christi, 2.Ko 5:10); (2) einem Gericht über die Völker bei der Wiederkunft Christi, bei dem entschieden wird, wer in das tausendjährige Reich eingeht (vgl. Mat 25:31-46), und (3) einem Gericht über die verstorbenen Bösen vor dem Großen Weißen Thron nach dem tausendjährigen Reich Christi (Off 20:11-15). Andere sind der Auffassung, dass alle diese Gerichtshandlungen in Wirklichkeit zu einem einzigen Gericht gehören, d.h. dass sie alle beim Gericht vor dem Großen Weißen Thron erfolgen. Es fehlt uns hier an Raum, um die Unterschiede und die jeweiligen Stärken und Schwächen dieser Standpunkte auszuführen. Viel wichtiger als die Frage, ob das „Jüngste Gericht“ zu einem einzigen oder zu drei verschiedenen Zeitpunkten stattfinden wird, ist jedoch, dass (1) ganz sicher alle Menschen gerichtet werden und (2) das Ergebnis unabänderlich ist; es gibt keine Berufung.

Aber man kann mehr über das Jüngste Gericht sagen als nur, dass es tatsächlich stattfinden wird. Erstens: Offensichtlich wird Gott der Richter sein, doch innerhalb des Rates der Dreieinigkeit hat der Vater sich entschieden, jegliches Urteil dem Sohn zu überlassen (Joh 5:22-23, 27; Apg 17:31). Jesus Christus, Daniels „Menschensohn“, wird Richter über die gesamte Menschheit sein, über die Lebenden und die Toten (Mat 25:31-33; Joh 8:26,50 [der Vater ist der Richter]; Joh 9:39, 12:47-50; 2.Ti 4:1,8). Und der Sohn wird weise und gerecht urteilen (2.Ti 4:8).

Zweitens: Es wird über Menschen wie auch über Engel gerichtet werden (Apg 17:31; 2.Pe 2:4; Jud 6). Diese Vorstellung beinhaltet eine interessante Wendung, denn auch die Heiligen werden an der Durchführung des Gerichts beteiligt sein (1.Ko 6:2-3). Die Erwartung, dass Gott sein erlöstes Volk bei der Durchführung des Gerichts einsetzen wird, findet ihre Vorläufer in der synoptischen Tradition (Mat 19:28; Luk 12:29-32, 16:25) und geht vielleicht letztendlich auf das Alte Testament zurück, wo wir davon lesen, dass Gott bestimmte Personen einsetzte, um über sein Volk zu richten (vgl. das Buch der Richter), und das Volk Israel als Ganzes, um über andere Völker zu richten (z.B. die Eroberungen im Buch Josua).

Vielleicht steht die Tatsache, dass Gott in der Vergangenheit beim Gericht über andere Menschen von seinem Volk Gebrauch gemacht hat und dass er das auch im zukünftigen, endgültigen Gericht wieder tun wird, im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Menschen, im Lichte des imago dei zu herrschen (Gen 1:26-28, 9:6-7; Ps 8:4-6). Wenn das so ist, kann man es verstehen, dass verherrlichte Christen – als diejenigen, die bereits vollständig im Bilde Gottes erneuert wurden, – beim Jüngsten Gericht über Menschen und Engel richten werden. Die Heiligen werden also beim Jüngsten Gericht über Engel und Menschen richten, weil das zu den Aufgaben des erneuertes Bildes gehört. Anders ausgedrückt: Die Gläubigen werden aufgrund ihrer untrennbaren Verbindung mit Christus, dem Richter, über die Lebenden und die Toten richten, aufgrund ihres persönlichen Anteils an seinem Reich und all seiner Macht und Autorität (vgl. Off 5:10) und aufgrund der Tatsache, dass sie lieben, was Er liebt, und hassen, was Er hasst. In fundamentaler Hinsicht und in fundamentalem Ausmaß werden wir Ihm im Zustand der Verherrlichung gleich und mit Seinen Gedanken über alle diese Dinge so vertraut sein, wie wir es uns heute kaum annähernd vorstellen können (vgl. 1.Ko 2:15-16).

Drittens: Wir haben bereits erwähnt, dass alle Menschen gerichtet werden, also auch die Christen. Paulus sagt mit Bezug auf die Gläubigen in Römer 14:10,12, dass „wir alle vor Gottes Richterstuhl stehen werden“ und „jeder von uns Rechenschaft vor Gott ablegen wird“. Mehr oder weniger das Gleiche sagt er in 2.Korinther 5:10, auch wenn er es diesmal auf den Richterstuhl Christi bezieht:

Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi erscheinen, auf dass jedem vergolten werde gemäß der Dinge, die er in seinem Leib getan hat, sei es Gutes oder Böses.

Allerdings scheint das Gericht über die Christen Paulus’ Lehre von der Rechtfertigung durch Glauben zu widersprechen. Warum werden wir gerichtet, wenn wir doch gerechtfertigt sind? Das Konzept der Rechtfertigung schließt die Unterwerfung unter das Gericht anscheinend aus. Sagte Paulus schließlich nicht: „Es gibt keine Verurteilung für die, die in Christus Jesus sind“ (Rö 8:1)? Das Problem ist aber nicht so unüberwindlich, wie es auf den ersten Blick erscheint. Natürlich beinhaltet die Doktrin der Rechtfertigung sowohl das Konzept der ewigen Vergebung als auch die Vorstellung, dass uns in Ewigkeit die Gerechtigkeit Christi zueigen ist. Christi Gericht über die Gläubigen aber soll nicht deren ewiges Schicksal per se festlegen, sondern den Umfang ihres Lohns. Einige Evangelikalen lehnen die Doktrin von einer Belohnung der Gläubigen zwar ab, doch man kann wohl mit ausreichender Sicherheit davon ausgehen, dass die Bibel diese tatsächlich lehrt:

1.Ko 3:10 Gemäß der Gnade Gottes, die mir verliehen wurde, habe ich als ein kunstfertiger Baumeister den Grund gelegt, und ein anderer baut darauf. Jeder aber muss mit Sorgfalt sehen, wie er darauf baue. 3:11 Denn niemand kann einen anderen Grund legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. 3:12 Ob nun jemand auf den Grund mit Gold, Silber, Edelsteinen, Holz, Heu, Stroh baut – 3:13 das Werk eines jeden wird offenbar werden, denn der Tag wird es enthüllen, weil es mit Feuer offenbart werden wird, und das Feuer wird eine Prüfung dafür sein, welcher Art das Werk eines jeden ist. 3:14 Wenn jemandes Werk bleibt, das er auf den Grund gebaut hat, so wird er einen Lohn empfangen. 3:15 Wenn das Werk verbrennt, wird er Schaden leiden; er selbst wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.

Jesus wiederum spricht über den Lohn für treuen Dienst (Luk 19:11-27) und Paulus spricht darüber, dass wir empfangen, wass uns zusteht gemäß unserer Taten (2.Ko 5:10). Die Sache mit dem Umfang des Lohns wiederum ist offensichtlich in Kolosser 3:23-25 enthalten:

3:23 Was immer ihr tut, arbeitet daran von ganzem Herzen als für den Herrn und nicht für eure Vorgesetzten, 3:24 denn ihr wisst, dass ihr vom Herrn das Erbe zum Lohn (antapovdosin, antapodosin) empfangen werdet; ihr dient dem Herrn Jesus Christus. 3:25 Denn wer Unrecht tut, wird zurück erhalten, was immer er Unrechtes getan hat, ohne Ansehen der Person.

Nach diesen Texten wird über die Christen also gerichtet, um das Ausmaß ihres Lohns oder den Umfang ihres Erbes festzulegen (z.B. zehn Städte, fünf Städte, etc. [Luk19:16-19]). Das bedeutet nicht, dass die Menschen in Ewigkeit Gewissensbisse darüber haben werden, was sie mit der Gnade Gottes alles hätten anfangen sollen, die ihnen während ihres irdischen Daseins zuteil geworden ist. Im Zustand der Ewigkeit wird es weder Tod noch Trauer noch Klage noch Schmerz geben (Off 21:4), und jeder, der in sie eingeht, geht damit in die Freude seines Herrn ein (Mat 25:21,23).

Das Problem mit der Doktrin einer Belohnung liegt also nicht darin, dass sie in der Schrift nicht gelehrt würde.85 Das Problem besteht vielmehr darin, ein Modell zu finden, das die Konzepte der Rechtfertigung, der Belohnung und des Fehlens von Scham bzw. des Vorherrschens von Freude in der Ewigkeit zufriedenstellend unter einen Hut bringt (bei Christi Wiederkunft selbst werden allerdings viele Menschen Scham erleiden [1.Jo 2:28]). Einer ähnlichen Schwierigkeit stehen wir auch bei anderen eindeutig biblischen Lehren gegenüber, so bei der Dreieinigkeit, der Inkarnation, der Zuschreibung von Sünde, der begleitenden Inspiration der Schrift etc.. Gelegentlich wurde vorgeschlagen, dass das Ausmaß des Lohnes nur Gott bekannt ist und dem Menschen, der ihn empfängt. Vielleicht beinhaltet es größere Nähe zu Gott und/oder eine größere Rolle beim Dienst in der Ewigkeit. Unter dem Strich bleibt für uns übrig, dass jeder von uns für seinen Dienst belohnt werden wird, wenn wir auch sehr wenig über die genaue Art dieses Lohns wissen. Schließlich steht die Vorstellung eines Gerichts tatsächlich im Einklang mit der Doktrin der Rechtfertigung, denn ein Aspekt der Rechtfertigung ist die Bestätigung, und das abschließende Gericht über den Christen wird Gottes Gerechtigkeit in seinem Leben bestätigen (vgl. Jak 2:21).

Nichtsdestoweniger motivieren Belohnungen zu Heiligkeit und frommem Lebenswandel. In diesem Sinne werden sie überall in der Schrift eingesetzt (Luk 19:11-27; Rö 14:10,12; 2.Ko 5:10). Sie stellen für den Christen jedoch nicht die einzige Motivationsquelle dar (vgl. 2.Ko 7:1; 1.Jo 3:2-3, 4:11) und Motivation durch Belohnung beinhaltet auch nicht notwendigerweise egoistisches Verhalten, wie manche meinen. Belohnungen sind eines von mehreren Werkzeugen der Gnade, mit deren Hilfe uns der Herr heilig machen und im christlichen Leben voranbringen will (vg. Off 22:12).

Die Doktrin von der Hölle
      Argumente des Universalismus

Über das Schicksal der anhaltend Unbußfertigen gibt es eine ganze Anzahl unterschiedlicher Ansichten.86 Die Universalisten sind – in der einen oder anderen Form – der Meinung, dass alle Menschen und alle Engel, auch der Teufel, eines Tages zu Gott zurückgebracht werden und seine ewige Liebe persönlich erfahren werden. Viele Universalisten vertreten die Meinung, dass es überhaupt keine Strafe geben wird; andere wieder sagen, dass nur einige wirklich verstockte Sünder ein gewisses Maß an Leiden erfahren, bis sie schließlich zur Besinnung kommen und auf Gottes Liebe eingehen werden (vgl. Origines). In der apokatastasis („Wiederherstellung“; vgl. Apg 3:21) aller Dinge werden daher alle empfindenden Wesen für Gott wiederhergestellt werden. Eine Anzahl von Bibelstellen scheint einen solchen Universalismus nahezulegen, unter anderem Rö 5:18, 11:32; 1.Ko 15:22; Php 2:10-11; Kol 1:19-20; 1.Ti 4:10; Heb 2:9.

An dieser Stelle müssen drei wichtige und relevante hermeneutische Gesichtspunkte Erwähnung finden. Erstens wird jedes theologische System, das vor allem und fast ausschließlich auf ein einziges Attribut Gottes begründet wird – wie das viele Universalisten in voller Überzeugung von ihrem eigenen Verständnis von Gottes Liebe87 tun – Gottes biblische Gesamtoffenbarung an uns fehlinterpretieren; das ist unausweichlich so. Viele Universalisten lassen offenbar die zahllosen Bibeltexte außer Acht, die von Gottes äußerster Heiligkeit, von seinem Hass gegen die Sünde und von seinem ewigen Gericht sprechen. Andere dagegen erkennen das Vorhandensein solcher Texte in der Schrift zwar an, neigen jedoch dazu, deren Bedeutung zugunsten sentimentaler Ansichten über die Liebe Gottes (vor allem aufgrund einer modernisierten Lesart von Jesu Dienst und Lehre) zu beschneiden oder diese Texte eingeschränkt nur auf das gegenwärtige Zeitalter, nicht aber auf die Zukunft, zu beziehen. Natürlich bringen wir alle unsere vorgefassten Erwartungen und Meinungen mit, wenn wir an die Schrift herangehen. Aber nicht jeder lässt den Einfluss seiner Voraussetzungen in gleichem Ausmaß zu. Viele universalistische Bibelinterpretationen erwecken den Eindruck, dass a priori vorhandene Bedenken das Ausmaß einer Agenda erreichen – bis hin zur Unterdrückung von Texten, die im Widerspruch zu dieser Agenda stehen.88

Zweitens muss jeder Text, der zur Unterstützung einer bestimmten Doktrin herangezogen wird, unter Berücksichtigung der unmittelbaren linguistischen und historischen Gegebenheiten wie auch seines erweiterten biblischen Zusammenhangs betrachtet werden. Kolosser 1:19-20 und Philipper 2:10-11 beziehen sich beispielsweise eigentlich auf die Unterwerfung aller Dinge unter Christus und nicht darauf, dass jeder einzelne Mensch gerettet werden wird (vgl. 2.Th 1:8-9). Diese beiden Konzepte hängen zwar miteinander zusammen, sind aber keineswegs identisch. In 1.Timotheus 4:10 ist die Tatsache, dass Christus der einzige Retter aller Menschen ist, nicht gleichbedeutend damit, dass alle Menschen gerettet werden; denn manche werden sich entscheiden, sein rettendes Angebot nicht anzunehmen. Die meisten Universalisten wollen die menschliche Willensfreiheit bewahren. Wenn sie das aber tun, dann müssen sie doch auch die naheliegende Konsequenz daraus akzeptieren, dass manche Menschen verloren sein werden. Genauso sagt auch Hebräer 2:9, dass Christus für alle Menschen den Tod schmeckte; die entscheidende Frage ist aber doch: Werden das auch tatsächlich alle akzeptieren? Nach Hebräer 10:26-31 zu urteilen, offenbar nicht! Die Liebe Gottes ist, wie gesagt, kein Bulldozer, der die Entscheidungen der Menschen ignoriert und alle ohne Unterschied auf die Seite Seiner Gnade schaufelt. Die Tatsache, dass viele Menschen seine Liebe am Ende nicht oder überhaupt nicht annehmen, wird mehrmals und eindeutig in der Schrift erwähnt; und wenn man die gegenteilige Meinung vertritt, dann ist das wohl schlicht Wunschdenken – um nicht zu sagen ein verantwortungsloser Umgang mit der Schrift. Jesu Beschreibung der Hölle als etwas Ewiges (Mat 25:46) sollte diesen Punkt für jeden ernsthaften Christen ein für allemal klären.

