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1. Bibliologie: Die Bibel

Der Begriff Bibliologie (von griechisch biblos, „Buch“) bezieht sich auf die Lehre von der Natur der Bibel als Offenbarung. Häufige Themen dabei sind Offenbarung, Inspiration, Unfehlbarkeit, Kanonizität, Erleuchtung oder Auslegung.

Offenbarung

Wir benutzen den Begriff Offenbarung als Übersetzung des griechischen Begriffs ajpokavluyi, apokalypsis, der „aufdecken“, „enthüllen“ bedeutet. Biblisch gesprochen beschreibt Offenbarung, dass und wie Gott sich den Menschen und den Engeln bekannt macht. Er tat das durch Wunder, Visionen, Träume, Theophanien, Eingriffe seiner Vorhersehung in die Geschichte, durch das Gewissen, Jesus Christus und die Heilige Schrift. Theologen sprechen von der allgemeinen Offenbarung durch die Natur (d.h. die geschaffene Ordnung), das Gewissen und die durch Vorsehung ausgestaltete Geschichte und von der spezifischen oder besonderen Offenbarung, die hauptsächlich in Christus und in der Heiligen Schrift geschah (Ps 19:1-6; Rö 1:18-20, 2:14-16; Apg 17.24-34; Joh 1:14-18). Die allgemeine Offenbarung ist also für alle Menschen und zu allen Zeiten verfügbar. Sie alleine kann zwar nicht zur Erlösung führen, ist aber dennoch wesentlich und vorbereitend für die besondere Offenbarung.2

Inspiration

Inspiration – vom lateinischen Begriff spiro abgeleitet – bezeichnet als theologischer Ausdruck das Wachen Gottes über die menschlichen Verfasser der Heiligen Schrift, so dass das, was sie schrieben gleichzeitig ihre eigenen Worte wie auch das Wort Gottes selbst wurden: Gott „atmete“ seine Worte in die Worte seiner Sprecher (indem er sich ihres Geistes und ihrer Persönlichkeit bediente). So bewahrte Gott durch vom Geist inspirierte Schriften eine historische / theologische Aufzeichnung seiner Worte und Taten und gab sie seinem Bundesvolk als Ausdruck seiner Gnade, damit es ihm vollständig vertrauen und damit auch gehorchen könnte. Aufgrund unserer Sündigkeit und Endlichkeit bedürfen wir solcher göttlichen Führung und Weisheit; und die Schrift wurde zu diesem Zweck inspiriert.

Inspiration beschränkt sich jedoch nicht auf rein mechanisches Diktieren (als mechanisch kann man ohnehin eigentlich nur sehr wenig davon bezeichnen), wie wir es zum Beispiel beim Empfang der Zehn Gebote (oder in den Briefen an die Gemeinden in Offenbarung 2–3) finden, sondern sie geschah vielmehr in den verschiedensten Situationen und involvierte den Schreiber als ganzen Menschen (seinen Geist, seine Emotionen, seinen Willen etc.) in seiner jeweils eigenen Lebenssituation (linguistisch, religiös, politisch, wirtschaftlich etc.). Das Endprodukt aber war immer Gottes Wort an den Menschen durch den Menschen (2.Tim 3:16; 2.Pe 1:20-21) mit „vollem Gewicht und Autorität“. Vom technischen Standpunkt her betrifft die Inspiration die Urschriften (nicht Abschriften oder Übersetzungen).

Manche Theologen sprechen von der wörtlichen (sich bis hin zu den einzelnen Worten und nicht nur auf die Konzepte erstreckenden) und umfassenden (sich auf die gesamte Bibel, nicht nur auf die unmittelbar mit Aspekten des Glaubens und der Ausübung der Religion befassten Teile erstreckenden) Inspiration. Eine solche Auffassung entspricht unserer Meinung nach (1) am besten der Sichtweise der alttestamentarischen Schreiber und der Propheten, wie auch der von Christus selbst und seinen Jüngern, und (2) gibt sie die historische Position / Auffassung der Kirche zu diesem Thema am besten wieder. Seit der Aufklärung in Frankreich und Deutschland (im 17./18. Jahrhundert) ist es jedoch Mode geworden, die wörtliche, umfassende Inspiration der Heiligen Schrift zu bestreiten; und zwar unter Hinweis auf offensichtliche historische Ungenauigkeiten und mit philosophischen Einwänden, die sich insbesondere auf die Existenz und das Wesen Gottes und auf die Beschränkungen der Sprache beziehen. Aus solchen Standpunkten kann man einerseits viel lernen; ihr Vorurteil gegen das Übernatürliche können wir andererseits getrost beiseite legen, da es unbegründet ist und im Widerspruch zur Lehre Jesu steht, der selbst mit Nachdruck die vollständige und vorbehaltlose Glaubwürdigkeit der Schriften vertrat (z.B. Mat 5:17-20).3