Auf Texte wie Römer 5:18 und 1.Korinther 15:22 muss man noch einen genaueren Blick werfen. Römer 5:18 lautet:

Wie nun also durch Eines Vergehen die Verurteilung aller Menschen gekommen ist, so kommt durch Eines Tat der Gerechtigkeit die Rechtfertigung zum Leben für alle Menschen.

Oft wird die Meinung geäußert, dass wenn sich das erste „alle“ buchstäblich auf alle Menschen ohne Ausnahme bezieht, sich ganz klar doch auch das zweite „alle“ aufgrund der Parallelität der zwei Satzbildungen auf alle Menschen ohne Ausnahme beziehen müsse; d.h. auf jedes menschliche Wesen, das je gelebt hat. Dann scheint es, als trete Paulus in 5:12-21 für den Universalismus ein, wenn er die universelle Auswirkung von Adams Sünde mit der Wirkung von Christi Akt der Gerechtigkeit vergleicht. Hier einen Universalismus zu sehen, heißt allerdings, andere paulinische Texte (2.Th 1:8-9) außer Acht zu lassen – einschließlich des unmittelbar vorausgehenden Verses Römer 5:17, der ohne Umschweife sagt, dass die Gerechtigkeit/Erlösung für die ist, „die die Fülle der Gnade empfangen“. Sie reicht für alle Menschen aus, aber nur diejenigen, die sie im Glauben empfangen, werden im anderen Leben herrschen! Den Ausdruck „alle Menschen“ wählt Paulus einfach, um die Parallele zwischen Adam und Christus durch den ganzen Abschnitt hindurch zu ziehen. Die universalistische Interpretation würde hier zudem die fragwürdige Annahme erfordern, dass Paulus in 5:15-19 meint, dass dieselben Menschen, die zuvor in Adam lebten, nun in Christus leben. Das aber ist sicher nicht der Punkt. Vielmehr meint er, dass in derselben Weise, wie Adam auf die Seinen (d.h. auf die gesamte Menschheit) unmittelbare Auswirkung hat, auch Christus auf die Seinen (d.h. auf alle, die seine Gnade empfangen) unmittelbare Auswirkung hat.

In 1.Korinther 15:22 finden wir einen weiteren Text, der, oberflächlich betrachtet, universalistische Auffassungen zu bestätigen scheint. Bevor wir diesen Text näher betrachten, müssen wir festhalten, dass für ihn im Hinblick auf die universalistische Auslegung dasselbe gilt wie für Römer 5:18: Der Text wurde von Paulus geschrieben und muss daher, will man ihm gerecht werden, mit Texten wie 2.Thessalonicher 1:8-9 in Einklang gebracht werden, die durch keine auch nur annähernd sensible Hermeneutik in das Gewand des Universalismus gezwungen werden können.

Nach dieser Vorrede nun also der Wortlaut im 1. Korintherbrief:

Denn so wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden.

Zwei Dinge sind bemerkenswert über diesen Abschnitt und seinen Kontext. Erstens sagt der Text zwar „alle werden lebendig gemacht werden“, doch er sagt das nur von denen, die „in Christus“ sind. Das heißt, alle, die in Christus sind – sowohl die Lebenden (Vers 17) als auch diejenigen, die schon gestorben sind (Vers 18) – werden auferweckt werden, d.h. Hoffnung auf das zukünftige Leben haben (Vers 20). Die Auffassung, dass das „in Christus“ das „alle“ eingrenzt, wird zweitens dadurch erhärtet, dass Paulus’ gesamte Argumentation in 15:1-34 sich eigentlich mit der Gewissheit von Christi Auferstehung befasst, und zwar im Hinblick auf ihren Nutzen für die, die an ihn glauben. Er verdeutlicht dies in Vers 17-19, wenn er vom Glauben der Korinther und von ihrer künftigen Hoffnung in Christus spricht. Paulus hält hier keine universalistische Hoffnung feil, sondern vielmehr eine Hoffnung, die denjenigen zusteht, die auf Gott vertrauen und der Verkündigung über den auferstandenen Christus Glauben schenken (1.Ko 15:1).

Drittens gibt es daneben etliche andere Texte, die das Gericht und die Hölle als ewig bezeichnen.89 In Matthäus 25:46 ist ganz klar, dass die Hölle ewig sein wird90. Jedes anderslautende Argument für eine universalistische Doktrin wird im Lichte dieser und ähnlicher Texte (2.Th 1:8-9; Off 14:10-11, 20:10-15) hinfällig.

      Zwei Ansichten innerhalb des Evangelikalismus

Zurzeit werden innerhalb des Evangelikalismus – das heißt, unter denjenigen, die die Schrift und die Notwendigkeit von persönlichem Glauben und Wiedergeburt sehr hoch achten – in erster Linie zwei Ansichten über die Art der höllischen Bestrafung vertreten. Die erste davon wird „bedingte Unsterblichkeit“ oder „Annihilismus“ genannt; streng genommen sind diese beiden Bezeichnungen aber (wie unten ausgeführt) nicht genau identisch. Die zweite wird oft als die „traditionalistische Anschauung“ bezeichnet.

Zu diesem Thema muss man unbedingt verschiedene Dinge festhalten: Erstens hat die Diskussion darüber nicht unmittelbar etwas mit der Unfehlbarkeit zu tun, wie gelegentlich fälschlicherweise behauptet wird.91 Die besten evangelikalen Theologen auf beiden Seiten erkennen die Bibel unverrückbar als Gottes inspiriertes und glaubwürdiges Wort an. Vielmehr geht es hier um die beste Auslegung dieses Wortes und um die daraus resultierende Theologie. Zweitens geht die Auseinandersetzung nicht darüber, ob die Bösen gerichtet werden oder nicht. Beide Seiten sind sich darüber einig, dass das der Fall sein wird. Der Streit geht vielmehr um die Art dieses Gerichts. Die Konditionalisten vertreten die Meinung, dass das bewusste Leiden ein vorübergehender Bestandteil von Gottes Gericht sein und letztendlich in das Nichtsein der Bösen münden wird. Die Traditionalisten dagegen meinen, dass das bewusste Leiden ein unendlicher Teil von Gottes Gericht sein wird und die Bösen niemals aufhören werden zu existieren.92 Drittens hat zündende Rhetorik in dieser – wie übrigens auch in jeder anderen – Auseinandersetzung keinen Platz, denn sie dient nur dazu, die Ansichten des anderen zu verzerren und für einen selbst fremder und schwerer verständlich zu machen. Das bedeutet allerdings nicht, dass man die Ansichten eines Anderen nicht entschieden kritisieren dürfte, aber so etwas muss immer mit christlichem Anstand und mit dem Ziel geschehen, das gesamte Volk Gottes in der Wahrheit über diese oder andere Fragen voranzubringen. Viertens sollten wir uns wohl zu Herzen nehmen, dass die Hölle und das schreckliche Gericht, über die wir hier diskutieren, alldenen bevorstehen, die nicht in Christus sind – also auch vielen Menschen, die wir selbst kennen und lieben. Lassen Sie uns also, wie Stott uns auffordert, mit Jeremia klagen und mit Paulus weinen über das endgültige Schicksal derer, die sich weigern, Christus anzuerkennen und zu lieben.93 Es ist dies eine sehr ernüchternde Doktrin, ganz egal, für welcher Seite man sich in dieser Streitfrage entscheidet.

Bevor wir die jeweiligen Vorzüge der bedingten Unsterblichkeit und der traditionalistischen Auffassung diskutieren, wollen wir noch einen Moment darauf verwenden, die bedingte Unsterblichkeit eindeutig von den anderen annihilistischen Sichtweisen abzugrenzen.

B.B. Warfield hat drei Hauptrichtungen des Annihilismus skizziert: (1) reine Sterblichkeit, (2) bedingte Unsterblichkeit und (3) Annihilismus im eigentlichen Sinne.94 Reine Sterblichkeit, wie sie oft auf der Grundlage eines mehr oder weniger strikten Materialismus angenommen wird, sieht für den Menschen keine Hoffnung nach dem Tod. Anders ausgedrückt: Ein Mensch kann unabhängig von seinem Körper nicht leben, denn das Lebensprinzip ist unauflöslich mit dem physischen Organismus verbunden. Jeder Mensch scheidet bei seinem Tod schlicht aus dem Sein. Bedingte Sterblichkeit beinhaltet, allgemein gesagt, dass die Menschen nicht von Natur aus Unsterblichkeit besitzen, sondern diese von Gott erhalten müssen. Gott seinerseits verleiht sie nur denen, die „in Christus“ und durch ihren Glauben in Ewigkeit mit dem Erlöser und seiner Auferstehung verbunden sind. Alle anderen Menschen, d.h. die Ungläubigen, scheiden einfach aus dem Sein, entweder durch ihren Tod und/oder nach einer allgemeinen Auferstehung oder nach der allgemeinen Auferstehung und einer Zeit des Leidens. Annihilismus im eigentlichen Sinne basiert im Gegensatz zur bedingten Unsterblichkeit auf der Vorstellung, dass der Mensch von Natur aus unsterblich ist. Zu einem bestimmten Zeitpunkt – sei es unmittelbar beim Tod, beim Gericht nach einer allgemeinen Auferstehung oder nach einer bestimmten Zeit des Leidens – werden die, die nicht in Christus sind, vernichtet werden; Gott selbst wird selbst ihre bloße Existenz zu einem Ende bringen.

      Argumente für die bedingte Unsterblichkeit

Jetzt sind wir so weit, dass wir die verschiedenen Argumente für und wider die bedingte Unsterblichkeit und den Traditionalismus diskutieren können. Die bedingte Unsterblichkeit hat in den letzten Jahren zunehmend Unterstützung von Evangelikalen wie Edward William Fudge,95 John W. Wenham,96 Stephen H. Travis,97 Philip Edgecumbe Hughes,98 Clark Pinnock99 und Michael Green100 erfahren. Ein weiterer bekannter Evangelikale, der ihren Standpunkt zumindest halbherzig vertritt, ist John Stott.101 Die Frage, die wir beantworten müssen, ist die: Kann die bedingte Unsterblichkeit unter exegetischen und theologischen Gesichtspunkten eine Überlegenheit gegenüber den traditionalistischen Ansichten behaupten, so dass sie diesen vorzuziehen wäre? Es folgt daher eine Auseinandersetzung mit einigen der populärsten und überzeugendsten Argumente für die bedingte Unsterblichkeit.

        Die Bedeutung der verschiedenen Ausdrücke der „Vernichtung“

Die Vertreter der bedingte Unsterblichkeit argumentieren, dass das griechische Verb ajpovllumi, apollumi102 in seiner Aktivform „töten“ und in der mittleren, intransitiven Form „zugrunde gehen“ oder „vernichtet werden“ bedeutet.103 Als Herodes beispielsweise nach Jesus suchen ließ, tat er das, „um ihn zu töten“ (Mat 2:13). Ebenso sagte Jesus, dass die Menschen sich vor dem fürchten sollten, der zerstören, d.h. „den Leib und die Seele in der Hölle töten“ kann (Mat 10:8). Daraus folgert Stott: „Wenn töten bedeutet, den Körper des Lebens zu berauben, dann besteht die Höllenstrafe doch offenbar in der Beraubung vom körperlichen wie vom geistigen Leben, also in der Auslöschung der Existenz.“104 Zudem bedeutet das Verb in seiner mittleren, intransitiven Form „zugrunde gehen“; so zum Beispiel im Falle der Ungläubigen, von denen gesagt wird, dass sie „zugrunde gehen werden“ (1.Ko 1:18; vgl. auch 2.Ko 2:15, 4:3).

Stott meint auch, dass die Substantive apwleiva, apo„leia (z.B. Php 1:28, 3:19; Heb 10:39) and ojleqro, olethros (z.B. 1.Th 5:3; 2.Th 1:9) ebenfalls „Vernichtung“ oder „Untergang“ im Sinne einer „Auslöschung des Seins“ bedeuten. Er folgert daraus, dass „es daher doch merkwürdig wäre, wenn Menschen, von denen ausgesagt wird, dass sie Vernichtung erleiden werden, tatsächlich gar nicht vernichtet werden“.105

    Antwort

Zunächst einmal stimmt es, dass das Verb apollumi die Bedeutung „töten“ oder „umbringen“ haben kann. Aber es ist ein Non-Sequitur, deshalb anzunehmen, dass „töten“ notwendigerweise die „Auslöschung des Seins“ beinhaltet, selbst wenn dieses Töten in der Hölle geschieht; und zwar aus den folgenden drei Gründen: (1) Sprachlich wird der Ausdruck „töten“ phänomenologisch gebraucht und beansprucht daher nicht notwendigerweise eine metaphysische Aussage über Sein oder Nichtsein. (2) Die Interpretation des leiblichen „Tötens“ als „Auslöschung des Seins“ impliziert eine bestimmte grundlegende Sichtweise des Menschen, die zwar auf subtile Weise in die Definition hinein gebracht werden kann, aber keineswegs verbindlich ist. Ich meine damit das monistische Menschenbild oder seine christlichen Versionen, denen zufolge kein Leben ohne Körperlichkeit existieren kann. (3) „Apollumi” kann noch zahlreiche andere Bedeutungen außer „töten“ annehmen. Es wird gebraucht für „geistlich verloren sein“ (Mat 10:6, 15:24), „seines Lohns verlustig gehen“ (Mat 10:42), „sein Leben verlieren“ (Mat 16:25), „Dämonen vernichten“ (Mar 1:24), „einen Weinschlauch ruinieren“ (Mar 2:22), „ertrinken“ (Mar 4:38), „jemandem die notwendige Heilung vorenthalten“ (Luk 6:9), „keine Beziehung zu Gott haben“ (Luk 9:24), in Bezug auf das „verlorene Schaf“ (Luk 15:4-5), eine „verlorene Münze“ (Luk 15:8), den „verlorenen Sohn“ (Luk 15:24,32) oder „verlorene Menschen“ (d.h. Menschen, die nicht teilhaben an Jesus und der Errettung; Luk 19:10), für „zugrunde gehen“ im Gegensatz zur Teilhabe am ewigen Leben (Joh 3:16), „seinen Bruder wegen einer Speise verletzen“ (Rö 14:15), „einen Schwachen durch sein Wissen verderben“ (1.Ko 8:11).

Einige dieser Beispiele sind wichtig und sollen noch kurz kommentiert werden. Wenn erstens Jesus „Dämonen vernichtet“ (Mar 1:24) und sie dem Feuersee als ihrem endgültigen Schicksal zuführt, bedeutet aufgrund der Analogia fidei/scripturaeapollumi“ hier wohl nicht „Auslöschung des Seins“, denn diese Dämonen (einschließlich des Teufels) werden „Tag und Nacht gequält werden, für immer und ewig“ (vgl. Off 20:10). Zweitens bedeutet „einen Weinschlauch ruinieren“ sicher nicht, dass er deshalb aufhört zu existieren, sondern nur, dass er in praktischer Hinsicht für den Zweck aufhört zu existieren, für den er gemacht wurde, d.h. man kann ihn nicht mehr mit Wein füllen. Drittens kann „apollumi“ bedeuten, „keine Beziehung zu Gott zu haben“ (Luk 9:24), so dass der Mensch in dem obigen Sinne ruiniert oder zerstört ist, d.h. er erfüllt nicht den Zweck, für den er erschaffen wurde. Das wird auch am verlorenen („apollumi“) Sohn in Lukas 15:24,32 deutlich. Dieser Sohn war vernichtet oder ruiniert, wenn Sie so wollen, indem er kein richtiges Verhältnis mehr zu seinem Vater hatte, wie sein Lebensstil ja zeigte. Aber er hörte keineswegs auf zu existieren, wie seine Rückkehr zum Vater deutlich macht. Viertens kann man von einem Christen sagen, dass er vernichtet wurde, und doch kann dieser Mensch sich vollkommener Gesundheit erfreuen und noch immer eine Beziehung zu Gott haben! Das gilt sowohl in Römer 14:15 als auch in 1.Korinther 8:11. In beiden Fällen wird gesagt, dass jemand durch eines anderen Menschen Freiheit oder Wissen ruiniert („apollumi“) wird. Aber die so Geschädigten hörten keineswegs auf zu existieren, sondern sie wurden im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Gott beeinträchtigt, das sich gemäß dem Glauben und der Hingabe eines Menschen an eine heilige Lebensweise entwickelt.

Wir sehen also, dass dieser Begriff sich meistens darauf bezieht, dass etwas/jemand ruiniert wird, indem es/er so weit beschädigt wird, dass es/er seinen ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllen kann.106 Der Begriff selbst sagt nichts aus über die Nicht-Existenz einer Sache oder Person. Das ist vermutlich auch der Sinn hinter Matthäus 10:28. In diesem Text spricht Jesus nicht über die Existenz vs. die Nicht-Existenz, sondern über verschiedene Arten der Existenz, bei Gott oder fern von ihm, wobei die letztere von beiden als „Untergang“ oder „Zerstörung“ in der Hölle beschrieben wird.107 In der Hölle kann der Mensch niemals aktiv und persönlich Gott verherrlichen. Wir sehen auch, dass in manchen Fällen – wie in Römer 14:15 und 1.Korinther 8:11 – der Untergang reversibel ist. Das trifft auch für den „Untergang“ des Verlorenen Sohnes zu. Mit der Umkehr zu Gott beginnt ein Prozess, durch den die zugezogene Zerstörung rückgängig gemacht wird. Von der Gelegenheit, die „Umkehrung des Untergangs“ oder die „Rückgängigmachung der Zerstörung“ zu beginnen, wird allerdings nirgendwo gesagt, dass sie auch jenseits dieses Lebens noch gegeben ist.

In 1.Korinther 5:5, 1.Thessalonicher 5:3, 2.Thessalonicher 2:9 und 1.Timotheus 6:9 taucht das griechische Wort olethros („Ausmerzung“) auf. Es trägt in jedem dieser Fälle religiöse Färbung und bezieht sich entweder auf die Vernichtung des Fleisches (die in diesem Leben nicht vollendet werden kann; 1.Ko 5:5) oder auf das Ergebnis von Gottes Strafe für diejenigen, die nicht auf sein Kommen vorbereitet sind (1.Th 5:3), seinem Evangelium nicht folgen (2.Th 2:9) und/oder Reichtümern um ihrer selbst willen nachjagen (1.Ti 6:9). In keinem dieser Beispiele bedeutet „olethros“ zwangsläufig die „Auslöschung des Seins“.

Selbst wenn jemand nicht mit allem übereinstimmt, was wir hier sagen, sollte er/sie schließlich doch erkennen, dass „apollumi“ nicht notwendigerweise die „Beendigung des Seins“ bedeutet oder auch nur beinhaltet. Dasselbe kann man für die 18 Anführungen des Wortes apo„leia108 und das viermalige Vorkommen des Begriffs olethros sagen. In Matthäus 25:46 und 1.Johannes 4:18 taucht der Begriff kolasis auf. An sich bezieht er sich auf eine schwere Strafe, ohne dass darin unbedingt eine Aussage über deren zeitliche Dauer beinhaltet wäre; und sicherlich gibt es keine implizite Verbindung zu der Vorstellung einer „Auslöschung“. Matthäus 25:46 werden wir später noch besprechen.

In Anbetracht der vorliegenden linguistischen Anhaltspunkte ist es irritierend zu sehen, dass Clark Pinnock einfach die Verse aufzählt, in denen der griechische Ausdruck vorkommt, und dann aus der englischen Übersetzung den Schluss zieht, dass „Zerstörung“ gleichbedeutend ist mit „Annihilation“. Alle Texte, die er nur zitiert, müssten – im Hinblick auf die von uns dargestellte linguistische Untersuchung der relevanten Begriffe – interpretiert und der Standpunkt, den er nur behauptet, müsste diskutiert und belegt werden. Beispielsweise stellt er mit Bezug auf Matthäus 10:28 einfach fest: „Unser Herr sprach offen von Gottes Gericht als der Vernichtung der Bösen, als er vor Gottes Fähigkeit zur Zerstörung von Leib und Seele in der Hölle warnte.“109 Was die anderen Texte betrifft, die er zitiert, so sind sich wohl alle Evangelikalen darüber einig, dass die reuelosen Bösen durch den Zorn Gottes ausgemerzt werden. Aber die Frage, die im Weiteren untersucht und beantwortet werden muss, ist doch: Was bedeutet „ausgemerzt“?

        Die Bedeutung der Bilder vom „Feuer“

Die Bibel spricht von „dem Feuer“ (Mat 3:10, 7:19, 13:50), dem „Höllenfeuer“ (Mat 5:22, 18:9), dem „ewigen Feuer“ (Mat 18:8, 25:41) und dem „Feuersee“ (Off 20:14-15). Wie sollen wir diese bildlichen Ausdrücke verstehen, die alle etwas mit dem Feuer zu tun haben? Manchmal wird die Diskussion darüber mit der Behauptung eröffnet, dass das „Feuer“ gar keine Metapher sei, sondern die konkrete Beschreibung der Hölle.110 Wie aber kann die Hölle buchstäblich als „Feuer“ (Mat 25:41, Jud 7) und gleichzeitig als die „schwärzeste Finsternis“ (Mat 8:12, Jud 13) beschrieben werden? Entweder muss dann die Hölle über die Zeit vom einen in den anderen Zustand wechseln, oder es muss in der Hölle Orte mit Feuer neben Orten mit undurchdringlicher Finsternis geben. Abgesehen davon, dass solche Interpretationen lächerlich klingen, sind sie (1) aufgrund der Texte selbst nicht erforderlich, (2) ein Zeichen dafür, dass die apokalytische/metaphorische Natur der Beschreibungen nicht erfasst wurde und (3) somit die mühsamste und künstlichste Auslegung der entsprechenden Textstellen. Die einfachste und beste Erklärung besteht dagegen darin, dass man die Ausdrucksweise als metaphorisch und hinweisend auf eine schreckliche Wirklichkeit betrachtet, von der wir das meiste mit unserem Verstand wahrscheinlich gar nicht erfassen können.

Was für ein Symbol aber ist das Feuer? Wofür steht es? Stott meint:

Die hauptsächliche Funktion des Feuers liegt nicht darin, Schmerzen zu bereiten, sondern Vernichtung zu gewährleisten, wie die Verbrennungsanlagen überall auf der Welt bezeugen. … Das Feuer selbst wird als „ewig“ und „unauslöschlich“ bezeichnet, doch es wäre sehr verwunderlich, wenn das, was hineingeworfen wird, sich als unzerstörbar erweisen würde. Im Gegenteil: man sollte erwarten, dass es für immer verzehrt und nicht für immer gequält würde. Daher auch „steigt der Rauch (als Zeichen dafür, dass das Feuer seine Aufgabe erledigt hat) auf für immer und ewig“ (Off 14:11, vgl. 19:3).111

Wiederum gibt es – ganz abgesehen von der problematischen Analogie des Mülls (der ja nicht aufgrund von Schuld und Sünde in die Verbrennungsanlage gebracht wird) – mindestens vier größere Probleme bei Stotts Auslegung von Offenbarung 14:11. Erstens verschweigt er, dass selbst im unmittelbaren Textzusammenhang Aussagen zu finden sind, die seiner Auffassung widersprechen. Er müsste auch noch den Rest von Offenbarung 14:11 zitieren, wo es heißt: „sie haben keine Ruhe Tag und Nacht, die das Tier und sein Bild anbeten ...“. Die exegetisch sinnvollste Lesart für „sie haben keine Ruhe Tag und Nacht“ ist sicher die als „unendliche Ruhelosigkeit“ für diejenigen, die das Tier anbeten. Wenn das aber so ist, dann ist ewiges, bewusst erlebtes Leiden und nicht „Nichtsein“ der Kern der Strafe und des Textes. Damit legt das Bild des Feuers Todeskampf und Qualen nahe statt der Auslöschung des Seins, die Stott vertritt. Das passt auch gut zu Jesu eigenen Warnungen vor dem „unauslöschlichen“, „ewigen“ Feuer und der Hölle als einem Ort, wo „Heulen und Zähneknirschen“ ist (Mat 8:12, 24:51, 25:30). Zweitens stimmt Offenbarung 14:11 nicht nur formell, sondern auch inhaltlich mit Offenbarung 20:10 (und 19:3) überein, wo Johannes wiederum sagt, dass die Qual „Tag und Nacht, für immer und ewig“ anhalten wird. Drittens fragt man sich doch, wie ewiger Rauch aufsteigen kann, wenn das Feuer alles vollständig verzehrt, so dass irgendwann einmal nichts mehr zu verbrennen übrig sein sollte. Oder wie es möglich ist, dass „ihr Wurm“ nicht stirbt, wenn doch das, wovon er sich ernährt, vollständig verzehrt wird. Das sind scheinbar dumme Fragen, doch sie werden durch Stotts Handhabung des Textes gerechtfertigt.112 Viertens erscheint in Markus 9:48 die Vorstellung des „nie verlöschenden Feuers“ parallel zu der des „Wurms, der nicht stirbt“. Wenn „ihr Wurm nicht stirbt“,113 warum wird dann das „unauslöschliche“ Feuer plötzlich doch „auslöschlich“? Markus 9:48 sagt doch anscheinend prima facie, dass „nie verlöschend“ die Qualität und Dauer der Ewigkeit beinhaltet (d.h. das den Bösen bevorstehende Zeitalter beschreibt, das von seiner Dauer her unendlich sein wird); Gottes Bestrafung der Bösen hat etwas „Unendliches“.114

        Die Doktrin von der Unsterblichkeit der Seele und die griechische Philosophie

Die Vertreter der bedingte Unsterblichkeit weisen oft darauf hin, dass viele Exegeten unbewusst eine unbiblische Anthropologie in ihre Auslegung relevanter Texte einbringen, die auf Plato und seine Doktrin von der Unsterblichkeit der Seele zurückgeht. So meint Clark Pinnock:

Wenn ein Bibelleser unter der Annahme an den Text herangeht, dass die Seele von Natur aus unsterblich ist, – muss er dann nicht gezwungenermaßen die Stellen, die von der Vernichtung der Bösen sprechen, so interpretieren, dass diese für immer und ewig gequält werden, denn gemäß seiner Vorannahme können die Seelen ja nicht aufhören zu existieren? (Kursive Hervorhebung von G. Herrick)

Pinnock argumentiert weiter, so wie auch Fudge115 und andere vor ihm es getan haben,116 dass Unsterblichkeit etwas ist, das nur Gott selbst besitzt (1.Ti 6:16). Gott kann jedoch seinem Volk Unsterblichkeit verleihen (1.Ko 15:21,50,54, 2.Ti 1:10). Die übrige Menschheit aber – also alle, die nicht in erlösender Beziehung zu Christus stehen – sind von Natur aus sterblich und können nicht für immer existieren. Wenn sie aber nicht für immer existieren können, dann können sie auch nicht für immer leiden. Die Ansicht des Traditionalismus setzt damit selbst ein falsches Menschenbild voraus, das unbewusst ständig in das biblische Material „hineingelesen“ wird.