Unfehlbarkeit

Unfehlbarkeit wird nicht immer richtig definiert; sie ist jedoch eine logische Folge der Inspiration und schmälert in keiner Weise die menschliche Urheberschaft der Heiligen Schrift. Wenn die Verfasser der Schrift diese tatsächlich unter dem übernatürlichen Einfluss und der Führung des Heiligen Geistes niederschrieben (wie ja ausreichend bestätigt wird), dann ist das, was sie schrieben und aussagten, in jeder Hinsicht wahr, da Gott selbst wahr ist. Damit gilt die Unfehlbarkeit für die Urschriften und für griechische, hebräische und aramäische Abschriften, soweit sie die Urschrift getreu wiedergeben. Die kirchliche Lehre sagt zu Recht, dass die Schriften in allen ihren Aussagen (wenn sie richtig interpretiert werden) ohne Irrtum sind, gleich ob sie sich auf geographische, historische oder theologische Dinge beziehen. Damit stellen die Schriften die letztgültige Autorität in Fragen des Glaubens und der Religionsausübung dar und haben Vorrang vor Tradition, Kultur und Glaubensbekenntnis. Diese Doktrin lässt auch unterschiedliche literarische Stile, schlechte Grammatik, ungefähre Zahlenwerte etc. zu (Psalm 119).4

Kanonizität

Die sechzig Bücher der Heiligen Schrift bilden den protestantischen Schriften-Kanon, insofern als sie Gottes Regelwerk für Glauben und Lebensführung darstellen. Der Vorgang der Kanonisierung beinhaltet, dass die Kirche den göttlichen Ursprung und die göttliche Autorität der sechzig Bücher der Schrift anerkennt. Sie, als die Gemeinschaft der Erlösten, gebildet aus all denen, die aufrichtig an Jesus Christus glauben, ist für diese Aufgabe qualifiziert. Es muss jedoch festgehalten werden, dass sie nicht bestimmte, welche Bücher zum Kanon gehörten, sondern nur diejenigen Bücher erkannte, die kanonisch waren – die Schriften sind aus sich selbst heraus authentisch. Das Alte Testament erhielt sie, pauschal gesagt, als die autoritative Bibel ihres Herrn und seiner Apostel, d.h. als die prophetische Botschaft Gottes, die nunmehr in und durch Christus erfüllt worden war. Im Falle des Neuen Testamentes erkannte die Kirche durch Prüfung auf beispielsweise Apostolizität (war es von einem Apostel geschrieben oder authentifiziert worden?), Universalität (wurde es weithin gelesen und akzeptiert?) und Wesensart (in genügendem Maße geistlich; auf Frömmigkeit ausgerichtet; Lehrinhalt mit anderen Aposteln übereinstimmend), welche Bücher „vom Herrn“ waren und welche nicht. Dieser Prozess war allerdings am Ende des ersten Jahrhunderts noch keineswegs abgeschlossen. Im Jahr 367 n.Chr. finden wir im 39. Osterbrief von Athanasius eine Liste der 27 Bücher des NT, wie wir sie heute haben. Diese Liste wurde von den Kirchen östlich des Mittelmeeres akzeptiert, während die Kirchen im Westen die gleiche Liste erst etwa 30 Jahre später, beim Konzil von Karthago, annahmen.5

Zweifellos gibt es viele Gründe, die die frühen Christen dazu veranlassten, das von den Aposteln Geschriebene aufzubewahren. Zwei der wesentlichen waren, in negativer Hinsicht, wohl das Dahinscheiden der Apostel und die Entwicklung von Häresien (z.B. durch Marcion) und Auseinandersetzungen über die Lehre. Auch die Verfolgung durch Diokletian (303-311 n.Chr.), bei der Christen gemartert, ihr Eigentum genommen und ihre heiligen Bücher verbrannt wurden, trug zweifellos dazu bei, dass die Kirche den Prozess der Anerkennung der heiligen (d.h. inspirierten) Bücher beschleunigte; denn im Hinblick darauf, dass der Staat möglicherweise weiterhin versuchen würde, den Glauben zu vernichten, entstand die Notwendigkeit zu wissen, welche Bücher zu kopieren und zu erhalten waren.