Die von Pinnock vorgetragenen Argumente sind aus mindestens zwei Gründen irrig. Erstens ist die Ähnlichkeit der beiden Anschauungen über die Unsterblichkeit der Seele, d.h. der platonischen und der christlichen, nicht gleichbedeutend damit, dass die Letztere aus der Ersteren entwickelt und daher zwangsläufig von ihr abhängig wäre.117 Tatsächlich ist nach Erickson die christliche Sichtweise nicht direkt auf die platonische Sichtweise zurückzuführen. Das zeigt auch eine Betrachtung von zwei wesentlichen Unterschieden zwischen den beiden:118 Erstens besteht nach der griechischen Anschauung die Unsterblichkeit der Seele in beiden Richtungen, also in Ewigkeit vor dem Beginn der verkörperten Existenz und in Ewigkeit nach dem leiblichen Tod. Keine christliche Sichtweise aber (weder der Traduzianismus noch der Kreatianismus) vertritt die Unsterblichkeit der Seele vor dem Beginn der Schöpfung. Und zweitens scheint die griechische Anschauung oft die Vorstellung zu beinhalten, dass die Seele von Natur aus oder von sich aus inhärent unsterblich sei, und auch das wird in keiner fundierten christlichen Sichtweise vertreten. Vielmehr besteht dort die Meinung, dass Gott aus seiner freien Entscheidung heraus beschlossen hat, alle Menschen unsterblich zu machen und ihre Existenz durch Sein Wort aufrechtzuerhalten (vgl. Heb 1:3). Das sind zwei wesentliche Unterschiede, die den Behauptungen von Pinnock (und anderen) den Boden entziehen. Zweitens wäre selbst, wenn man bestimmte kausale Beziehungen zwischen der platonischen Philosophie und der Sichtweise mancher christlicher Theologen herstellen könnte, damit an sich ja die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Ansichten dieser christlichen Theologen noch nicht beantwortet; sonst würde man einen kausalen Fehlschluss begehen. Diese Frage muss auf der Grundlage der Schrift entschieden werden, was Pinnock nicht tut.

Als ein weiterer wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang die Tatsache der Auferstehung zu berücksichtigen. Jesus sagt in Johannes 5:29, dass es eine Auferstehung der Ungerechten zum Gericht geben wird. Es wäre merkwürdig, wenn auch logisch nicht völlig ausgeschlossen, dass diese zu deren Annihilation oder einfach zum Ende ihrer Existenz führen sollte. Vielmehr würde man erwarten, dass die Auferstehung ihnen ewige Existenz garantiert. Das scheint insbesondere auch deshalb eine angemessene Erwartung zu sein, da so eine Parallele zu den Gerechten besteht, die mit dem ewigen Leben (und das bedeutet mindestens: mit unendlichem Sein) im Blick auferstehen werden.

        Die Doktrin vom liebenden Gott

Gott ist grenzenlos in seiner Barmherzigkeit, Liebe und Vergebung. Das weiß jeder Christ, sei er ein Veteran oder erst eine Woche alt im Glauben. Tatsächlich wird man diese Wahrheit umso tiefer erkennen, je länger man schon im Glauben ist. Die traditionalistische Sicht über die Hölle zeigt uns im Gegensatz dazu einen Gott, der die Menschen endlos und ohne Hoffnung auf Wiederherstellung quält. Das ist, nach der Auffassung zumindest eines evangelikalen Schreibers,119 grausam und sadistisch. Wie können wir dann unsere Erfahrungen vom liebenden Gott mit solchen Ansichten über die ewige Verdammnis und Qual in Einklang bringen? Die Antwort ist am Ende – so wird es uns zumindest nahegelegt –: „Gar nicht.“ Wir sind von der ersteren Tatsache (Gottes Liebe) überzeugt, aber bezüglich der zweiteren (ewige, bewusst erlebte Strafe) unsicher; und so müssen wir die zweitere fahren lassen, damit wir nicht auch noch die erstere verlieren.

    Antwort

Dazu sind mehrere Dinge zu sagen. Erstens ist es zugegebenermaßen schwer, Gottes Liebe mit ewiger, bewusst erlebter Strafe zu vereinbaren, insbesondere wenn man bedenkt, wie sich Gottes Liebe im Kreuz äußert. Ich glaube, dass das von allen Seiten anerkannt wird. Zweitens ist Gott Liebe, aber er ist auch heilig. Wenn die Konditionalisten gegen eine ewige, bewusst erlebte Strafe argumentieren, steht anscheinend für sie oft die Doktrin von Gottes Liebe einer intensiven Wahrnehmung seiner Heiligkeit im Wege. Drittens sollte Gott, wenn man die Konditionalisten über die Unvereinbarkeit von ewiger, bewusst erlebter Strafe und göttlicher Liebe sprechen hört, überhaupt niemanden richten dürfen. Ein Konditionalist, der so vehement wie Pinnock vom Standpunkt der göttlichen Liebe aus argumentiert, müsste einsehen, dass er des Guten zu viel tut; denn es ist kaum einzusehen, wie die bedingte Unsterblichkeit als eine Form des Annihilismus die Doktrin von Gottes Liebe stützen oder retten sollte. Wenn Gott die Bösen nicht mit ewiger, bewusst erlebter Strafe richten darf, dann ist auch kaum einzusehen, warum so ein liebender Gott überhaupt irgendjemanden prolongierter Todesqual aussetzen sollte, nur um ihn am Ende der Annihilation zuzuführen. Mit anderen Worten: der Konditionalismus ist über das Problem auch nicht erhaben und steckt nicht weniger fest auf den Hörnern dieses Dilemmas als die anderen. Pinnocks häufig wiederholte Attribute, das „blutrünstige Ungeheuer“ und der „Sadist“, treffen auf diesen Gott genauso zu.120 Viertens versuchen die Konditionalisten ständig, die harte Realität der traditionalistischen Sichtweise abzumildern. Man darf sich aber fragen, ob vieles von der Lehre Jesu denn zu ihrer Vorstellung von Gottes Liebe passt? Schließlich war Er es, der sagte: „Haut ihn (d.h. den bösen Knecht) in Stücke und gebt ihm einen Platz bei den Heuchlern, da wird sein Heulen und Zähneknirschen“ (Mat 24:51). Das sind extrem harte Worte und aus Pinnocks Sicht der göttlichen Liebe muss man sich wundern, was von Jesu Auffassung von Gottes Liebe zu halten ist. Im Hinblick auf Jesu brutale und harte Worte dürfen wir uns andererseits aber fragen, ob Packer und Erickson nicht Recht haben, wenn sie Pinnocks und Stotts Ansichten allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz als von weltlicher Sentimentalität beeinflusst bezeichnen.121 Fünftens haben wir keine wirkliche Vorstellung davon, wie verletzend das Vergehen derjenigen ist, die Gottes Liebe in Christus immer wieder zurückweisen, entstellen oder unterdrücken. Wir haben vielleicht eine Ahnung davon, aber wir sind sicher nicht in der Position, sagen zu können, dass die Zurückweisung einer so großen Liebe nicht zu ewiger, bewusst erlebter Strafe führen darf. Schließlich handelt es sich um ein Vergehen gegen eine ewige und unendliche Liebe. Sechstens sprechen die Vertreter der bedingte Unsterblichkeit oft über die Liebe Gottes, als sei sie eine blinde, überwältigende Kraft, hinter der keinerlei Wille oder Entscheidungsfähigkeit steht. Weder Gottes „Freundlichkeiten des Schicksals“ noch seine besondere, erlösende Gnade sind aber automatisch oder unkontrolliert; sie beinhalten vielmehr die Entscheidungen einer freien Person, die sich auf verschiedenste Weise mit einer gefallenen Welt und in mehr oder weniger großem Ausmaß mit deren verschiedenen Individuen einlassen will.

Unter dem Strich bleibt also stehen: Anspielungen auf den scheinbaren Widerspruch zwischen Gottes Liebe und der ewigen, bewusst erlebten Strafe sind inkonsistent und ebenso tödlich für den Konditionalismus selbst. Indem die Vertreter der bedingte Unsterblichkeit den entgegengesetzten Standpunkt verdammen, disqualifizieren sie ihren eigenen unwissentlich gleich mit. Im Endeffekt aber können wir diese Frage niemals klären, indem wir uns einfach auf Gottes Liebe berufen. Wenn die Bibel schließlich über die Existenz einer Hölle spricht, so tut sie dies im Zusammenhang mit Gottes Gericht und also mit seiner Heiligkeit. Die Liebe Gottes wurde oft unter dem Vorwand einer Analogia fidei in diese Diskussion hineingebracht, aber wir müssen daran denken, dass der angemessene Kontext für eine Reflexion über die Hölle vor allem und letztendlich Gottes Heiligkeit und wahre Gerechtigkeit ist. Diese Tatsache sollten wir nicht aus den Augen verlieren. Wenn wir im Zusammenhang mit der Hölle von der Liebe Gottes sprechen wollen, sollten wir darüber sprechen, wie diese Liebe zurückgewiesen wird.

        Die Doktrin vom gerechten Gott

Aber nicht nur im Zusammenhang mit Gottes Liebe, sondern auch im Hinblick auf Gottes Gerechtigkeit und insbesondere seine Heiligkeit wirft die ewige, bewusst erlebte Strafe der Bösen Fragen auf. Erfordern Sünden, wie ungeheuerlich sie auch sein mögen, die Strafe ewigen Leidens? Deutlicher ausgedrückt: Ist Leiden in Ewigkeit, wo eine Milliarde Jahre nur einen Tropfen im Ozean darstellen, wirklich fair und gerecht für Sünden, die in der Zeit begangen und daher endlich sind; oder gibt es hier ein „gravierendes Missverhältnis“?122

    Antwort

Erstens: Ist es für uns als hoffnungslos von der Sünde vergiftete Kreaturen – und darüber, dass wir das sind, sind sich beide Seiten weitgehend einig – wirklich möglich festzulegen, was Gottes Gerechtigkeit erfordert und welche Grenzen er seiner Vergeltung setzen sollte? Die Sünde richtet sich letztlich gegen Gott selbst, sie ist ein Angriff auf seine Heiligkeit, ein versuchter Staatsstreich, eine Rebellion der schändlichsten Art. Selbst als versöhnte Rebellen sind wir daher nicht in der Position zu argumentieren, ob seine Gerechtigkeit wirklich eine ewige, bewusst erlebte Strafe erfordert. Zweitens: Auf der Grundlage von Gottes Gerechtigkeit für die bedingte Unsterblichkeit zu argumentieren, kann schnell in ein Dilemma führen. Wenn die Bösen so lange Strafe erleiden, bis sie für ihre Sünden bezahlt haben – warum werden sie dann anschließend vernichtet? Der Gerechtigkeit wurde sicher Genüge getan, und dann sollte man sie doch (in den Himmel) gehen lassen. Wenn sie andererseits noch nicht für ihre Sünden bezahlt haben – warum werden sie dann vernichtet? Die Gerechtigkeit erfordert doch, dass sie für ihre Sünden bezahlen, und dann müssen sie doch bleiben, bis das erreicht ist. Genau an diesem Punkt hört man die „weltliche Sentimentalität“ auf Zehenspitzen durch den Keller des Gebäudes schleichen.

Daraus ergibt sich eine weitere interessante Frage: Kann ein Mensch noch Strafe erleiden, nachdem er ausgelöscht worden ist? Erfordert die Bestrafung für die eigenen Sünden Bewusstsein? Könnte Gott Menschen bestrafen, die nie existiert haben? Die Vertreter der bedingte Unsterblichkeit werden diese letzte Frage zweifellos verneinen, da für sie ja die Auslöschung die letzte Stufe der Bestrafung darstellt. Allerdings widersprechen sie sich dann selbst, wenn sie die Traditionalisten dafür kritisieren, dass deren Ansicht nach Gott manche Menschen nur dafür ewig am Leben erhalte, um sie endlos zu bestrafen. Also glauben sie doch, dass Bewusstsein notwendig ist, um eine Strafe als solche zu erleben. Dann darf man sich fragen, ob die „Auslöschung des Seins“ überhaupt eine Strafe darstellt, denn Strafe setzt voraus, dass die so bestrafte Person Schmerzen, Verlust etc. erlebt. Wenn dieser Schmerz nicht erlebt wird, dann wird auch die Bestrafung nicht erlebt und damit auch nicht vollstreckt.

Drittens wird in der Schrift oft das Thema der Gerechtigkeit der Hölle angesprochen, und zwar mit Bezug auf unterschiedliche Grade der Bestrafung. Es werden nicht alle in gleichem Ausmaß Schmerzen und Leiden in der Hölle erfahren. Manche werden, sozusagen, wenige Schläge erhalten und manche viele davon (Luk 12:47-48). Viertens gibt selbst Stott zu, dass eine ewige, bewusst erlebte Strafe in dem Fall gerecht ist, wo Menschen auch im Zustand der Ewigkeit weiter sündigen.123 Er zitiert zu diesem Punkt keine Belege aus der Schrift, doch es gibt Hinweise darauf, dass so etwas tatsächlich der Fall sein wird. Erstens ist die Hölle ein Ort der Schmerzen (Heulen) und des hitzigen Zorns (Zähneknirschen). Das scheint doch auf sündiges Verhalten hinzuweisen. Zweitens fahren Menschen selbst dann noch fort, gegen Gott zu rebellieren, wenn sie sein gewaltiges Gericht, Schmerzen und Leiden erleben. So war es in der Vergangenheit, und so wird es auch wieder in der Zeit der großen Bedrängnis sein.

Offenbarung 9:20-21

20 Die übrigen der Menschen, die durch diese Plagen nicht getötet wurden, bereuten die Werke ihrer Hände noch immer nicht; und sie hörten nicht auf, Dämonen anzubeten und Götzenbilder aus Gold, Silber, Bronze, Stein und Holz – Götzen, die weder sehen noch hören noch gehen können –, 21 noch bereuten sie ihre Mordtaten, ihre Zauberkünste, ihre Hurerei oder ihre Diebstähle.

Offenbarung 16:9-11

9 Sie wurden mit großer Hitze versengt und sie verfluchten den Namen Gottes, der die Macht hatte über diese Plagen, doch sie weigerten sich, Buße zu tun und ihm die Ehre zu geben. 10 Und der fünfte Engel goss seine Schale aus auf dem Thron des Tieres, und sein Reich wurde verfinstert. Die Menschen bissen sich auf die Zunge vor Qualen 11 und verfluchten den Gott des Himmels um ihrer Schmerzen und ihrer Schwären willen, doch sie weigerten sich, ihre Taten zu bereuen.

Diese beiden Abschnitte zeigen, dass die Menschen nicht immer Buße tun, wenn sie dem göttlichen Gericht ausgesetzt sind – selbst wenn es ein Gericht von gewaltigem Ausmaß ist. Es verwundert uns nicht, wenn wir somit in der Schrift Hinweise darauf finden, dass es wahrscheinlich selbst noch im Zustand der Ewigkeit Unbußfertigkeit geben wird. Davon spricht wohl Johannes im letzten Kapitel der Bibel:

Offenbarung 22:10-11

10 Dann sprach er zu mir: “Versiegele nicht die Worte der Weissagung in diesem Buch, denn die Zeit ist nahe. 11 Wer Böses tut, der tue weiterhin Böses; wer unrein ist, der sei weiterhin unrein; aber wer gerecht handelt, handle weiterhin gerecht, und wer heilig ist, der heilige sich weiterhin.”

In Vers 10 dieses Textes steht, dass „die Zeit nahe ist“, was sich auf die Gottes letztes Gericht bezieht. Mancher wundert sich daher vielleicht, wie Offenbarung 22:10-11 etwas über Einstellungen und Handlungsweisen im Zustand der Ewigkeit sagen sollte, da doch Einstellungen und Verhaltensweisen bis hin zu dieser Zeit beschrieben werden. Carson kommentiert dazu:

Natürlich liegt die primäre Betonung hier auf dem Zeitraum von „jetzt“ an bis hin zum Jüngsten Gericht: schon in der Zeit findet gelegentlich eine Art verwirklichtes Gericht statt. Doch die Parallele ist vielsagend: Wenn die Heiligen und die gerecht Handelnden weiterhin heilig sein und gerecht handeln werden und damit die vollkommene Heiligkeit und Gerechtigkeit vorwegnehmen, die sie in aller Ewigkeit leben und praktizieren werden, können wir daraus doch auch schließen, dass die Unreinen mit ihrem Verbleiben in der Unreinheit die Unreinheit vorwegnehmen, die sie in aller Ewigkeit leben und praktizieren werden.124

Die Schlussfolgerung, die Carson aus diesem Text zieht, wird nicht nur durch die genannte Parallele in dem Text selbst untermauert, sondern auch durch die Anspielung auf Jesu Wiederkunft im nachfolgenden Vers und die Zuweisungen an die Gerechten (Vers 14) und die Bösen (Vers 15). Die Gerechten leben ihre Gerechtigkeit aus und die Bösen verharren, natürlich außerhalb der Stadttore, in ihrer Schlechtigkeit.

Wir schließen also daraus, dass Gott gerecht ist, wenn er die Bösen für immer bestraft, mit ewiger und bewusst erlebter Strafe, da sie wahrscheinlich an Rebellion, Magie, Mord, Götzendienst und Unmoral festhalten werden.

        Die Doktrin von der universellen Herrschaft Gottes

Einige Vertreter der bedingte Unsterblichkeit meinen, dass Gottes universelle und uneingeschränkte Herrschaft in Gefahr ist, wenn die Hölle bis in alle Ewigkeit existieren sollte, da es dann immer noch „Quadranten in der Galaxie“ oder „Ecken in seinem Reich“ geben würde, die nicht unter seiner vollständigen Herrschaft stünden. Sie argumentieren, dass die Hölle einen Widerspruch zu der universellen Herrschaft Gottes darstellt. Hughes sagt:

Die Erneuerung der Schöpfung erfordert die Elimination von Sünde, Leid und Tod ... Die Vorstellung, dass das Erleiden von Qualen und das Ertragen des Todes „bei lebendigem Leibe“ in der Hölle endlos weitergehen, steht in klarem Gegensatz zu dieser Lehre. Sie belässt einen Teil der Schöpfung unerneuert, der dem neuen Himmel und der neuen Erde für immer entfremdet bleibt.125

    Antwort

Dieses Argument weist mindestens zwei Schwachpunkte auf. Erstens fügt es einen Schritt in die Ausführung von Gottes Plan ein, der in den Materialien der Bibel nicht vorkommt. Mit dem Argument, dass die Hölle und der ewige Zustand der Verherrlichung nicht nebeneinander existieren können, wird gesagt, dass Gott irgendwann (zwei Jahre, 10000 Jahre, wer weiß?) nach dem Jüngsten Gericht die Hölle und alle, die darin sind, vernichten wird. Das Problem dabei ist aber, dass die Bibel nichts von einem solchen Schritt nach dem Jüngsten Gericht weiß. Nach dem Jüngsten Gericht kennt sie nur eine Stadt, in die die Gerechten hineinkommen, während die Bösen draußen bleiben (Off 22:14-15). Offenbarung 22:14-15 ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Schlechtigkeit und Gerechtigkeit im Zustand der Ewigkeit koexistieren können. Und warum ist es, zweitens, so schwer, sich die reine, unverfälschte und gerechte Vollstreckung von Gottes Gericht im Zustand der Ewigkeit vorszustellen. Gott wird dann keinerlei Rebellion mehr tolerieren und keinerlei Sünde mehr ungestraft durchgehen lassen (vgl. Apg 17:30), sondern er wird statt dessen fortwährend sein Gericht über die Sünde und über die noch immer Unbußfertigen ausüben. In dieser Vorstellung wird die Ewigkeit dann tatsächlich zur Bühne für die endlose, reine Erfüllung der Heiligkeit Gottes.

        Die Beeinträchtigung für den Zustand der Ewigkeit

Einige Vertreter der bedingte Unsterblichkeit argumentieren, dass die Existenz von Menschen, die in der Hölle leiden, die himmlischen Freuden beeinträchtigen wird.

    Antwort

Packer weist darauf hin, dass man „das von Gott nicht sagen kann, als schmerze ihn die Vollstreckung seiner Heiligkeit durch die Vergeltung mehr als die Übeltäter selbst. Und da im Himmel die Christen vom Wesen her wie Gott sein werden, lieben werden, was er selbst liebt, und sich an allen seinen Manifestationen – einschließlich seiner Gerechtigkeit – erfreuen werden, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass ihre Freude auf diese Weise beeinträchtigt sein wird.“126

        Der Ablauf der Verdammung

Dieses Problem wurde bereits oben angedeutet. Im Hinblick auf die Behandlung der noch immer Unbußfertigen durch Gott meinen die Vertreter der bedingte Unsterblichkeit, dass Gott erst mit „vernichtendem Feuer“ richten wird. Dann wird er die ewige Strafe vollstrecken, was eigentlich eine Aussage über die Unwiderruflichkeit der Vernichtung darstellt.127 Die Vertreter der bedingten Unsterblichkeit machen also das Jüngste Gericht zu einem schrittweise ablaufenden Vorgang. Entspricht das aber den Aussagen der Bibel?

    Antwort

Beim Jüngsten Gericht gibt es keinen schrittweisen Ablauf, wie ihn die Vertreter der bedingten Unsterblichkeit entwerfen. In dieser Hinsicht sind die Verse Matthäus 25:41 und 46 ausschlaggebend. Sie lauten folgendermaßen:

25:41 Dann wird er [Jesus] auch zu denen zu seiner Linken sagen: “Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bereitet ist…25:46 Und diese werden in die ewige Strafe gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Hier wird klar, dass das „ewige Feuer“ als Parallele zur „ewigen Strafe“ verstanden werden muss und sich beide auf dasselbe Ereignis beziehen. Keine auch nur annähernd ungekünstelte Lesart kann diesen Text so verstehen, dass beide sich auf zwei unterschiedliche Gerichtshandlungen beziehen, die schrittweise – die eine früher, die andere später – ablaufen. Eine der Hauptvoraussetzungen für die Doktrin von der bedingten Unsterblichkeit findet damit keine Unterstützung. Wenn weiterhin das Feuer als ewig bezeichnet wird, was eine endlose Zeitdauer beinhaltet (obwohl auch eine endlose Intensität impliziert sein kann) – warum ist dann nicht auch die Strafe genauso endlos? Die Parallele zum ewigen Leben enthebt uns noch zusätzlich der Notwendigkeit einer Diskussion über dieses Thema.

Die Doktrin vom Himmel
      Die Sehnsucht nach dem Himmel

Auf ein tiefes Wissen von Gott und auf das ungehinderte Suchen und Finden seiner Liebe ist das niemals endende Sehnen jedes geheiligten Herzens gerichtet. In diesem Leben geschieht das natürlich nur bis zu einem gewissen Grade und auf einem gewissen Niveau. Wie sowohl Jesus als auch Paulus lehrten, leben wir im „Jetzt, Noch-Nicht“ der Erlösung, so dass wir Gott zwar lieben können, jedoch nur unvollkommen und gelegentlich sogar nur unter Kampf und großen Schwierigkeiten. Wir dienen ihm mit Freude, doch mit einer Freude, in die sich oft die Tränen der Traurigkeit mischen. Es gibt Zeiten, wo unser Herz müde wird, ihm zu dienen, und wo wir durch die Täuschungen der Sünde und die Ablenkungen der Welt verhärtet und vorübergehend von unserer aufrichtigen Hingabe abgebracht werden. Dennoch ist es unser tiefstes Sehnen, das vom Geist der Gnade in uns eingepflanzt wurde und täglich erneuert wird, frei von Sünde zu sein und dem Herrn in einer Weise Anbetung und Dienst zu leisten, die ihn voll und ganz zufriedenstellt. Das Gute daran ist: Christus hat einen Ort bereitet, an dem uns reine Anbetung und Segen zuteil werden.

Paulus sagt über diesen Ort, der in der Schrift oft als „Himmel“ bezeichnet wird, dass „kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Sinn aufgekommen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1.Ko 2:9-10). Durch den Geist in uns – der uns fortwährend die Gegenwart Christi vermittelt – haben wir einen Vorgeschmack auf diese zukünftige Zeit, doch es ist nur ein Vorgeschmack (so intensiv er auch sein mag). In der Zunkunft werden wir ihn dagegen tatsächlich „so sehen, wie er ist“ (1.Jo 3:2-3). Wer kann sich wirklich vorstellen, welch große Dinge Gott für die bereithält, die ihn lieben? Über die biblische Lehre vom Himmel zu meditieren, ist eine der ermutigendsten und stimulierendsten geistigen Tätigkeiten. Das Ziel dieses Abschnitts ist es, Ihnen einige Gedanken zu vermitteln, die Sie – wie schrecklich unzulänglich sie auch sein mögen – in Anbetung und Preis vor den Herrn bringen können. Es sind sind dies, allgemein gesagt, Gedanken über unsere Zukunft bei Gott – Gedanken, die uns hoffentlich lehren, wie wir jetzt für Gott leben sollen. Auf diese Weise wird die Zukunft uns nicht gar so fremd sein, wenn sie einmal kommt.