Der Umfang des Schriftenkanons wurde seit der Hinzufügung der Apokryphen auf dem Konzil von Trient (1545-1563 n.Chr.) zwischen Protestanten und Katholiken unterschiedlich beurteilt. Jeder, der diese Bücher gelesen hat, wird sie – wie große christliche Literatur – geistlich anregend finden, aber sie sollten nicht als gleichwertig zu den 66 Büchern betrachtet werden. Diese Tatsache wird selbst von der katholischen Kirche anerkannt, die sie als deuterokanonisch bezeichnet.

Erleuchtung

Erleuchtung bezeichnet das Wirken des Heiligen Geistes in einem Gläubigen bzw. in der Gemeinschaft der Gläubigen, durch das er/sie in die Lage versetzt wird, die in der Schrift enthaltene Wahrheit zu verstehen, anzunehmen und anzuwenden (vgl. 1.Kor 2:9-14).6 Unser Teil besteht darin, dass wir uns an zuverlässige Auslegungstechniken halten, die in Übereinstimmung mit dem Wesen der Schrift und mit allgemein akzeptierten Grundsätzen für die Interpretation schriftlicher Mitteilungen stehen. Darüber hinaus müssen wir durch den Glauben an Christus in die Praxis umsetzen, was uns die Schriften lehren, damit wir nicht durch Anhäufung von Unwissenheit blind werden (Jak 1:21-22) und unser Verständnis der geistigen Wirklichkeit trübe wird. Auf diese Weise nimmt die Erleuchtung zu und wir erfassen die Wahrheit immer stärker (oder sie vielleicht uns!). Siehe auch den folgenden Abschnitt mit dem Titel „Auslegung“.

Auslegung

Wo die Erleuchtung das Werk des Geistes ist, um dem Gläubigen bei Verständnis und Umsetzung der Schrift zu helfen, ist die Auslegung im weiteren Sinne die durchdenkende Methode, die wir selbst für dieses Bestreben einsetzen sollten. Auslegung setzt also drei Dinge voraus: (1) eine demütige Annäherung an die Schrift, im Bewusstsein meiner Voreingenommenheit, meiner Herkunft und meiner kulturellen Beeinflussung, um die Schlagkraft der Schrift nicht zu dämpfen oder zu verzerren (sondern ihr vielmehr zu gestatten, dass sie ihre Spuren auf mir hinterlässt); (2) zu verstehen, was der Verfasser meinte, als er das und das schrieb, und (3) zu verstehen, was es bedeutet, d.h. wie es sich auf unser heutiges Leben anwenden lässt. Im ersten Schritt sind wir also daran interessiert, uns bewusst zu machen, welchen Einfluss unsere Kultur und Traditionen und unsere bisherige Bekanntschaft mit der Schrift auf uns haben. Im zweiten Schritt wollen wir dann die grammatisch-historische Bedeutung einer Textstelle der Schrift erfassen. Um das zu erreichen, untersuchen wir die Worte eines Textes in ihrem historischen Zusammenhang, die literarische Struktur einer Textstelle, ihre Stimmung und um welche Art (welches Genre) von Literatur es sich handelt. Damit verbunden ist der Vergleich von Schrift und Schrift (z.B. indem man das Unklare mithilfe des Eindeutigen interpretiert) und letztendlich der Vergleich einer Schriftstelle mit der biblischen Lehre als Ganzes. Auf diese Weise – und durch das erleuchtende Wirken des Geistes – bekommt die Kirche schließlich den Sinn und die bleibende Bedeutung der Schrift in den Griff.

Aber das ist erst die halbe Miete. Moses schrieb das Buch Deuteronomium nicht und Paulus brachte den Philipperbrief nicht zu Papier, nur um (zwischen den zwei Ohren der Leser) verstanden zu werden. Vielmehr schrieben sie, um Gottes Willen zu bewahren und um andere Gläubige darin zu unterrichten, zu führen und anzuleiten. Kurz gesagt, fordert ihre Schiften eine Antwort – und das setzt voraus, dass ich die Bibel zunächst einmal zu mir sprechen lasse, mich überzeugen, belehren und anspornen und mir den Weg von ihr zeigen lasse. Ich muss meine Voreingenommenheiten und meine Lebensmuster vor diese Textstelle bringen und durch sie beurteilen und begradigen lassen. Dann muss ich zulassen, dass die Schrift – als die Stimme Gottes selbst – zu meiner ganzen Gesellschaft spricht und zu dem größeren Weltenkontext, in dem ich lebe. Die Herrschaft Christi erstreckt sich auf das gesamte Universum! Und wir müssen immer daran denken, dass sein Wort einer der Hauptwege ist, auf denen er seine auf Gnade ausgerichtete königliche Herrschaft über uns zum Ausdruck bringt.7


2 Die objektive Offenbarung Gottes durch die Natur, die Geschichte und das Gewissen (die menschliche Natur) wurde nicht durch den Sündenfall des Menschen ausgelöscht (s. Ps 19:1-6; Rö 2:14-15, Apg 17:26-27), aber sie wird durch Unterdrückung und absichtliche Missachtung ernstlich entstellt (Rö 1:18-20).