      Der Begriff „Himmel“

In der Bibel bildet der Begriff „Himmel“ (shamayim im AT und ouranos im NT) den ersten Teil eines Merismus, der zusammen die gesamte Schöpfung bezeichnet, wie beispielsweise in dem Ausdruck „die Himmel und die Erde“ (Gen 1:1). Der Begriff wird auch als partielles Synonym für Gott gebraucht, wobei darin mehr enthalten ist als nur der Bezug auf seine Person per se. In dieser Art wird er beispielsweise in Johannes 3:27 gebraucht, wo Jesus sagt, dass „ein Mensch nicht ein einziges Ding erhalten kann, es sei ihm denn vom Himmel gegeben worden“. Aber es gibt auch noch eine dritte Art und Weise, in der der Begriff gebraucht wird, nämlich in Bezug auf einen besonderen Ort, wo Gott in der Fülle seiner Person und seines Segens wohnt.

      Das Wesen des Himmels

Wie bereits gesagt, ist der Himmel wohl ein reeller Ort. Jesus sagte mehrmals, dass er „vom Himmel“ gekommen sei (Joh 6:41,52; vgl. 7:28-29), nach seiner Auferstehung fuhr er „in den Himmel“ auf, und eines Tages wird er „aus dem Himmel herab“ offenbart werden (Apg 1:11; 1.Th 4:16). Gegenwärtig ist er „im Himmel“ und bereitet dort einen Ort für die Seinen (Joh 14:3; vgl. Heb 9:24). Unabhängig davon, ob wir den Himmel mit unseren Sinnen wahrnehmen können oder nicht, befindet er sich also doch wahrscheinlich irgendwo in unserem Universum aus Raum und Zeit, denn Jesus ist dort in seinem wirklichen, körperlichen Auferstehungsleib. Unser endgültiges Schicksal als diejenigen, die in Ewigkeit mit dem Erlöser verbunden worden sind, ist es, für immer im Himmel in der Gegenwart Christi zu leben und seinem Vater Tag und Nacht zu dienen (Eph 2:6-7; Off 22:5).

Es wird allerdings gelegentlich gefragt, ob der Himmel nicht eigentlich eher ein Zustand als ein Ort ist. Je nachdem, wie wir diese beiden Begriffe verstehen, ist die Antwort wahrscheinlich: sowohl – als auch. Wenn wir den Zustand so auffassen, dass er die entsprechende physikalische Wirklichkeit ausschließt, befinden wir uns sicher im Irrtum. Der Himmel wird in der Schrift nicht als irgendeine formlose, platonische, geistige Existenz beschrieben, denn wir werden im Himmel in unseren auferstandenen Leibern regieren (Rö 8:17). Außerdem wird es einen neuen Himmel und eine neue Erde geben, was eine Verortung in Raum und Zeit impliziert (vgl. Off 21:1). Sich nur auf die physikalischen Gegebenheiten des ewigen Lebens bei Gott zu konzentrieren, bedeutet andererseits, den „neuen“ Zustand aller Dinge zu übersehen, in den Gott uns bringen wird. Im Himmel werden wir durch Gottes Gegenwart in einer Weise gesegnet werden, wie wir es bisher nie gehört oder erfahren haben. Es wird dort keine Sünde geben, sondern nur noch das vollkommene Streben danach, ihn anzubeten, zu lieben und ihm zu dienen. Es wird dort Freude, fortwährende Offenbarung (denn Gottes Sein und Wissen sind unendlich), außerordentliche Segnungen und dankbaren Dienst geben. Das unterscheidet sich sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht von allem, was wir bisher je erlebt haben.

Auch andere Fragen sind in der Diskussion über den Himmel noch vorgebracht worden. Manche Leute sorgen sich darüber, ob ihre Sünden und die Erinnerung daran ihnen wohl in den Himmel folgen werden. Aber das ist wenig wahrscheinlich, denn Gott wird das im Jüngsten Gericht erledigen, und dann „wird kein Tod mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein (Off 21:4). Das ist jedoch kein Freibrief für ein Leben nach Gefallen, denn man sollte im Auge behalten – wenn wir das auch nicht verstehen können –, dass die Belohnung im Himmel je nach der Treue des Dienstes hier auf der Erde abgestuft sein wird. Es muss also immer unser Ziel sein, Ihm zu gefallen, egal ob wir in unserem Leib noch zuhause oder fern von ihm sind (2.Ko 5:9).

Manche Menschen fragen sich, ob es im Himmel leibliche Genüsse wie Sex, Essen, Trinken etc. geben wird. Da es keine Heiraten im Himmel zu geben scheint, wird es wohl auch keine sexuellen Beziehungen geben. Jesu Äußerung in Matthäus 22:30 besagt doch offenbar, dass gemäß den Verhältnissen bei den Engeln auch die verherrlichten Menschen nicht heiraten und keine sexuelle Vereinigung haben werden. Wir erfahren dafür keinen spezifischen Grund; vielleicht wird es im Himmel nicht notwendig sein, sich fortzupflanzen.128 Alles, was wir über „Essen und Trinken“ sagen können, ist, dass wir es vielleicht tun können werden, aber keine Notwendigkeit dafür zu bestehen scheint.129

      Die Neuen Himmel und die Neue Erde

Der Herr verheißt uns ausdrücklich, dass er „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ erschaffen will, wo Er Sein Volk durch Seine Gegenwart mit unvorstellbarer Herrlichkeit und unvorstellbarem Reichtum segnen wird (Jes 65:17, 66:22; 2.Pe 3:13; Off 21:1). Dort werden alle, die Gott Liebe bezeugt haben, für immer und in ungebrochener Gemeinschaft mit Ihm leben. Es ist das Sehnen des Vaters, uns durch Seine Gegenwart zu segnen, ja, genau aus diesem Grund hat er uns erlöst (vgl. Eph 2:6-7).

So wird es kein Geschrei und kein Leid mehr geben, noch Tod oder Schmerz, denn das Ende der alten Ordnung unter der Sünde wird endgültig besiegelt sein. In Erfüllung von Gottes tiefstem Sehnen „wird Er unser Gott sein und wir werden Sein Volk sein“. Durch das Kreuz Christi hat der Vater den Sieg errungen und uns für Seinen Hof gewonnen und in Seine Herrschaft hineingeführt, die keine Grenzen und keine Opposition kennt. Für immer werden wir mit ihm in den Neuen Himmeln und der Neuen Erde herrschen (Off 5:10).

Also geht aus der Schrift ziemlich eindeutig hervor, dass die Neuen Himmel und die Neue Erde einen Ort im physikalischen Sinne darstellen, einen Ort, an dem wir Gott Liebe erweisen und ihm dienen werden. Die Tatsache, dass Jesus jetzt in seinem Auferstehungsleib dort ist und dass auch wir eines Tages Auferstehungsleiber erhalten werden, die uns tauglich für Gottes Gegenwart machen, weist offensichtlich darauf hin, dass „die Neuen Himmel und die Neue Erde“ nicht nur eine spirituelle Realität oder spirituelle Seinsweise bezeichnen (wenngleich diese natürlich darin enthalten sind), sondern auch eine physikalische Realität. Der verherrlichte Jesus wohnt jetzt im Himmel zur Rechten Gottes (Apg 1:11, 7:55-56).

Dass die physikalische Schöpfung erneuert werden wird, lehren mehrere Textstellen. Der Apostel Petrus spricht von einem neuen Himmel und einer neuen Erde:

2.Pe 3:10 Doch der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb; und wenn er kommt, werden die Himmel mit schrecklichem Lärm vergehen und die Himmelskörper in einem Flammenmeer dahinschmelzen, und die Erde und alle auf ihr verübten Taten werden bloßgelegt werden. 3:11 Da alle Dinge so dahinschmelzen werden, was für Menschen müssen wir sein und unser Leben in Heiligkeit und Frömmigkeit führen, 3:12 während wir auf die Ankunft des Tages Gottes warten und seiner harren? An diesem Tage werden die Himmel im Feuer aufgelöst werden und die Himmelskörper werden in einem Flammenmeer dahinschmelzen! 3:13 Doch gemäß seiner Verheißung erwarten wir neue Himmel und eine neue Erde, in denen wahrlich die Gerechtigkeit wohnt

Auch Paulus spricht in Römer 8:18-25 im Großen und Ganzen über dieselbe Hoffnung:

8:18 Denn ich halte dafür, dass unser gegenwärtiges Leiden nichts bedeutet im Vergleich zu der Herrlichkeit, die uns offenbart werden wird. 8:19 Denn die Schöpfung harret sehnsüchtig auf die Offenbarung der Söhne Gottes. 8:20 Denn die Schöpfung wurde der Nichtigkeit unterworfen – ohne ihren Willen, sondern durch Gott, der sie unterwarf – in der Hoffnung, 8:21 dass die Schöpfung selbst befreit werde aus den Banden der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 8:22 Wir wissen ja, dass die ganze Schöpfung zusammen stöhnt und leidet bis heute. 8:23 Und nicht nur sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlingsfrucht des Geistes haben, stöhnen innerlich, während wir sehnlich auf unsere Kindschaft warten, auf die Auslösung unserer Leiber. 8:24 Denn in dieser Hoffnung wurden wir gerettet. Nun ist das Erhoffte, das man sieht, keine Hoffnung, denn wer hofft auf das, was vor seinen Augen liegt? 8:25 Doch wenn wir auf das hoffen, was wir nicht sehen, warten wir darauf sehnsüchtig und mit Ausdauer.

Achten Sie in Römer 8 darauf, dass „die ganze Schöpfung“ zwar jetzt (das heißt, zwischen der Errichtung des Reiches beim ersten Kommen Christi und seiner Vollendung bei Seiner Wiederkunft) noch „stöhnt“, doch zukünftig aus ihrer Vergänglichkeit (durch die Sünde) befreit werden wird – ein Ereignis, das eng mit der Erlösung unserer Leiber verbunden ist.

In christlichen Kreisen herrscht Uneinigkeit darüber, ob die gegenwärtige Schöpfung vollständig abgeschafft (und durch eine neue Schöpfung ersetzt) oder von Gott erneuert und vervollkommnet werden wird. Es gibt Schriftstellen, die auf eine vollständige Abschaffung alldessen hindeuten, was gegenwärtig existiert (z.B. 2.Pe 3:10; Off 20:11, 21:1), und andere, die von einer Erneuerung dessen sprechen, was gegenwärtig existiert (z.B. Mat 19:28). Aber die Beantwortung dieser Frage ist eigentlich nicht wirklich wichtig. Man kann die Schöpfung unserer gegenwärtigen Zeit hochachten, egal welche der beiden Ansichten man vertritt. Wichtig ist dagegen, dass die Schöpfung auf die eine oder andere Weise verändert und neu und tauglich für die Ewigkeit gemacht werden wird. Sie wird den absolut geeigneten Ort für die Gerechtigkeit und für die erlösten Menschen darstellen, die dort dem König der Könige mit Treue, Klugheit und Liebe Anbetung und Dienst darbringen!

Dies ist vielleicht ein passender Abschluss, einer, der unseren Blick auf die ewige Wirklichkeit und die Freuden der Liebe zu Gott richtet. Es ist meine Überzeugung, dass es eigentlich Gottes großartige Herrlichkeit ist, die uns zu ihm hinzieht. Wir schauen die zukünftige Ewigkeit durch den Spiegel einer Stadt, die den Glanz von Jaspis, Türen aus herrlichen Perlen und ein Fundament aus bunten Edelsteinen aller Art besitzt. Und das Licht, das auf diese Stadt fällt, ist, wie Sie wissen, nicht das Licht der Sonne oder des Mondes, sondern das des Herrn und seines Lamms! Wodurch sich diese Stadt grundlegend auszeichnet, ist Gottes Gegenwart und also das Leben. Und dieses Leben spiegelt sich wider in dem Fluss, der unaufhörlich vom Thron Gottes herabfließt, und in den zwei Bäumen des Lebens, die ewige Heilung für die Völker darbieten. Diese Beschreibung ist, wie der Engel sagt, glaubhaft und wahr. Sie stellt die große Hoffnung eines jeden Christen und den gewissen Sieg Gottes dar (vg.. Off 21-22)!


56 Gordon R. Lewis und Bruce A. Demarest, Integrative Theology [Integrative Theologie] (Grand Rapids: Zondervan, 1994), 3: 455.

57 Das bedeutet nicht, dass der Mensch allein von Natur aus auf jeden Fall unsterblich gewesen wäre, sondern vielmehr, dass er durch die Teilhabe am Baum des Lebens die Möglichkeit gehabt hätte, für immer zu leben. Sein Ungehorsam und das Aufkommen der Sünde aber verwehrten ihm das (jedenfalls ohne die Versöhnung durch Christus).

58 Siehe Erickson, Christian Theology [Christliche Theologie], S. 1170-1172.

59 Luther lehrte, dass der Glaubende nicht im Fegefeuer sei, sondern in den Armen Christi sicher bis zum jüngsten Tag schlafe. Allgemein wird der Seelenschlaf allerdings eher mit Gruppierungen wie den Siebenten-Tags-Adventisten oder den Zeugen Jehovas in Verbindung gebracht.

60 Siehe Lewis und Demarest, Integrative Theology [Integrative Theologie] 3: 473-474. Bezüglich der Interpretation der Episode in Lukas 16, siehe Craig L. Blomberg, Interpreting the Parables [Interpretation der Gleichnisse], (Downers Grove, IL: InterVarsity, 1990), S. 203-208.

61 Das trifft unabhängig davon zu, ob man Vers 24:29 wörtlich nimmt – wie er recht wahrscheinlich gemeint ist – oder bildlich versteht.

62 Es scheint, dass Lukas hier das Jahr 70 n.Chr. im Blick hat (21:20-24), aber ebenso einleuchtend erscheint es, dass die Verse 21:27,35 auch auf das große Eschaton schauen. Was 70 n.Chr. geschah, könnte sich also, nur in noch viel größerem Ausmaß, wiederholen.

63 Wir wollen damit nicht behaupten, dass die biblische Lehre besagt: Er wird jeden Moment zurückkehren. Die Aussage, dass Christus jeden Moment zurückkehren wird, ist falsch, sie wird durch die Schrift nicht gelehrt und stellt einen Irrtum dar, dem viele Evangelikalen verfallen sind.

64 Berkhof, Systematic Theology [Systematische Theologie], S. 695-703.

65 Grudem, Systematic Theology [Systematische Theologie], S. 1095-1105.

66 Diesen Standpunkt bezieht Wayne Grudem in Systematic Theology [Systematische Theologie], S. 1101.

67 So z.B. George E. Ladd, The Blessed Hope [Gesegnete Hoffnung], (Grand Rapids: Eerdmans, 1956), S. 91. Siehe auch Mat 25:6 und Apg 28:15-16.

68 Für ein besseres Verständnis dieses Themas kann man unter anderem die folgenden guten Quellen heranziehen: R.G. Clouse, “Rapture of the Church” [„Die Entrückung der Kirche“] in Evangelical Dictionary of Theology [Evangelikales theologisches Wörterbuch], Hrsg. Walter A. Elwell (Grand Rapids: Baker, 1984), S. 908-910; Three Views of the Rapture; Pre-, Mid-, or Post-Tribulational? [Drei Ansichten über die Entrückung: prä-, mitt- oder posttribulatorisch?] Counterpoints (Grand Rapids: Zondervan, 1996); Lewis und Demarest, Integrative Theology [Integrative Theologie], S. 369-442.

69 Kenneth L. Gentry, “Postmillennialism” [„Postmilleniarismus“], in: Three Views on the Millennium and Beyond [Drei Ansichten über das Millennium und das, was danach kommt.], Hrsg. Darrell L. Bock (Grand Rapids: Zondervan, 1999), S. 13-14. Gentry hält an einem theonomischen Postmillenniarismus fest.

70 Gentry, “Postmillennialism” [Postmillenniarismus], S. 15. Er zitiert dort die Arbeiten von Donald G. Bloesch, Essentials of Evangelical Theology: Vol. 2: Life, Ministry, and Hope [Kernpunkte der evangelikalen Theologie. Bd. 2: Leben, Dienst und Hoffnung], (San Francisco: Harper and Row, 1979), S. 192, und von Philip Schaff, History of the Christian Church [Geschichte der christlichen Kirche], 5. Aufl. (Grand Rapids: Eerdmans, rep. n.d. [1910]), S. 2:591, vgl. auch S. 122.

71 Robert Gentrys oben zitierte Arbeit ist genau dafür ein gutes Beispiel.

72 Siehe Craig L. Blaising, “A Premillennial Response to Kenneth L. Gentry” [„Prämillenniaristische Erwiderung auf Kenneth L. Gentry“], in Three Views on the Millennium and Beyond [Drei Ansichten über das Millennium und das, was danach kommt.], Hrsg. Darrell L. Bock (Grand Rapids: Zondervan, 1999), S. 76-80; Wayne Grudem, Systematic Theology: An Introduction to Biblical Theology [Systematische Theologie: Eine Einführung in die biblische Theologie] (Grand Rapids: Zondervan, 1994), S. 1122-1127.

73 Siehe Robert Strimple, “An Amillennial Response to Kenneth L. Gentry, Jr.” [„Amillenniaristische Erwiderung auf Kenneth L. Gentry Jr.“] in Three Views on the Millennium and Beyond [Drei Ansichten über das Millennium und das, was danach kommt.], Hrsg. Darrell L. Bock (Grand Rapids: Zondervan, 1999), S. 63-66.

74 Blaising, „Prämillenniaristische Erwiderung“, S. 75.

75 Siehe Berkhov, Systematic Theology [Systematische Theologie], S. 709, bezüglich einer Diskussion von Irenäus’ eschatologischen Ansichten.

76 Siehe Donald K. Campbell und Jeffrey L. Townsend, Hrsg., The Case for Premillennialism: A New Consensus [Verteidigung des Prämillenniarismus: Ein neuer Konsens], (Chicago: Moody, 1992).

77 Ich sehe ein, dass hier mancher zweifellos sagen wird, ich hätte seine Argumente absichtlich schwach dargestellt: er wollte damit doch sagen, dass wir uns vielleicht besser überlegen sollten, ob eine Textstelle tatsächlich eine bestimmte Doktrin lehrt, wenn sie denn die einzige Stelle dafür ist. Das ist ein gutes Argument; aber dennoch bleibt das Problem bestehen, dass die Amillenniaristen oder Postmillenniaristen trotz vieler ernsthafter und inbrünstiger Versuche bisher noch keine schlüssige und geradlinige gegenteilige Auslegung von Offenbarung 20:4-6 vorgelegt haben.

78 Sie sahen allerdings die tausend Jahre als bereits vor ihrer Zeit vollendet und den Aufstieg des Papsttums als ein sicheres Zeichen des Endes an.

79 Lewis und Demarest, Integrative Theology [Integrative Theologie], S. 372.

80 Niemand vertritt die Auffassung, dass Satan buchstäblich mit einer Kette gebunden werden wird, als sei er ein körperliches Wesen. Was die Wissenschaftler meinen, ist vielmehr, dass Satan eine Zeitlang daran gehindert werden wird, die Menschen zu versuchen.

81 Sicher kann man „Nationen“ und „Könige“ in Offenbarung 21:24 als Metaphern ansehen; allerdings bietet sich dafür unmittelbar wohl kein guter Grund an. Und wenn es so wäre: Stellen sie dann einfach die königlichen Aspekte in der Ewigkeit dar? Wenn ja, warum dann die Erwähnung von „Nationen“?

82 Durch das einführende Wort „für“ verbindet Paulus 1:18-32 (und 1:18-3:20) eng mit 1:17. Der Abschnitt 1:18-3:20 will die Richtigkeit von 1:17 darlegen, dass nämlich alle Menschen der Gerechtigkeit Gottes bedürfen und dass ihnen diese nur durch den Glauben, nicht durch Werke, zuteil wird.

83 Es gibt allerdings keinen Grund anzunehmen, dass diese „Auslieferung“ unbedingt permanent ist. In der Bibel gibt es zahlreiche Aussagen darüber, dass der Zorn Gottes oftmals Heilung zum Ziel hatte (vgl. Richter). Anders ausgedrückt: Gott liefert Menschen aus, damit sie das Verderbnis ihrer Sünde erkennen und ihn um Rettung anrufen mögen. In den Evangelien sind oft diejenigen mit dem schlimmsten Lebenswandel die ersten, die zu Christus kommen (vgl. Joh 4), während diejenigen, die scheinbar moralisch lebten, an seinem Erlösungsangebot offenbar kein Interesse zeigten.

84 Basierend auf bestimmten Textelementen in Matthäus 25:31-46 vertraten einige Wissenschaftler (z.B. Karl Rahner) die Theorie vom so genannten „anonymen Christen“, der sich zwar nicht zum Christentum bekennt, jedoch gute Werke vollbringt und daher möglicherweise ohne es zu wissen ein Christ ist. Aber eine solche Doktrin kann unmöglich aus Matthäus 25 herausgelesen werden und bringt auch die übrige biblische Lehre zu diesem Thema durcheinander. Der „Fremde“ aus Vers 35 ist nicht Christus als einer, der dem gute Werke vollbringenden Menschen fremd ist, sondern vielmehr ein anderer Mensch, „ein Bruder Christi“, der dem, der ihm Essen, Kleidung und Unterkunft gibt, zufällig unbekannt ist. Kurz gesagt, „die Gerechten“ (Vers 37) kennen Christus, aber sie wussten nicht unbedingt, dass sie ihm direkt dienten, als sie einem Fremden dienten. Sie erkannten das erst, als der König es ihnen offenlegte (Vers 37-40).

85 Manche Verfasser wollten dies abstreiten, sind damit meiner Einschätzung nach aber eindeutig gescheitert. Siehe z.B. Craig Blomberg, “Degrees of Reward in the Kingdom of Heaven?” [Abgestufter Lohn im Himmelreich?] JETS 35 (Juni 1992): S.159-72. Blomberg gelingt es sehr gut, die ethischen Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem Konzept der Belohnung herauszuarbeiten; einige wichtige Texte, insbesondere 1.Ko 3:12-15, behandelt er dann aber in sehr wenig überzeugender Weise.

86 In diesem Abschnitt behandeln wir die biblische Doktrin von der Hölle, soweit sie die Position der Universalisten sowie zwei konservative Positionen, nämlich die bedingte Unsterblichkeit und den Traditionalismus, betrifft. Die katholische(n) Vorstellung(en) vom Fegefeuer wird hier nicht diskutiert.

87 Man darf allerdings zurecht fragen, ob sie die Schrift selbst in diesem Aspekt richtig verstehen, denn sie sprechen oft von Gottes Liebe, als handele es sich dabei um eine unpersönliche Kraft, die unterschiedslos und ohne Rücksicht auf die Freiheit des Menschen alles überzieht. Soweit das zutrifft, sind ihre Ansichten sicherlich unbiblisch.

88 Siehe N.F.S. Ferré, The Christian Understanding of God [Das christliche Verständnis von Gott], (New York: Harper, 1951), S. 228-229.

89 Mit der Frage, ob dies ewige Vernichtung oder ewige bewusst erlebte Strafe bedeutet, werden wir uns weiter unten befassen. An dieser Stelle wollen wir uns damit begnügen zu sagen, dass diese Texte eine universalistische Auslegung der Schrift verbieten.

90 Die Frage nach dem Wesen der Hölle und der ewigen Strafe werden wir weiter unten aufnehmen.

91 Beispielsweise argumentiert John Walvoords “Response to Clark H. Pinnock” [“Antwort auf Clark H. Pinnock”] in Four Views on Hell [Vier Ansichten über die Hölle], Hrsg. William Crockett (Grand Rapids: Zondervan, 1992), S. 167-168, dass “ eine bedingte Unsterblichkeit die Frage aufwirft, ob die Bibel tatsächlich jemals durch den Heiligen Geist inspiriert wurde und ihrem Wortlaut nach unfehlbar ist. … Die gängige Annahme, dass die Bibel falsche Vorstellungen über die ewige Strafe widerspiegelt, wie sie zu Beginn des ersten Jahrhunderts vorherrschten, setzt voraus, dass der Heilige Geist die Niederschriften nicht souverän geführt und die Schreiber nicht von Fehlern abgehalten hat. Die überwiegende Mehrheit derer, die an der bedingten Unsterblichkeit der Bösen festhalten, hält nichts von der Doktrin von der Unfehlbarkeit der Schrift.” Walvoords Kritik ist aber sicher fehlgeleitet und basiert auf der Verwechslung von Unfehlbarkeit und Exegese. In erster Linie handelt es sich hier um eine Frage der Exegese und nicht der Unfehlbarkeit; und weder Pinnock noch Crockett haben je Gottes Wort zu bloßer menschlicher Meinung degradiert, irgendwelche Textstellen von vornerherein ausgeschlossen oder versucht, die Schriften zu den Vorstellungen des ersten Jahrhunderts von der Hölle „hinzubiegen“. Ebenso gut könnten wir Jesus dessen bezichtigen, da seine Ansichten doch stellenweise mit großen Teilen des pharisäischen Judaismus übereinzustimmen scheinen.

Walvoords Kommentare dienen eigentlich nur dazu, die Wässer zu trüben und den Brunnen zu vergiften. Das realisieren die meisten der an dieser Debatte Beteiligten. Siehe Robert A Petersons Antwort auf Edward William Fudge in Fudge und Peterson, Two Views on Hell: A Biblical and Theological Dialogue [Zwei Ansichten über die Hölle: Ein biblischer und theologischer Dialog], (Downers Grove, IL: InterVarsity, 2000), S. 83-113, wo Peterson, ein Tradtionalist, Fudge, den Konditionalisten, auf verschiedenen Gebieten entschieden kritisiert, nicht aber im Hinblick auf die Unfehlbarkeit. Warum? Aus mindestens zwei Gründen: Erstens ist Fudge Evangelikale und erkennt die inspirierte Schrift an. Zweitens ist dieses Thema hier irrelevant. Es bekommt erst dann eine Bedeutung, wenn bestimmte Texte aus ihrem Rang als Gottes Wort zu bloßem Ausdruck menschlicher Meinung herabgewürdigt werden. Insofern aber die Diskussion innerhalb führender Evangelikalen – und diese kritisiert Walvoord – stattfindet, ist das ja nicht der Fall. Mit anderen Worten: Selbst wenn Peterson, Fudge, Pinnock und Crockett alle in der Lage wären, einen noch achtungsvolleren Standpunkt – sagen wir: den von Jesus selbst – der Schrift gegenüber einzunehmen, kämen sie der Klärung ihrer Streitfrage dadurch doch um nichts näher.

92 Dieser entscheidende Unterschied wird erkennbar, wenn Stott sagt: “Sie [David Edwards] sagen zurecht, dass ich niemals öffentlich gesagt habe, ob ich denke, dass die Hölle – außer dass sie wirklich, schrecklich und ewig sein wird – auch die Erfahrung unendlichen Leidens beinhalten wird“ (Hervorhebung von G.Herrick). Stotts Aussagen bringen den Kern der Debatte zwischen Traditionalisten und Konditionalisten auf den Punkt. Siehe David L Edwards und John Stott, Evangelical Essentials: A Liberal-Evangelical Dialogue [Kernpunkte des Evangelikalismus: Ein liberal-evangelikaler Dialog], (Downers Grove, IL: InterVarsity, 1988), S. 314.