3 Eine Diskussion zu diesem Themas gibt Ronald Nash, The Word of God and the Mind of Man [Das Wort Gottes und der Geist des Menschen] (Phillipsburg, NJ: Presbyterian and Reformed, 1982). Philosophische Überlegungen darüber, ob es vernünftig ist anzunehmen, dass Gott spricht, finden sich in Nicholas Wolterstorff, Divine Discourse: Philosophical Reflections on the Claim that God Speaks [Göttlicher Diskurs: Philosophische Betrachtungen über die Behauptung, dass Gott spricht] (Cambridge: CUP, 1995).

4 Für eine tiefer gehende Diskussion dieses und verwandter Themen lesen Sie die Serie von Artikeln in Inerrancy [Unfehlbarkeit], Hrsg. Norman L. Geisler (Grand Rapids: Zondervan, 1980).

5 Bezüglich weiterer Informationen über den Schriftenkanon s. Roger Beckwith, The Old Testament Canon of the New Testament Church and Its Background in Early Judaism [Der alttestamentarische Kanon der neutestamentarischen Kirche und seine Wurzeln im frühen Judaismus] (Grand Rapids: Eerdmans, 1985); F.F. Bruce, The Canon of Scripture [Der Schriftenkanon] (Downers Grove, IL: InterVarsity, 1988); Harry Y. Gamble, The New Testament Canon: Its Making and Meaning [Der neutestamentarische Kanon – Seine Entstehung und Bedeutung], New Testament Series [Schriftenreihe Neues Testament], Hrsg. Dan O. Via (Philadelphia: Fortress, 1985); Bruce M. Metzger, The Canon of the New Testament: Its Origin, Development, and Significance [Der Kanon des Neuen Testaments: Ursprung, Entwicklung und Bedeutung] (Oxford: University Press, 1987).

6 Diese gesamte Passage von 2:6-16 hat in den vergangenen Jahren keine geringe Aufmerksamkeit erfahren. Aber wenn es auch Uneinigkeit über den grammatischen Aufbau, den Hintergrund und die theologischen Akzente gibt, bleibt doch kaum Zweifel daran, dass die für unsere Zwecke bedeutsame Aussage eigentlich ganz klar ist: Der Mensch kann in seinem noch nicht erneuerten, fleischlichen Zustand die Sache Gottes (z.B. das auf das Kreuz zentrierte Evangelium) nicht verstehen und akzeptieren, während der Glaubende, der den erleuchtenden Dienst des Geistes genießt (vgl. Eph 1:18), in der Lage ist, Gottes Wahrheit – die nunmehr für uns in der Schrift bewahrt wird – in einer zutiefst persönlichen und ihn selbst verwandelnden Weise anzunehmen. Siehe Marion L. Soards, 1 Corinthians NIBC [1. Korinther, NIBC (New International Bible Commentary)], Hrsg. W. Ward Gasque (Peabody, MA: Hendrickson, 1999), S. 62-63.

7 Gute einführende Arbeiten über die Bibelauslegung sind unter anderem: Gordon Fee und Douglas Stuart, How To Read the Bible for All Its Worth: A Guide to Understanding the Bible [Wie man die Bibel lesen sollte, um ihren vollen Wert zu erfahren. Ein Führer zum Verständnis der Bibel], 2. Aufl. (Grand Rapids: Zondervan, 1993); Leland Ryken, How To Read the Bible as Literature [Wie man die Bibel als Literatur lesen sollte] (Grand Rapids: Zondervan, 1984); Robert H. Stein, A Basic Guide to Interpreting the Bible: Playing by the Rules [Grundlagenführer zur Bibelauslegung: Regeln müssen eingehalten werden] (Grand Rapids: Baker, 1994); William W. Klein, Craig L. Blomberg und Robert L. Hubbard (Dallas: Word, 1993); Moisés, Silva (Hrsg.), Foundations of Contemporary Interpretation: Six Volumes in One [Grundlagen zeitgenössischer Interpretation. Sechs Bände in Einem] (Grand Rapids: Zondervan, 1996); Grant Osborne, The Hermeneutical Spiral: A Comprehensive Introduction to Biblical Criticism [Die hermeneutische Spirale: Eine umfassende Einführung in die Bibelkritik] (Downers Grove, IL: InterVarsity Press, 1991).

Related Topics: Introduction to Theology, Bibliology (The Written Word)

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