93 David L Edwards und John Stott, Evangelical Essentials: A Liberal-Evangelical Dialogue [Kernpunkte des Evangelikalismus: Ein liberal-evangelikaler Dialog], (Downers Grove, IL: InterVarsity, 1988), S. 313.

94 “Annihilationalism” [“Annihilismus”], in: Studies in Theology [Theologische Studien], (New York: Oxford University Press, 1932), S. 447-457.

95 The Fire that Consumes: A Biblical and Historical Study of Final Punishment [Verzehrendes Feuer: Eine biblische und historische Untersuchung zur ewigen Strafe], (Fallbrook, CA: Verdict, 1982); Edward William Fudge und Robert A. Peterson, Two Views of Hell: A Biblical and Theological Dialogue [Zwei Ansichten über die Hölle: Ein biblischer und theologischer Dialog], (Downers Grove, IL: InterVarsity, 2000), S. 19-82, 182-208.

96 The Goodness of God [Der gute Gott], (Downers Grove, IL: InterVarsity, 1974), S. 34-41; idem, The Enigma of Evil: Can We Believe in the Goodness of God [Das Rätsel des Bösen: Kann man glauben, dass Gott gut ist?], (Grand Rapids: Zondervan, 1985), S. 27-41.

97 I Believe in the Second Coming of Jesus [Ich glaube an die Wiederkunft Jesu], (Grand Rapids: Eerdmans, 1982), S. 198.

98 The True Image: The Origin and Destiny of Man in Christ [Das wahre Abbild: Ursprung und Schicksal des Menschen in Christus], (Grand Rapids: Eerdmans, 1989), S. 398-407; Reprint in “Conditional Immortality” [“Bedingte Unsterblichkeit”], Evangel 10/2 (Sommer 1992): S. 10-12.

99 “The Conditional View” [“Die Ansicht des Konditionalismus”], in: Four Views on Hell [Vier Ansichten über die Hölle], Hrsg. William Crockett (Grand Rapids: Zondervan, 1992), S. 135-166; idem, “The Destruction of the Finally Impenitent” [“Die Vernichtung der anhaltend Unbußfertigen”], CTR 4.2 (1990):S. 243-259.

100 Evangelism through the Local Church [Evangelisation durch die Gemeinde vor Ort], (Nashville, TN: Oliver Nelson, 1992), S. 72-73.

101 David L Edwards und John Stott, Evangelical Essentials: A Liberal-Evangelical Dialogue [Kernpunkte des Evangelikalismus: Ein liberal-evangelikaler Dialog], (Downers Grove, IL: InterVarsity, 1988), S. 312-329.

102 Vgl. Matthäus 2:13, 10:28. Hier bedeutet apollumi “umbringen” bzw. “töten”.

103 Eine kurze Abhandlung über die Unterschiede zwischen Aktiv-/Passivform und transitiver/intransitiver Form findet sich in Wallace, Exegetical Syntax [Exegese und Syntax], S. 409.

104 Stott, Essentials [Kernpunkte...], S. 315.

105 Stott, Essentials [Kernpunkte...], S. 315-316.

106 Tatsächlich sollte man ernsthaft infrage stellen, ob der Begriff – der 90mal im NT gebraucht wird – je das Ende des Seins bedeutet. In einigen wenigen Fällen (z.B. Johannes 6:12 – die gebrochenen Brotlaibe) könnte es wohl impliziert sein, aber selbst in diesen Fällen steht das keineswegs eindeutig fest.

107 Vgl. Roger Nicole, “Annihilationism” [“Annihilismus”], in: Evangelical Dictionary of Theology [Evangelikales theologisches Wörterbuch], Hrsg. Walter A. Elwell (Grand Rapids: Baker, 1984), S. 50, wo gesagt wird: Der “spirituelle” oder “zweite Tod” (Off 20:14, 21:8) bedeutet nicht, dass die Seele oder Persönlichkeit in das Nichtsein entweicht, sondern vielmehr, dass sie endgültig und unwiderruflich der Gegenwart und Gemeinschaft Gottes beraubt wird, die das Hauptziel des Menschen und die wesentliche Voraussetzung für eine lohnenswerte Existenz darstellt. Ihrer beraubt zu sein, bedeutet unterzugehen, zu äußerster Bedeutungslosigkeit herabgesetzt zu werden, in abgrundtiefe Sinnlosigkeit zu fallen” (kursive Hervorhebung durch G. Herrick).

108 Wir möchten den Leser anhalten, sich die NT Erwähnungen des Begriffs apo„leia anzusehen: Mat 7:13, 26:8; Mar 14:4; Joh 17:12; Apg 8:20; Rö 9:22; Php 1:28, 3:19; 2.Th 2:3; 1.Ti 6:9; Heb 10:39; 2.Pe 2:1,3, 3:7,16; Off 17:8,11. Nichts an diesen Erwähnungen weist zwingend darauf hin, dass “apoleia“ die „Beendingung des Seins“ bedeutet. Und andererseits unterstreichen Texte wie Matthäus 26:8, Markus 14:4, Offenbarung 17:8 und 11, dass die Beendigung des Seins nicht die grundlegendste Bedeutung dieses Begriffes darstellt.

109 Pinnock, Four Views [Vier Ansichten...], S. 146.

110 So Walvoord in “The Literal View” [“Wörtlich genommen”] in Four Views on Hell [Vier Ansichten über die Hölle], Hrsg. William Crockett (Grand Rapids: Zondervan, 1992), S. 28.

111 Stott, Essentials [Kernpunkte...], S. 316.

112 Vgl. D.A. Carson, The Gagging of God: Christianity Confronts Pluralism [Die Knebelung Gottes: Das Christentum stellt den Pluralismus zur Rede] (Grand Rapids: Zondervan, 1996)

113 Auch hier beruht mein Argument auf der Unendlichkeit, die “ihr Wurm stirbt nicht” impliziert. Natürlich ist das anfechtbar, doch es stellt die einfachste und unumwundenste Auslegung für diesen Text und Markus’ Zitat von Jesaja 66:24 dar. Damit werden wir uns im Folgenden noch beschäftigen.

114 Vgl. William L. Lane, The Gospel of Luke [Das Lukasevangelium], The New International Commentary on the New Testament [Neuer internationaler Kommentar zum Neuen Testament], Hrsg. F.F. Bruce (Grand Rapids: Eerdmans, 1974), S. 349, Fn., S. 81.

115 Fudge, The Fire that Consumes [Verzehrendes Feuer], S. 51-64. Pinnock, “The Conditional View” [“Die Ansicht der Konditionalisten”], S. 147, Fn. 25, bezeichnet eben dieses Argument als den Kern von Philip Hughes Werk The True Image [Das wahre Abbild], Kap. 37. In derselben Fußnote sagt Pinnock auch, dass F.F. Bruce, der Herausgeber von Edward Fudges Buch, “sich im Vorwort dazu zum Konditionalismus bekennt”. Das bedeutet aber nicht, dass Bruce die bedingte Unsterblichkeit vertritt. Tatsächlich streitet er explizit seine Zugehörigkeit zu irgendeiner bestimmten Ansicht ab und lehnt es ab, seine Gedanken zu diesem Thema in ein System zu fassen. Auch hier sollte der Leser wieder daran denken, dass die traditionalistische Ansicht nicht von einer inhärenten Unsterblichkeit ausgeht.

116 Siehe Stott, Essentials [Kernpunkte...], S. 316.

117 Wir haben im Verlauf der Geschichte die Religionen diesen Fehlschluss im Umgang mit den Schriften über das Evangelium so oft begehen sehen, dass wir als Evangelikale eigentlich etwas daraus gelernt haben sollten.

118 Siehe Millard J. Erickson, How Shall They Be Saved: The Destiny of Those Who Do Not Hear of Jesus [Wie sollen sie gerettet werden? Das Schicksal derer, die nicht von Jesus gehört haben], (Grand Rapids: Baker, 1996), S. 226-227, wo er dieses philosophische Thema diskutiert.

119 Pinnock, “The Conditional View” [“Die Ansicht des Konditionalismus”], S. 149-151.

120 D.A. Carson weist in The Gagging of God: Christianity Confronts Pluralism [Die Knebelung Gottes: Das Christentum stellt den Pluralismus zur Rede], (Grand Rapids: Zondervan, 1996), S. 529-530, zurecht darauf hin, dass “man beträchtliche Geduld braucht, um Pinnock wohlwollend dabei zuzuhören, wie er um tolerantes Verständnis für seine eigene Sichtweise bittet und gleichzeitig in seiner überladenen Prosa jeden als Sadisten ohne jegliche menschliche Güte verdammt, der nicht seiner Ansicht ist”. Pinnock muss sich darüber im Klaren sein, dass er gegen viele der Heiligen Gottes spricht, wenn er so argumentiert, denn viele fromme Menschen haben in der Vergangenheit traditionalistische Sichtweisen vertreten. Und auch darüber, dass sich seine Anklage, wenn die traditionalistische Sichtweise richtig ist, im Grunde gegen Gott selbst richtet. Im Gegensatz dazu verhält sich John Stott selbst weiser, indem er sich vorsichtig über die bedingte Unsterblichkeit äußert.

121 Siehe Erickson, How Shall They Be Saved [Wie sollen sie gerettet werden?], S. 227. Erickson sagt auch, dass “Pinnock, Stott und andere eine sentimentale Version [von Gottes Liebe] entwerfen, in der Gott niemals etwas tun würde, was irgendjemandem Schmerzen, Unbehagen oder Unbequemlichkeit verursacht“. Während Erickson wohl Recht hat, wenn er eine weiche und unbiblische Auffassung von der Liebe Gottes in Stott und Pinnock am Werke sieht – wobei Pinnock jeden derartigen Vorwurf unnachgiebig zurückweist –, geht er doch zu weit darin, dass deren Gott nichts tun würde, was „Schmerzen, Unbehagen oder Unbequemlichkeit verursacht“. Das stimmt nicht, denn sowohl Stott als auch Pinnock vertreten zumindest ein gewisses Ausmaß an bewusst erlebter Strafe (jedenfalls während des Zwischenzustandes, vgl. Luk 16:23-24), nur eben keine ewig währende, bewusst erlebte Strafe. Siehe auch Packer, “Evangelicals and the Way of Salvation: New Challenges to the Gospel—Universalism and Justification by Faith” [„Die Evangelikalen und der Weg zur Erlösung: Neue Herausforderungen für das Evangelium – Universalismus und die Rechtfertigung durch den Glauben“], in: Evangelical Affirmations [Evangelikale Affirmativen], Hrsg. Kenneth S. Kantzer und Carl F.H. Henry (Grand Rapids: Zondervan, 1990), S. 126.

122 Siehe Stott, Essentials [Kernpunkte...], S. 318.

123 Stott, Essentials [Kernpunkte...], S. 319.

124 Carson, Gagging of God [Die Knebelung Gottes], S. 533.

125 Philip Edgcumbe Hughes, “Conditional Immortality” [“Bedingte Unsterblichkeit”], Evangel 10/2 (Sommer 1992): S. 11.

126 Packer, “The Problem of Eternal Punishment” [“Das Problem der ewigen Strafe”], S. 18.

127 Siehe Kendall S. Harmon, “The Case against Conditionalism” [“Streitsache Konditionalismus”], in: Universalism and the Doctrine of Hell [Der Universalismus und die Doktrin von der Hölle], Hrsg. Nigel M. de S. Cameron (Grand Rapids: Baker, 1992), S. 113-115.

128 Wir sollten uns vorsehen, Jesu Aussage über die Entsprechung zwischen den Engeln und uns nicht überzuinterpretieren. Wir sollten uns dabei auf das hier diskutierte Thema der Heirat und ihre offensichtlichen Auswirkungen für eine sexuelle Vereinigung beschränken.

129 Es stimmt zwar, dass Jesus selbst nach seiner Auferstehung aß; doch scheint es wenig einleuchtend anzunehmen, dass er das brauchte, sondern eher wahrscheinlich, dass er es zu diesem Zeitpunkt zur Gesellschaft für seine Jünger tat (vg. Luk 24:43). Wenn andererseits in Offenbarung 22:2 die Blätter am Baum des Lebens, die gegessen werden sollen, wörtlich zu nehmen sind, dann muss Essen vielleicht doch ein dauerhaftes Merkmal des himmlischen Lebens sein, da dieses Essen zur Heilung der Völker dient. Dafür aber müsste man dieses Bild so drastisch wörtlich nehmen, wie es durch den Text selbst nicht gerechtfertigt wird. Am besten versteht man (nach der Meinung der meisten Kommentare) diesen Vers symbolisch als einen Bezug auf die fortwährende Gesundheit und Segnung aller Menschen im Neuen Jerusalem. Siehe auch Grudem, der in Systematic Theology [Systematische Theologie], S. 1161-1162, die Erwähnung unseres Essens und Trinkens beim Hochzeitsmahl mit dem Lamm (Off 19:9) wörtlich nimmt. Erickson, Christian Theology [Christliche Theologie], S. 1232, sieht diese Dinge dagegen eher symbolisch. In Anbetracht der Begrenztheit der Sprache und der Knappheit der angegebenen Details ist es wohl am besten, diese Sachverhalte im Detail nicht zu dogmatisch zu betrachten.

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